Positives Denken – gut und schön, doch es gibt Grenzen...
(c) mek,2017

Positives Denken – gut und schön, doch es gibt Grenzen...

... und an die stosse ich gerade!

Während ich (knapp unter 60 J) darauf gefasst bin, nach knapp 10 Stunden Tennistraining über den Sommer, bei den Clubmeisterschaften (Gegnerinnen knapp über 20J) unterzugehen, wie ein Senkblei. Kommen mir der Geburtstag einer Freundin und die 40 Jahre währende Freundschaft in den Sinn. Was soll ich ihr schenken? Niemals war die Frage so brennender, so schwierig und so wichtig wie in diesem Jahr.

Sie feiert ihren 62igsten. Nichts Besonderes eigentlich – nix rundes, nix schnapssiges. Nur ein 62iger. Sie ist geschieden, lebt allein, hat zwei Kinder und Enkelkinder, mich als feste Freundin und seit kurzem einen Begleiter, lockere Beziehung aber immerhin. Sie bezieht eine Rente, von der sie fast nicht leben kann und hat ein Auto, auf das sie nicht verzichten möchte. Und sie hat Krebs. Einen von der ganz üblen Sorte. Ovarial-Cacinom.

Wenn einigermassen früh behandelt werden kann, gibt es eine 5-Jahres-Überlebens-Prognose. Sie ist im 4. Jahr und der Krebs, der nie ganz weg war, ist nun mit neuen Facetten zurück. Er hat von ihrem Körper Besitz ergriffen und von ihrem Geist. Trotz einer depressiven Lebensgrundstimmung will sie sich auch ein drittes Mal der Chemo unterziehen. Sterben will sie nicht, sie will kämpfen. Ich will ihr ihre Hoffnung nicht nehmen und werde ihr ein Büchlein schenken. In das kann sie schreiben, was sie will und wird etwas haben, das bleibt.

Nach allen wissenschaftlichen und medizinischen Erkenntnissen, wird sie den Kampf nicht gewinnen können. Passend zu meinen Gedanken stolpere ich über den Aufmacher der ZEIT und wühle mich bis zur Beilage durch – getitelt: „Die Kraft der Hoffnung“. Ein spannendes Heft, interessante Artikel und endlich, endlich Klartext über positives Denken und Hoffnung.

„Wenn die Hoffnung auf Heilung unwahrscheinlich ist, muss das nicht bedeuten, dass jemand ohne Hoffnung ist“

...ist zu lesen von der, die das sagt, Anja Mehnert (Quelle: DIE ZEIT, September 2017, Nr. 37)

Auch meine Idee mit dem Büchlein finde ich – schade, nichts Neues von mir – aber auch kein Humbug oder letzte Verzweiflung einer Freundin, die sich hilflos fühlt. Als meist Optimismus versprühender Mensch, bin ich doch Realistin genug, nichts schön zu reden, wenn es nichts schön zu reden gibt. Aber ich will auch keinem die Hoffnung nehmen. Es soll schliesslich schon so etwas wie Wunder gegeben haben. Andererseits bringe ich auch keine Dauerbeschallung raus mit Sätzen, wie: Das schaffst du! Sei stark! Lass dich nicht unterkriegen! Du musst positiv denken, das stärkt dein Immunsystem und die Krankheit hat keine Chance! Sieh die schönen Seiten! Tu dir was Gutes! Weg mit dem Ärger, lass die Sonne in dein Herz etc.

Sie, meine Freundin, ist von Natur aus ein pessimistischer Mensch. Alles Schlimme passiere ihr. Wir beide zusammen waren wie die helle und die dunkle Seite des Mondes. Sie ist anstrengend, ich auch, sie profitiert von mir, ich von ihr... und so hat das immer funktioniert. Aber nun, nun sind die Karten neu gemischt.

Die Situation ist schlimm und sie wird kein positives Ende haben. Wer also wird den Mut haben, ihr vor Augen zu führen, was sie längst weiss und was ihre Nächte unterträglich macht und die Tage lang und bangend? Wer wird zu ihr durchdringen und Akzeptanzdenken anregen können, so dass sie sich die letzten Monate oder Wochen doch noch irgendwie schön machen kann? Oder kommt das jetzt von ganz allein, wird das die Stärke sein, die von manchen Endstadium-Kranken ausgeht. Dass sie diejenigen sind, die die, die Bleiben stärken und trösten?

Mein letztes Mail an sie ging schon in die Richtung „akzeptiere und mach dir nichts vor“ und das längere Schweigen deutete ich für mich mit: Jetzt habe ich ihr die Hoffnung genommen. Und habe mich schon schlecht gefühlt. Nun lese ich, die Hoffnung ist immer an die Person gebunden. Ich selber kann Hoffnung leben oder aufgeben und dann wiederum hoffen, dass das Ende nicht so schlimm ist, wie ... ach ich weiss nicht, wie ausdrücken. Selbstverantwortlich - kein Aussenstehender ist schuld an irgendwas.

Das tröstet mich und lässt mich nun den nächsten Schritt machen. Das Büchlein, ein Stift, ein paar hübsche Blumen und etwas Schokolade. Gern würde ich sie in die Berge einladen... mal sehen, ob sie sich das noch zutraut. Die Berge waren immer Erholung für sie und wir konnten viele unwirsche Lebenssituationen anhand der Bergwanderungen beraten und lösen. Nie nur zum Gipfel hochschauen, kleine Etappen machen, verschnaufen, zurückblicken, wieder weiter...

(PS Mittlerweile bin ich doch Clubmeisterin, meine Freundin hat die endgültigen Befunde erhalten, die Chemo wird palliativ und ihr Auto ist stillgelegt...nicht durch den TÜV, eine Freundin meiner Tochter hat ihr Baby bekommen... alles an einem Wochenende und das Leben geht ohne anzuhalten weiter)

Vanessa Hoelt

Senior project lead Infra

7 Jahre

Hab ich 4,5 Jahren lang mit meinen Papa erlebt. Meine letzte Hoffnung kurz vor er ging war, ihn wieder zu treffen, irgendwann, irgendwo. Leitmotiv war lang ''das beste hoffen, das schlimmste erwarten''. Realistisch und doch nicht optimistisch oder pessimistisch. Tut mir leid für deine Freundin, und es tut mir auch leid für dich. Weiss nun so gut wie man sich in solche Situation fuhlt

Gernot Kaser, MBA Dipl.-Ing.

„Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen.“ (Aristoteles)

7 Jahre

Ich bin beeindruckt von Ihren Worten. Kein Herumgeschwafel, fokussiert und dennoch empathisch.

Ursula Graf

Quality Specialist at HALEON

7 Jahre

danke, Marion. Herr Bickel hat es auf den Punkt gebracht - ehrlich, klar - Chapeau

Günther E. Bickel

Wegbegleiter & Projektleiter .. unterwegs für die Entstehung des Gesundheitsparks Hochrhein

7 Jahre

Ehrliche und klare Worte - chapeau !!

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