Sag nein zu Abk.!
Verwenden Sie in Ihren Publikationen Abkürzungen? Falls ja: Aus welchem Grund? Ist es wirklich die eingesparte Zeit, respektive der Platz? Oder geht es darum, sich als Insider zu erkennen zu geben? Ein Insider, der sich mit den Fachwörtern und Abkürzungen in seiner Branche auskennt? Geht es vielleicht sogar darum, sich von den "Unwissenden" ein wenig abzugrenzen? Oder ist es gar nichts von allem. Mehr so nach dem Motto: "Ist so, weil ist so..."?
Wer liest meine Texte?
Auf einer Plattform wie LinkedIn ist es kaum möglich zu wissen, wer einen Text liest. Die Vorstellung, für ein genau definiertes Fachpublikum zu schreiben, ist falsch. Viele Texte werden einerseits von branchenfernen, andererseits auch von fremdsprachigen Personen gelesen. Und das ist wertvoll. Wir sind alle vernetzt. Es ist gut möglich, dass meine Frau einen Text über die Eisenbahn liest, auch wenn sie in einer völlig anderen Branche arbeitet. Es interessiert sie ein wenig, weil ich Eisenbahner bin. Möglicherweise teilt sie den Text oder klickt auf "Gefällt mir". Diese Beachtung ausserhalb der eigentlichen Zielgruppe führt zu einer grösseren Verbreitung.
Stolpersteine
Damit dies geschieht, muss der Text niederschwellig lesbar sein. Abkürzungen sind Stolpersteine. Schon innerhalb der gleichen Sprache aber in unterschiedlichen Umfeldern werden die gleichen Abkürzungen anders verwendet. Woran denken Sie bei "GV"? Ist das für Sie eine "Generalversammlung"? Oder sind Sie in der Gesundheitsbranche tätig? Dann wird es zum Geschlechtsverkehr. Oder zur Gärverzögerung, zum Geheimhaltungsvertrag, zum Generalvetreter, zum Gerichtsvollzieher, zum Gesangsverein oder zum Grossvater.
Redundanz
Sprachen sind redundant aufgebaut. Dies benötigt zwar mehr Platz und Redezeit, hilft aber beim Verständnis. Redundanz ist der Schlüssel zur Fehlerkorrektur.
Im Internet sind immer wieder Beispiele zu lesen wie:
Wnen Sie dseien Txet lseen knöenn, hbaen Sie ein Gerhin, das Unlgbaulchies leitset.
Die Redundanz im Text sowie antrainierte Mustererkennung ermöglichen es, solche Texte zu lesen, obwohl die Buchstaben völlig durchgeschüttelt sind. Eine fremdsprachige Person dürfte damit allerdings viel grössere Mühe haben.
Abkürzung oder gar ein Umweg?
Abkürzungen vernichten die Redundanz eines Worts oder Wortgefüges. Kann der Sinn der Abkürzung nicht aus seiner textlichen Umgebung eruiert werden, zerbricht unter Umständen der ganze Satz. Die Bedeutung einer Abkürzung herauszufinden, kann zur Knochenarbeit werden. Diese Mühe machen sich die wenigsten und verlassen stattdessen den Text.
Roboter-Übersetzer
Nicht nur Menschen haben Mühe mit Abkürzungen. Auch die mittlerweile sehr ausgeklügelten Übersetzungsalgorithmen können mit ihnen oft nichts anfangen.
Der Satzteil "CF Alain Berset a constaté..." dürfte von den meisten Personen aus der französischsprachigen Schweiz verstanden werden. Automatisch nach deutsch übersetzt wird daraus: "CF Alain Berset stellte fest...". Das bringt die Leserin oder den Leser also nicht weiter. ("CF" steht übrigens für "Conseil fédéral", also "Bundesrat".)
Weg damit!
Abkürzungen sind überflüssig. Denken Sie aus Lesersicht und lassen Sie sie weg.