„Seit wann bin ich allwissend?“ – über Führung und Verführung
„Und was machen wir jetzt?“
Ich blickte in die Runde. Schweigen im Walde.
„Wie lösen wir das? Wie werden wir Herr der Lage?“ – und bei diesem letzten „Wir“ drehten alle ihren Kopf und wen sahen sie an? Mich. Die Führungskraft. Den Boss des Teams. Den, von dem alle im Raum – einschließlich mir – die Lösung erwarteten. Eine Erwartung, die ich heute, mit mehr Erfahrung, ebenso verführerisch wie auch problematisch finde. Sehr problematisch sowohl für das Unternehmen als auch für mich, für dich, als Führungskraft …
Führung verführt
So habe ich das in meiner Laufbahn als Führungskraft gelernt und kaum war ich damals in eine solche Rolle befördert worden, versuchte ich dem auch gerecht zu werden: Dem Anspruch, dass ich als Führungskraft in jeder Situation, in jedem Kontext, auf jedem Themengebiet immer die beste Lösung parat habe. Und das am besten schnell. Sehr schnell. Dem Gedanken, dass ich – kaum bin ich mit der formalen Macht von Führung ausgestattet – automatisch der bin, der die besten Ideen hat. Weil ich eben diese Führungsposition innehabe.
Und ich sage dir, ich habe mir den Kopf zerbrochen, um eben eine solche Führungskraft zu sein: Ich las Bücher noch und nöcher, hörte Podcasts, sprach mit den Leuten, um mich in ein Problem einzuarbeiten. Und in das nächste. Und wieder in eines … Kurz: Ich gab mir alle Mühe, allwissend zu sein. Ein Anspruch, den ich sehr verführerisch fand. In der Hierarchie oben zu sein, Big Boss, Big Brain … Ein Anspruch, der – um es dir ganz konkret zu sagen – meistens nur zu halbgeilen Resultaten führte.
Empfohlen von LinkedIn
Verfehlter Anspruch an Führung
Denn ich war nicht allwissend. Denn dieser Anspruch an Führung führt lediglich dazu, dass ein Höchstmaß an Wirksamkeit, ein Höchstmaß an besten Resultaten, Lösungen für den Kunden verhindert wird.
Das Problem eines solchen Anspruchs an Führung ist, dass er Führung hierarchisch legitimiert: Aber wirksame Führung ist dann möglich, wenn sie situativ ist: Der, der in einer bestimmten Situation in einem bestimmten Kontext die beste Idee hat, geht in Führung.
Gehst du mit einem hierarchischen Anspruch an Führung heran, dann nimmst du deinen Leuten den Raum, die besten Lösungen und Ideen zu entwickeln. Dann sorgst du dafür, dass die, die nicht sofort „hier“ schreien, auch wenn sie die wirksamste Idee haben, überhört werden.
Meine Aufgaben als Führungskraft, als Geschäftsführer bei wastebox, sind andere, als allwissend zu sein. Heute lasse ich mich von dieser Denkfessel, genau das sein zu müssen, nicht mehr verführen.
Was mache ich heute anders als früher? Ich halte den Blick aus, wenn doch einmal von mir die Lösung erwartet wird – und das große Schweigen im Walde herrscht. Ich mache nicht mehr das, was von mir erwartet wird. Ich halte es auch aus, wenn zu einem Problem mal nicht gleich jemand eine Idee hat. Heute kann ich auch ohne sofortiges Ergebnis ein Meeting beenden. Ohne dem Druck oder dem Wunsch nach schnellem Handeln sofort nachzugeben. Kurzum: Ich lasse das Problem erstmal wirken, sich setzen. Und ich gebe Raum dafür, dass sich Ideen entwickeln können. Nicht auf Knopfdruck aber doch verlässlich. Bisher ist noch immer irgendwer auf eine Lösung gestoßen.
Ich tappe nicht mehr in die Falle, mich selbst unter diesen Anspruchsdruck zu setzen. Weil ich heute weiß, dass dieser Druck meine eigene Wirksamkeit blockiert. Weil die Chancen größer sind, dass einer aus deinem Team, vielleicht sogar du, dann wirklich geile Ideen, Lösungen für deine Kunden entwickelt, wenn du dich von hierarchischer Führung nicht verführen lässt.
Felix Heiden