Reform der Insolvenzanfechtung – Rechtsunsicherheiten und Anfechtungsrisiken werden nicht beseitigt
Die finanziellen Schwierigkeiten eines Kunden, der später insolvent wird, bergen für Unternehmen erhebliche wirtschaftliche Risiken. Werden in Kenntnis der Krise des Kunden weiter Leistungen erbracht, droht neben dem Forderungsausfall die Pflicht zur Erstattung bereits vereinnahmter Zahlungen. Im Extremfall sind bislang Zahlungen, die in den letzten zehn Jahren erlangt werden konnten, an den Insolvenzverwalter des Kunden zu erstatten. Wann im konkreten Einzelfall die Kenntnisse des Unternehmens von der Krise des Kunden gefährlich werden und ob Richter mehrere Jahre nach den Vorgängen von einer Anfechtbarkeit ausgehen, ist häufig kaum zuverlässig prognostizierbar. Gleichzeitig drohen bei längeren Geschäftsbeziehungen zu Krisenunternehmen extrem hohe Forderungen des Insolvenzverwalters, der seinerseits zur Geltendmachung berechtigter Ansprüche verpflichtet ist, andererseits aber durch zu hohe Forderungen kein Risiko trägt. Dieser von Wirtschaftsverbänden als unhaltbar empfundene Zustand hat nun nach längeren politischen Auseinandersetzungen zu einem Reformvorhaben des Gesetzgebers geführt. Nachdem das Vorhaben im Jahr 2016 ins Stocken geraten war, hat der Bundestag am 16. Februar 2017 die Reform der Insolvenzanfechtung auf den Weg gebracht. Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass das Gesetz wie nun vom Bundestag verabschiedet, tatsächlich in Kraft tritt.
Das Ziel der Beseitigung der Rechtsunsicherheit wird durch die Reform meines Erachtens nicht erreicht. Auch eine von den Wirtschaftsverbänden erhoffte wesentliche Einschränkung der für Lieferanten und Dienstleister aus dem Mittelstand häufig existenzgefährdenden Anfechtungsrisiken wird die Reform wohl nicht leisten. Zwar verbessert die Reform die Situation für mögliche Anfechtungsgegner. Die positiven Effekte sind aber weit geringer als es zunächst den Anschein hat. Zudem profitiert nur derjenige zuverlässig, der seine Geschäftsprozesse auch an den fortbestehenden Anfechtungsgefahren ausrichtet. Unternehmen müssen daher weiterhin Vorsorge treffen, um die finanziellen Risiken der Insolvenzanfechtung durch Kunden in der Krise möglichst gering zu halten.
Positive Aspekte der Reform für Unternehmen mit Kunden in der Krise
Die Reform hat für die von der Anfechtung betroffenen Unternehmen, die Leistungen an Kunden erbringen, die sich in einer wirtschaftlichen Krise befinden, einige positive Auswirkungen.
Beispielsweise waren bisher Anfechtungsbeträge spätestens ab Insolvenzeröffnung mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen. Künftig greift die Verzinsungspflicht dagegen erst bei Verzug mit der Rückzahlung des Anfechtungsbetrages ein, also nachdem die Anfechtungsforderungen geltend gemacht wurden und Gelegenheit zur Rückzahlung bestand. Diese Neuregelung soll sogar rückwirkend für Fälle gelten, bei denen das Insolvenzverfahren bei in Kraft treten des Gesetzes bereit eröffnet sein wird. Die übrigen Regelungen gelten dagegen erst für zukünftige Insolvenzverfahren.
Ebenfalls positiv für die betroffenen Unternehmen ist die durch die Reform künftig geltende Verkürzung der Anfechtungsfrist in den typischen Fällen von bisher zehn auf nun vier Jahre vor dem Eingang des Insolvenzantrages beim Insolvenzgericht. Nur in Ausnahmefällen, die im Verkehr zwischen Unternehmen nicht vorkommen dürften, gilt weiter die bisherige und wesentlich längere Frist.
Nach der Wahrnehmung der Betroffenen - einschließlich vieler Insolvenzverwalter, die Rückzahlungen fordern - sind bislang die Kenntnis von Zahlungsproblemen und insbesondere die Gewährung von Zahlungserleichterungen bereits Auslöser für die Anfechtungsrisiken für später noch erfolgende Zahlungen. In diesem Bereich soll die Reform durch drei gesetzgeberische Maßnahmen einschränkend wirken.
