Zwischenbilanz zu EU-Reform Vorhaben der Ampel-Koalition
Eine Analyse
Europäische Demokratie:
Ein Europa für alle. Ein Europa in dem wir Demokratie leben. Nur dann kann sich ein geeintes und starkes Europa den Herausforderungen unserer Zeit annehmen. Dafür müssen wir auf ein föderales Europa als echte parlamentarische Demokratie hinarbeiten.
Die Ampel-Koalition hielt die Weiterentwicklung der EU “zu einem föderalen europäischen Bundesstaat” als Leitziel im Koalitionsvertrag fest. Jedoch lässt sich dann aufgrund eines Mangels an konkreten Reformvorschlägen mutmaßen, dass für den großen Sprung der Mut und vermutlich Konsens am Ende fehlt.
So forderte bspw. die Konferenz zur Zukunft Europas - eine ganzjährige außerordentliche Reihe europaweiter Diskussionen von BürgerInnen zur Frage, in was für einem Europa sie leben möchten - im Mai diesen Jahres die Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips in fast allen Politikfeldern. Leider gab es von deutscher Seite bislang keine Unterstützung. Auch wenn sich gerade jetzt wieder zeigt wie wichtig die gemeinsame und effiziente Entscheidungsfindung Europas ist.
Zum Abschluss der Konferenz sprach sich Premierminister Macron außerdem für die Fortsetzung der Konferenz durch die Einberufung eines verfassungsgebenden Konvents aus - auch Deutschland unterstützte diesen Vorstoß in einem Non-Paper im Juni basierend auf dem Koalitionsvertrag. Allerdings ohne weitere Schritte in Aussicht zu stellen. Die gepriesene deutsch-französische Partnerschaft ist bislang in noch keine Aktion übergegangen.
Der Koalitionsvertrag sieht darüber hinaus die Schaffung eines verbindlichen Spitzenkandidatensystems und transnationaler Wahllisten vor. Dieses Vorhaben ist durch einen Vorschlag des Europaparlaments unterwegs und bedeutet, dass wir bei künftigen Europawahlen eine zweite Stimme bekommen, um zusätzlich zu den nationalen Kandidaten auch transnationale, unionsweite Listen von politischen Bündnissen oder Parteien zu wählen. Damian findet die Zweitstimme sei ein „Schritt in die richtige Richtung, nämlich in die der parlamentarischen Demokratie“. Das sehe ich auch so.
Fazit: Das politische Leitziel eines föderalen europäischen Bundesstaates wurde zum ersten Mal in einem Koalitionsvertrag konkret benannt und verankert. Das ist sehr zu begrüßen und als großer Fortschritt zu sehen. Quantensprünge im Bereich Reform hin zur europäischen Demokratie lassen sich indes nicht erwarten - dafür hätte dies Scholz zur Chefsache erklären und sich bereits wesentlich reger auf europäischer Ebene zeigen müssen.
Europäische Wirtschafts- und Währungsunion:
Für ein starkes Europa brauchen wir finanz- und währungspolitische Institutionen, die (1) demokratisch legitimiert sind, (2) im Einklang mit unseren gemeinsamen Normen handeln und (3) in der Lage sind, im Interesse der gesamten Union zu handeln. Daher muss die Eurozone mit entsprechenden politischen Kompetenzen ausgestattet werden, die eine bessere Union für alle BürgerInnen schafft.
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Während der Koalitionsvertrag ambitioniert die Schaffung eines föderalen Europas proklamiert, gibt es erstaunlicherweise nur wenige Reformvorschläge zur Eurozone. Die Vision eines föderalen Europas, die natürlich in der Schaffung eines europäischen Wirtschafts- und Finanzministeriums münden müsste, wird nicht erwähnt und so auch nicht weitere Maßnahmen auf dem Weg dorthin, wie bspw. die Abschaffung des Euro-Summits und die Einrichtung des Europäischen Parlaments als Mitgesetzgeber in Sachen Eurozonenpolitik. Stattdessen wird sich auf ein Reformvorhaben zum Stabilitäts- und Wachstumspakt beschränkt.
