Sind die Marktteilnehmer gewappnet für den Vermögensverwaltungs-Kunden von morgen?
In den kommenden 10-30 Jahren werden unvorstellbare Summen an Vermögenswerten von Baby Boomern (Jahrgänge 1946-1964) an die Generation X (1965-1980) und weiter an die Millenials (1981-2000) vererbt werden.
In diesem Zusammenhang wird oft auf die neuen digitalen Kunden und das anbrechende digitale Zeitalter in der Vermögensverwaltung verwiesen. Die gesamte künftige Geschäftsstrategie auf die digitale Affinität der nächsten Kundengeneration auszurichten, dürfte jedoch eine sehr eingeschränkte und gefährliche Sicht sein. Zweifellos wird der selbstverständliche Umgang mit digitalen Hilfsmitteln und digitaler Kommunikation eines der zentralsten Charakter-Merkmale der Kunden von morgen sein. Aber eben nur eine von mehreren Profil-Eigenschaften.
Deshalb ist die zentrale Frage für die Branche nicht, "sind wir auf den digitalen Kunden von morgen vorbereitet", sondern vielmehr "sind wir auf den Kunden von morgen vorbereitet, welcher im Vergleich zu den heutigen Kunden ein viel klareres Profil aufweist"?
Kundensegmentierung
Wer sich Gedanken zur Zukunft der Vermögensverwaltung macht, muss sich zwangsweise intensiv mit den künftigen Kundensegmenten auseinandersetzen. Stellt man heute in der Branche die Frage nach den anvisierten Kundesegmenten, so werden meist Eigenschaften wir Vermögensgrösse und geografische Herkunft genannt. Diese Art der Segmentierung sollte jedoch Geschichte sein. Getrieben durch Generationswechsel, Völkerwanderung, technologischen Fortschritt und die daraus resultierende Aufhebung von Informations-Asymmetrien wird man Kunden in Zukunft sinnvoller nach ihren Verhaltenseigenschaften segmentieren. "Behavior over segmentation" war bereits vor Jahren eine der zentralen Aussagen des Digital Manifesto von Crealogix.
Grosse Marktteilnehmer sollten aus dieser Segmentierung ableiten, wo sie selber die grössten Wachstumsraten sehen. Und daraus folgerichtig entscheiden, wie diese Segmente angegangen, und durch welche Projekte und technologische Hilfsmittel unterstützt werden sollen.
Kleinere Marktteilnehmer sollten auf der Basis der Segmentierung entscheiden, welche Segmente sie aufgrund ihres eigenen Set-Ups, des Know-Hows und der Infrastruktur bedienen können und wollen. Um sich dann auf diese Segmente zu fokussieren und zu spezialisieren.
Für sämtliche Vermögensverwalter von morgen gilt es also parallel zum Kunden von morgen, ein eigenes klares Profil zu erarbeiten. Dies erhöht die Chance auf die Kundeakquisition in der Vermögensverwaltung von morgen massiv. Denn das Einheitsgrössen-Geschäftsmodell wird nicht länger eine Option sein.
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sind nachfolgend einige Merkmale künftiger Kundensegmente kurz ausgeleuchtet.
Digitale Kommunikation
Wie bereits mehrfach erwähnt ist dies definitiv ein wichtiges Segmentierungs-Kriterium. Für gewisse Kunden wird ein alljährliches, dreistündiges Meeting in einem eichengetäferten Sitzungszimmer keine Option mehr sein. Erwartet wird eine viel häufigere, zielgerichtete Kontaktfrequenz mit dem Berater, zeitversetzt und ohne geografische Verschiebung der einen Partei. Zudem sollen resultierende Aktionen sofort und nahtlos ausgelöst werden können. Solche Anforderungen können zweifellos nur mit Hilfe von digitalen Hilfsmitteln umgesetzt werden.
Viele Kunden von morgen werden dieses Kriterium aufweisen, aber sicher nicht alle. Nicht nur weil der Generationswechsel noch eine beachtliche Übergangsphase hat, sondern weil es in einer stärker segmentierten Kundenstruktur auch in Zukunft immer welche geben wird, welche ein bestimmtes Profil-Kriterium nicht aufweisen. Diese Aussage gilt für alle Eigenschaften, und genau aus diesem Grunde lohnt es sich, sich intensiv Gedanken zu dieser Segmentierung und dem eigenen Angebot zu machen.
Sozialer Austausch
Ein Segment der künftigen Kundschaft wird sich durch eine Vorliebe für sozialen Austausch kennzeichnen. Geprägt durch Plattformen mit anderem Inhalt haben diese auch zu ihren Vermögenswerten und Investments einen offenen und unverkrampften Zugang. Deshalb tauschen sie sich dazu nicht nur mit ihrem Vermögensverwalter, sondern auch mit Dritten aus. Für Kunden, welche dieses Segment-Kriterium aufweisen, sind ganz neue Beratungsmodelle denkbar.
Selbstbedienung
Es wird auch ein Kundensegment geben, welches auf vollständige Selbstbedienungs-Modelle in der Vermögensverwaltung anspricht. Dass dies ein dominierendes Kundensegment sein wird, darf aber aufgrund der ersten Erfahrungen bezweifelt werden. Dies ist auch nicht weiter verwunderlich. Haben doch die ersten Robo-Advisor ausgerechnet an jener Stelle angesetzt, wo insbesondere die Schweizer Vermögensverwaltung vermutlich ihre grösste Stärke hat, nämlich an der Direktschnittstelle mit dem Kunden. Diese Modelle dürften erst ansprechende Volumen erreichen, wenn sich auf der Gebührenseite wirklich radikal was tut. Das heutige Prinzip von "viel weniger Service für ein bisschen weniger Geld" ist dafür zu wenig revolutionär.