- War bislang bereits die Kenntnis von der bloß drohenden Zahlungsunfähigkeit schädlich, sollen die für den Anfechtungsgegner negativen Auswirkungen künftig erst mit Kenntnis der bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit eintreten.
- Zudem sollen bei der Gewährung von Zahlungserleichterungen wie Stundungen und Ratenzahlungen von der Zahlungsfähigkeit des Begünstigten ausgegangen werden.
- Schließlich soll durch die Reform der unmittelbare Leistungsaustausch zwischen Leistung an den Schuldner gegen Zahlung der angemessenen Vergütung im Rahmen eines sog. Bargeschäfts privilegiert werden, wenn ein unlauteres Handeln des Schuldners nicht zu erkennen ist.
Auf weitere Änderungen, die Arbeitnehmer als Anfechtungsgegner betreffen und deren Rechte stärken, wird hier nicht eingegangen.
Was die Reform für Lieferanten und Dienstleister tatsächlich bewirkt
Auf den ersten Blick scheint die Reform die für Unternehmen mit Kunden in der Krise besonders gefährliche Vorsatzanfechtung wirksam einzudämmen und mehr Rechtssicherheit zu schaffen. In der Praxis von Lieferanten und Dienstleistern, die von ihren erkennbar wirtschaftlich schwachen Kunden Zahlungen für erbrachte Leistungen erhalten, werden m.E. die positiven Auswirkungen der Reform überschaubar bleiben.
· Zum Erfordernis der eingetretene Zahlungsunfähigkeit
Die Verschärfung der Anforderung an die Kenntnis des Krisenstadiums (eingetretene statt drohender Zahlungsunfähigkeit) scheint die Hürde für den anfechtenden Insolvenzverwalter zu Gunsten des Unternehmens, das sich der Anfechtung ausgesetzt sieht, erheblich zu erhöhen. In der Praxis werden die Auswirkungen aber aller Voraussicht nach gering sein. Der BGH belässt es auch bislang häufig nicht dabei, in den von ihm entschiedenen Fällen die Kenntnis einer nur drohenden Zahlungsunfähigkeit festzustellen. In den für Lieferanten und Dienstleister typischen und problematischen Fallgestaltungen wurde bislang häufig von einer bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit und von der Kenntnis bei den Betroffenen ausgegangen. Beispielsweise nahm der Bundesgerichtshof (BGH) zuletzt die Kenntnis von einer bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit bereits an, wenn Rückstände in kurzer Zeit deutlich anwachsen und der Schuldner für den Fall des Zuflusses neuer Mittel die Verbindlichkeiten durch Einmalzahlung und zwanzig Monatsraten begleichen kann (vgl. BGH, Urteil vom 16. Juni 2016 – IX ZR 23/15). Auch bei Nichteinhaltung einer Zahlungszusage oder bei Zahlungen auf eine angedrohte Liefersperre ging der BGH davon aus, dass die eingetretene Zahlungsunfähigkeit regelmäßig unübersehbar sei (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 2016 – IX ZR 174/15). Damit bleiben nur wenige Fallgestaltungene übrig, bei denen die Verschärfung durch die Reform in der Praxis eine Rolle spielt. Bei Fallgestaltungen, in denen zum Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung die Zahlungsfähigkeit uneingeschränkt gegeben ist, die künftige Zahlungsunfähigkeit bereits feststeht und somit aktuell droht, mag die Verschärfung zu Gunsten des Anfechtungsgegners Bedeutung erlangen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Januar 2016 – IX ZR 84/13). In der täglichen Praxis von Lieferanten und Dienstleistern sind solche Fälle allerdings kaum denkbar. In den für leistende Unternehmen typischen Fallgestaltungen der Ableitung von Kenntnissen zur Liquiditätssituation aus dem aktuellen Zahlungsverhalten bringen die höheren Anforderungen an das erkennbare Krisenstadium kein relevanten Änderungen.
