Renzi verirrt sich wieder

Ein Kommentar zur Regierungskrise in Italien

(Lesezeit 3 Minuten) Mitten in der Pandemiekrise um Covid 19 haben in Italien Leichtsinn, Populismus und Rechthaberei für eine neue Regierungskrise gesorgt. Diese Krise lässt sich in einer Frage zusammenfassen. Was ist wichtiger: Politisch und sachlich recht zu haben oder für eine stabile Regierung - und sei sie auch erbarmungswürdig - zu sorgen? Ex-Ministerpräsident Matteo Renzi hat gute sachpolitische Gründe, die EU-Pandemie-Hilfen über 209 Milliarden Euro aus Brüssel für Ausgaben in Richtung einer umfänglichen Infrastrukturreform nutzen zu wollen, anstatt sie als Teufelswerk der EU-Gängelung zu verteufeln und abzulehnen, wie die „Fünf Sterne“ das in ihrer ideologischen Blindheit in der Koalition tun. Aber mit seinen nur zwei Ministern aus einer Minipartei - der Abspaltung vom Partito Democratico (PD) - „Italia Viva“ in der Regierung konnte Renzi in Selbstüberschätzung jetzt nur für den Bruch des Bündnisses sorgen, aber keineswegs eine neue Koalition absichern.

Renzis Vorgehen hat Methode. Als er von 2014 bis 2016 MP war, wollte er zurecht eine umfassende Senatsreform durchsetzen, um die doppelte Lähmung zweier identisch aber nebeneinander her arbeitenden Kammern zu beenden. Die Verfassungsreform über ein Referendum scheiterte aber, weil Renzi sich selbst und seine Fortsetzung als Ministerpräsident gleich mit zur Abstimmung stellte. Im Dezember 2016 verlor Renzi das Referendum und zog aus dem Palazzo Chigi aus. Diesen schmählichen Abgang hat der seinerzeit jüngste Regierungschef Italiens noch immer nicht verschmerzen können; aber anstatt darüber weiser und zuverlässiger zu werden, hat er neuerlich seine Person ins Zentrum gestellt, sich selbst überschätzt ins politische Abseits geritten und neuerlich der guten Sache keinen Gefallen getan.

Das erste Renzi-Opfer ist die Nation; ein zweites Giuseppe Conte, der derzeitige Ministerpräsident. Dieser parteilose Rechtsprofessor war im Juli 2018 als vermeintlich willenlose Puppe der populistischen Chefs und Verführer um Lega-Chef Matteo Salvini und die Bewegung „Fünf Sterne“ mit Italiens „schönstem Schwiegersohn“ Luigi De Maio (der ist Außenminister! Hat man schon einmal etwas Sachdienliches von Di Maio gehört?) an die Spitze der Koalition gesetzt worden, um über ihn verfügen zu können. Tatsächlich aber stellte sich Conte als Kenner der Probleme sowie als Garant für Vernunft und des Kompromisses heraus. Er hat trotz schlechter Startbedingungen das Bestmögliche für Italiens Stabilität in der Pandemiekrise geleistet, heißt es allgemein. Jetzt aber muss er gleichwohl das zweite Mal um sein Mandat bangen.

Das erste Mal geschah das Ende August 2019. Damals kam Conte einem Misstrauensvotum zuvor, nachdem der Lega-Führer Matteo Salvini sein eigenes Bündnis mit der Bewegung „Fünf Sterne“ zu Fall gebracht hatte, um Neuwahlen zu seinen Gunsten zu erreichen. Conte gelang es aber, eine neue Mehrheit zu bilden. Statt Lega trat der Partito Democratico in die Koalition mit den „Sternen“ ein. Das hatte Renzi klug durchsetzen können; aber weil er generell mit der mehr konventionellen ideologisch-linken PD-Führung nichts zu haben wollte, verließ der christsoziale Ex-Pfadfinder Renzi seine bisherige Partei (deren Chef er einst sogar gewesen war) und schloss sein Trüppchen in „Italia Viva“ zusammen.

Vergangene Woche zog Renzi nun die zwei Minister, die er in Contes Kabinett geschickt hatte, aus der Koalition zurück, und die jüngste Krise begann. Nur knapp konnte sich Conte am 18. und 19. Januar 2021 des Vertrauens der Abgeordneten in Abgeordnetenhaus und Senat versichern. Renzis Grüppchen enthielt sich des Votums; denn Renzi will nicht den Sturz der Regierung, sondern nur eine neue Politik. So will er auch in eine neue Koalition wieder eintreten. Aber wer traut diesem Mann noch? Wer will diesen Mann oder seine Trüppchen in der Regierung? Nach Umfragen würde Renzis Italia Viva bei vorgezogenen Wahlen nur etwa 3 Prozent der Stimmen bekommen. Das wäre deutlich weniger als ihr Anteil an Sitzen heute. Tatsächlich will aber auch keine der regierenden Parteien Neuwahlen. Immerhin hat es in den letzten Jahren eine kleine Senatsreform gegeben, durch die die Anzahl der Deputierten verringert wurde. So müssen jetzt viele Senatoren um ihren Sitz fürchten und wollen ihn keineswegs durch Neuwahlen riskieren. Schlimmer noch: Die Rechtspopulisten mit Salvinis „Lega“ und den Neofaschisten der „Fratelli d`Italia“ von Gorgia Meloni würden bei Neuwahlen wohl mit den Resttrüppchen von Silvio Berlusconi das Rennen machen. Was also hat Renzi gewonnen? Nichts – und Conte muss sich eine neue Regierung bilden, und Staatspräsident Sergio Matarella, Senior der Stabilität und Zuverlässigkeit, wird dabei helfen. (jöb.)

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