Informierte Kunden
Was die Ärzte-Branche bereits schmerzhaft erfahren darf, nämlich dass jeder Patient vorgängig Doktor Google konsultiert, dürfte wohl auch die Vermögensverwaltung der Zukunft durchleben. Ein Segment der Kundschaft wird deutlich besser informiert und finanztechnisch auch besser ausgebildet sein. Aber auch hier sei nochmals wiederholt, nur ein Teil der Kundschaft wird diese Profil-Eigenschaft aufweisen. Es wird auch weiterhin weniger gut informierte Kunden, und Kunden mit einem sehr limitierten Zeitbudget für Vermögensfragen geben.
Performance Orientierung
Einhergehend mit der erwähnten besseren Information und Ausbildung der Kunden darf auch für ein Segment der Privatkundschaft eine stärkere Performance-Orientierung erwartet werden. Dieser Trend muss jedoch durch mehrere Aussagen eingeschränkt werden.
Erstens muss beachtet werden, dass gerade das verbesserte Finanzwissen dazu führt, dass die Resultate auch risikoadjustiert beurteilt werden. Zweitens werden Privatpersonen im Verhältnis zum eigenen Vermögen die teilweise irrationalen Verhaltensmuster nie ganz ablegen können. Und als wichtigste, dritte Aussage darf keinesfalls missachtet werden, dass der durch den Vermögensverwalter gestiftete Kundenutzen (hoffentlich) nicht nur aus Performance besteht. Das zweite, schwierig zu definierende, Nutzenelement könnte man ev. mit "Komfort" umschreiben. Jeglicher Komfort welcher dem Kunden im Zusammenhang mit seinem Vermögen und im Zusammenhang mit anderen Vermögensteilhabern gestiftet wird, erhöht dessen Nutzen massiv. Und dies, ohne dass dieser Nutzen so objektiv wie die Performance gemessen werden kann.
Gerade hier eröffnet sich eine Chance für die Vermögensverwaltung der Zukunft. Durch eine gezielte Auseinandersetzung mit diesem Kunden-Komfort, dem eigenen Leistungsangebot und einer eventuellen Erweiterung dessen, können Kunden breiter und längerfristig angebunden werden.
Zweckorientierte Investments
Auch dies wird ein künftiges Kundensegment charakterisieren, nämlich der Wunsch Investments nicht nur auf den eigenen Zweck, sondern auch auf übergelagerte Zwecke auszurichten. Die ganzen "Suitability" Angebote haben bereits seit Jahren an Popularität gewonnen. Aber zweckorientiertes Investieren wird in Zukunft viele weitere Facetten haben, an welchen auch das Angebot und die Wissensbasis der Vermögensverwalter nicht vorbeikommt.
Konsequenz
Die Kunden von morgen werden sich viel klarer nach Verhaltensmustern segmentieren, und Vermögensverwalter tun gut daran, ihr Angebot gezielt auf diese Segmente auszurichten. Dies hat die logische Konsequenz, nicht mehr jeden Kunden bedienen zu wollen, nur weil er das "Grundbedürfnis Vermögensverwaltung" hat. Vielmehr sollte ein eigenes klares Profil erarbeitet werden, welche sich an bestimmte Kundensegmente richtet, welche sich nicht nur nach den oben erwähnten Kriterien unterscheiden.
Auf diesem Wege ist es sicher eine Illusion, die Vermögensverwaltung von morgen mit Technologien von gestern gestalten zu wollen. Und die Technologie von morgen wird definitiv digital getrieben sein. Deshalb jedoch in Panik zu verfallen, vor einer digitalen Disruption, dürfte wohl fehl am Platz sein. Da die heutigen Prozessabläufe in der Vermögensverwaltungs-Branche teilweise seit Jahrzehnten gleich sind, geprägt durch viele manuelle Tätigkeiten, serienweisen Systembrüchen und wenig Automatisierung, ist die Digitalisierung der Brache nicht vergleichbar mit der Digitalisierung in der Industrie. Während in der Industrie auch oft von der 4. Revolution gesprochen wird, ist die Situation in der Vermögensverwaltung wohl eher vergleichbar mit der 2. industriellen Revolution. Es geht darum Prozesse zu standardisieren und zu automatisieren, nicht um den Vermögensverwalter zu konkurrenzieren, sondern um ihn zu stärken. Die grösste Herausforderung der Zukunft der Vermögensverwaltung wird darin liegen, diese Standardisierung der Prozesse zu schaffen, ohne gleichzeitig Produkte und Services zu Tode zu standardisieren.
Geschäftsführer | CTO & CFO
3 JahreSehr interessanter Artikel. Ich komme nicht ursprünglich aus der Finanzbranche, setze mich aber seit geraumer Zeit mit dem Thema intensiv auseinander. Vieles lässt sich in der Tat weitgehend automatisieren. Dies birgt die Chance sich mehr auf Komfort oder das Wohlbefinden des Kunden zu konzentrieren.
#Be independent but still in a strong community - join Aquila Mitglied der Geschäftsleitung / Head Kunden Kooperationen
5 JahreLieber Martin, sehr gut geschrieben