· Auswirkungen von gewährten Ratenzahlungen und Stundungen
Werden dem in der Krise befindlichen Unternehmen Zahlungserleichterungen gewährt, wird nach der reformierten Regelung die Unkenntnis von der Zahlungsunfähigkeit zur Zeit der Handlung vermutet. Dies scheint auf den ersten Blick im Vergleich zur bisherigen Situation positiv für den Anfechtungsgegner zu sein. Tatsächlich war und ist nach Auffassung des BGH eine Ratenzahlung, die sich im Rahmen der geschäftlichen Gepflogenheiten bewegt, für die Vorsatzanfechtung alleine nicht relevant und konnte die Kenntnisse von der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit alleine nicht vermitteln (vgl. BGH, Beschluss vom 16. April 2015 - IX ZR 6/14). Dies ist nun im Gesetz ausdrücklich geregelt. Ob die Neuregelung darüber hinaus Wirkungen zu Gunsten des Anfechtungsgegners entfaltet, ist derzeit nicht absehbar. Erst die Auslegung durch die Rechtsprechung wird dies zeigen. Aktuell muss davon ausgegangen werden, dass die Neuregelung für die Betroffenen keine wesentlichen Vorteile gegenüber der bisherigen Situation hat.
· Bargeschäftsprivileg bei der Vorsatzanfechtung
Die Privilegierung des unmittelbaren Leistungsaustauschs in Form von "Geld gegen Leistung" auch bei der Vorsatzanfechtung wird durch die Reform in der Insolvenzordnung geregelt werden. Wenn der Anfechtungsgegner nicht erkannt hat, dass sein Kunde unlauter handelte, kann nun das sog. Bargeschäftsprivileg die Anfechtbarkeit auch im Rahmen der Vorsatzanfechtung ausschließen. Diese für Lieferanten und Dienstleister positiven Wirkungen eines unmittelbaren Leistungsaustauschs sind aber nicht neu. Die Neuregelung entspricht im Wesentlichen dem, was der BGH zu solchen Fällen bereits seit mehreren Jahren in ständiger Rechtsprechung entschieden hat (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – IX ZR 180/12). Ein Vorteil der gesetzlichen Neuregelung gegenüber der bisherigen Rechtsprechung kann möglicherweise zwar darin liegen, dass der BGH die positiven Wirkungen des unmittelbaren Leistungsaustauschs bislang nicht gewährt, wenn der Kunde dauernd Verluste erwirtschaftet oder die erbrachte Leistung den Gläubigern nicht nützt. Diese vom BGH gemachte Einschränkung könnte künftig entfallen bzw. enger werden. Es ist aktuell allerdings noch ungeklärt, worauf der vom Gesetzgeber neu eingeführte unbestimmten Rechtsbegriff „unlauter“ abzielt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Gerichte bereits in den Fallgestaltungen von dauerhaft erwirtschafteten Verlusten oder erkennbar fehlendem Nutzen für Gläubiger ein jeweils erkennbar unlauteres Handeln sehen. Dann würde sich aber auch insoweit durch die Reform für die Betroffenen keine Änderung zum bisherigen Zustand ergeben. Es bleibt somit abzuwarten, wie die Gerichte und insbesondere der BGH mit der Reform umgehen. Bis zur Klärung herrscht weiter keine Rechtssicherheit für die Betroffenen.
· Eigentumsvorbehaltsrechte als Problem?
Für Lieferanten von Waren kommt noch hinzu, dass bei Vereinbarung eines sog. erweiterten (und ggf. eines verlängerten) Eigentumsvorbehalts mit dem Kunden und bestehenden Rückständen nach der bisherigen BGH-Rechtsprechung kein unmittelbarer Leistungsaustausch stattfindet (vgl. BGH, Urteil vom 17. November 2016 - IX ZR 65/15). Die grundsätzlich sinnvollen und für den Lieferanten wichtigen Sicherungsmittel können somit anfechtungsrechtlich Probleme verursachen, da sie die Privilegierungen im Zusammenhang mit sog. Bargeschäften nach der BGH-Rechtsprechung zu nichte machen können. Daran ändert die aktuelle Reform nichts. Die Anfechtungsgefahren bei einer Weiterbelieferung in der Krise sind somit m.E. durch die Reform nicht beseitigt worden und bestehen in den praxisrelevanten Fallgestaltungen nahezu unverändert fort.
Risikovorsorge und Prävention bleiben weiter zwingend erforderlich
Die Reform bringt somit gerade für betroffene Lieferanten und Dienstleister nur wenige und zudem wirtschaftlich in der Praxis eher unbedeutende Vorteile. Daher sollten die betroffenen Unternehmen bestehenden Möglichkeiten der Prävention und Risikovorsorge nutzen und ihre Geschäftsabläufe den Gegebenheiten anpassen.