Der Stabilitäts-und Wachstumspakt (SWP) ist ein Regelwerk, das für finanzpolitische Stabilität sorgen soll u.a. durch die Festlegung der Höhe des jährlichen Haushaltsdefizits auf 3 % des BIP und die Begrenzung der öffentlichen Verschuldung auf 60 % des BIP. Diese starre finanzpolitische Sicht auf Schuldenregeln hat sich allerdings bislang weder als umsetzbar noch hilfreich - insbesondere zu Krisenzeiten - erwiesen. Laut Koalitionsvertrag und Finanzminister Lindner will man sich für eine Weiterentwicklung des SWP einsetzen und als Mittler zwischen den Mitgliedstaaten mit unterschiedlichen Vorstellungen fungieren. Diese Woche legte laut dem Handelsblatt Finanzminister Lindner einen ersten Reformvorschlag für den SWP auf den Tisch. Leider konnte ich diesen noch nicht bewerten. Klar zu sein scheint, dass Lindner an der “Anwendung und Interpretation der bestehenden Regeln” festhalten und Vertragsänderungen praktisch ausschließen wird.
Fazit: Die Reform des Stabilitäts-und Wachstumspakts ist wichtig und es ist zu begrüßen, dass nun bereits ein Vorschlag von BM Lindner vorgelegt wurde. Dessen Inhalte und seine Vermittlerrolle gilt es jetzt im Auge zu behalten und zu bewerten. Leider lässt weder der Koalitionsvertrag noch die Besetzung des Finanzministeriums darauf schließen, dass weitere tiefgreifende Reformschritte in der Eurozone von Deutschland zu erwarten sind, die eine Demokratisierung und weitere Integration der europäischen Wirtschafts- und Finanzpolitik zur Folge hätten.
Europäische Sicherheitspolitik:
Seit Jahrzehnten gibt es keinen großen Fortschritt in der gemeinsamen Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik. Doch verlangen geopolitische Herausforderungen und Veränderungen nach europäischen Antworten, denn sie können schon lange nicht mehr auf nationaler Ebene oder von nationalen Institutionen angemessen bewältigt werden. Deshalb müssen wir auf folgende grundlegende Veränderungen hinwirken: 1) Eine demokratische Entscheidungsfindung, 2) die Schaffung einer europäischen Armee, 3) ein gemeinsames Verständnis Europas als Akteur in der Welt.
Putins Krieg in der Ukraine hat Dynamik in die Entwicklung der Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik gebracht. So viel, dass der Hohe Vertreter Josep Borrell “das Erwachen des geopolitischen Europas” ausgerufen hat. Konkret hat der Krieg 1) die gemeinsame Wahrnehmung der Bedrohungen und das Verständnis der strategischen Rolle Europas gestärkt und damit die Finalisierung des Strategischen Kompasses für Sicherheit und Verteidigung beeinflusst, und 2) zu gemeinsamen imminenten Reaktionen der Mitgliedstaaten zur Unterstützung der Ukraine geführt.
Deutschland möchte nun wie von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht angekündigt eine Führungsrolle in der Umsetzung des Strategischen Kompasses übernehmen, in dem Deutschland den Kern einer neuen Einsatztruppe stellt, die bis 2025 einsatzbereit sein soll. Mit dieser “EU-Schnelleingreifkapazität” sollen bis zu 5.000 Soldaten mobilisiert werden können, die für die Reaktion auf Krisen ausgebildet und ausgerüstet sind. Dabei sollen auch Kommando- und Kontrollfähigkeiten gestärkt und gemeinsame Übungen durchgeführt werden. Das hat es so noch nie gegeben und ist damit als großer Fortschritt zu verbuchen. Gleichzeitig erklärte Borrell, es gehe nicht darum, eine europäische Armee zu schaffen: „Die europäischen Armeen werden bestehen bleiben, jeder Mitgliedstaat hat seine eigene Armee. Aber wir müssen enger zusammenarbeiten.”
Während wir also bei Punkt 3) zur Bewertung der gemeinsamen Bedrohungslage und Entwicklung einer gemeinsamen Vorstellung der EU als geopolitischer Akteur Fortschritte verbuchen können, stehen 1) und 2) weiterhin in den Sternen. .
Fazit: Die selbst zugeschriebene Führungsrolle Deutschlands in der Verteidigungspolitik ist bislang als begrenzt zu verstehen, denn Vision und Mut werden von Zögerlichkeit überschattet. So scheut sich die Bundesregierung davor fundamentale - auch vertragliche - Veränderungen wie die Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips - wie im Koalitionsvertrag angekündigt - zu proklamieren. Doch jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, denn das Bewusstsein in Bevölkerung und Politik für die Notwendigkeit effizienter Entscheidungen sowie der Sicherung gemeinsamer Grenzen durch eine Europäische Armee sollte gerade jetzt vorhanden sein.