Prinzipien auch wenn es weh tut
Prinzipien sind nicht nur für die eigene Entscheidungsfindung, sondern auch für Demokratien unabdingbar. Sind für einen Rechtsstaat unabdingbar. Sind für Menschenrechte, ein starkes Sozialsystem und ein friedliches Zusammenleben unabdingbar.
Dazu gehören das Prinzip der Opposition, das Prinzip der freien Meinungsäußerung sowie das Prinzip der Pressefreiheit.
Doch eigentlich ist es uns aktuell ganz recht, wenn die Regierung neue Maßnahmen vorgibt und alle diese Maßnahmen befolgen. Eigentlich wollen wir in dieser ohnehin schon krisenhaften Zeit weder sonderlich kritisch über diese Maßnahmen nachdenken, noch uns die Kritik von Opposition und Journalisten anhören.
Rein pragmatisch und kurzfristig mag das auch tatsächlich optimal sein. Alle halten sich an die Maßnahmen, bleiben zu Hause, tragen Masken. So gelingt es, die Infektionskurve abzusenken. Dann können wir ja wieder kritisch sein, uns über die Regierung aufregen und unser normales Leben führen.
“Over time, emergency decrees permeate legal structures and become normalized […]” – Douglas Rutzen, Präsident des International Center for Not-for-Profit Law in Washington.
Doch eine kritisch-demokratische Kultur ist nicht selbsterhaltend, sie kann auch verloren gehen. Sie kann verloren gehen, wenn irgendwelche Notstandsgesetze erlassen werden, die nicht aufhören, wenn der Notstand vorbei ist. Und während es für Regierungen in Krisenzeiten ein Einfaches ist, die Macht für Notstandsmaßnahmen auszuweiten, wird es in vielen Fällen schwer möglich sein, diese Macht wieder zurückzunehmen.
Fionnuala Ni Aolain, Sonderberichterstatterin der UN für Menschenrechte spricht von einer möglichen parallelen Epidemie von Autokratie und Repression, die sich im Schatten der Gesundheitsepidemie abspielt.
Natürlich spielt sich diese Epidemie vor allem in den Staaten ab, wo in den letzten Jahren schon die nötigen autokratischen Samen gesät wurden. Siehe Orban in Ungarn. Siehe Netanyahu in Israel. Siehe Philippinen, Turkmenistan oder Thailand – überall werden Gesetze gegen Fake-News und ähnliche freiheitsbeschränkende Maßnahmen von Staatsmännern eingeführt, die ihre eigene Macht im Zuge von Notstandsgesetzen ausweiten.
Doch keine Demokratie ist vor autokratischen Einflüssen sicher. Auch unsere nicht. Und wenn die jetzige Krise nur die Samen sät, die den Umsturz im Zuge der nächsten Krise ermöglichen, ist das schon zu viel.
Vor diesem Hintergrund ist es essentiell, dass wir an unseren demokratischen Grundwerten festhalten, es weiterhin kritische Journalisten und eine aggressive Opposition gibt.
Kann es sein, dass deshalb ein paar Menschen die Maßnahmen nicht so ernstnehmen wie sie sollten?
Würde ein kritikloses Hinnehmen aller Maßnahmen von Medien und Opposition den Zusammenhalt weiter stärken?
Selbst wenn man diese beiden Fragen mit Ja beantwortet, steht dieser kurzfristig positive Effekt in keinem Verhältnis zu den langfristigen negativen Kosten für unsere Demokratie. Also: die kritischen Stimmen anhören und wahrnehmen - auch wenn sie aktuell schwerer zu ertragen sind als im Normalfall.
Damit ist aber noch nicht gesagt, dass man alle Journalisten als undemokratisch oder unfähig abtun soll, die es aktuell nicht schaffen eine kritische Stimme zu erheben.
„Wo bleibt die Debatte der aktuellen Maßnahmen? lese ich vorwurfsvoll im Feuilleton und dann schau ich mich im durchaus debattierfreudigen Freundeskreis um und da haben ausnahmslos alle mit Existenzsorgen zu kämpfen und/od mit Betreuungspflichten und ja, das kann schon lähmen.“ – Barbara Kaufmann in einem Tweet vom 2. April.
Gerade die Künstler, die Kulturschaffenden, die Journalisten haben mit der aktuellen wirtschaftlichen Situation besonders zu kämpfen. Auch hier muss man Verständnis zeigen.
Doch gerade deswegen darf man denjenigen, die es dennoch schaffen in dieser Lage kritisch zu bleiben auf gar keinen Fall den Mund verbieten.
Prinzipien sind Prinzipien, weil sie prinzipiell gelten, also auch dann, wenn sie wehtun.
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