"Soziokratie trifft Leistungsfeedback: Ein Rezept für mehr Selbstverantwortung"
In der modernen Arbeitswelt erleben wir einen Wandel hin zu mehr Selbstorganisation und Eigenverantwortung. Ein Ansatz, der diesen Wandel unterstützt, ist die Soziokratie. Soziokratie bietet nicht nur ein Rahmenwerk für Entscheidungen und Organisationsstrukturen, sondern auch innovative Methoden für Leistungsfeedback. In diesem Artikel möchten Dr. Elsa Breit und Christoph H. beleuchten, wie soziokratisches Leistungsfeedback funktioniert, welchen Nutzen es für Organisationen und ihre Mitglieder stiftet und wie Feedback-Meetings ablaufen. Außerdem teilen wir unsere persönlichen Erfahrungen mit diesem Prozess.
Was ist soziokratisches Leistungsfeedback?
Im Gegensatz zu traditionellen Leistungsbeurteilungen, die oft hierarchisch und einseitig sind, basiert soziokratisches Leistungsfeedback auf den Prinzipien der Gleichwertigkeit und der Transparenz. Es geht darum, regelmäßiges und konstruktives Feedback in einem offenen und respektvollen Umfeld zu ermöglichen.
In soziokratischen Organisationen sind Mitarbeitende in Kreisen organisiert, die bestimmten Aufgabenbereichen entsprechen. Innerhalb dieser Kreise haben die Mitglieder klar definierte Rollen. Leistungsfeedback wird sowohl auf Kreis- als auch auf Rollenebene gegeben.
Anstatt dass nur Vorgesetzte Feedback geben, wird in soziokratischen Strukturen auch das Feedback von Kolleg:innen (Peers) stark gewichtet – und auch die Kolleg:innen können den Vorgesetzten Feedback geben. Dies ermöglicht eine vielfältigere Sicht auf die Leistung und fördert eine Kultur des gemeinsamen Lernens und gegenseitigen Unterstützens.
Vorteile des soziokratischen Leistungsfeedbacks
1. Förderung der Selbstorganisation und Reflexion
Durch regelmäßiges Peer-Feedback lernen Organisationsmitglieder, sich selbst zu reflektieren und Verantwortung für ihre eigene Entwicklung zu übernehmen. Sie üben sich darin, Ermutigung und Verbesserungsvorschläge transparent und konstruktiv zu formulieren.
2. Etablierte Kultur einer lernenden Organisation
Das Format „Leistungsfeedback“ fördert eine Kultur des kontinuierlichen Lernens. Persönliche und rollenbezogene Weiterentwicklung sind darin positiv konnotiert und routinemäßig etabliert. Die Beteiligten produzieren in dem Prozess ein umfassendes Wissen über die Qualitäten, wie Organisationsmitglieder zur Organisation beitragen und was für deren Erfolg wichtig ist.
3. Verbesserte Kommunikation und Zusammenarbeit
Der Feedbackprozess in der Soziokratie fördert den offenen Austausch von Ideen und Meinungen. Dies kann dazu beitragen, Missverständnisse zu vermeiden und die Zusammenarbeit im Team zu verbessern.
4. Erhöhte Transparenz und Fairness
Da das Feedback von mehreren Personen und Quellen und nicht nur von einer hierarchischen Ebene gegeben wird, wird es als fairer und transparenter wahrgenommen. Dies kann das Vertrauen in den Feedbackprozess und in die Organisation insgesamt stärken.
5. Individuelle und kollektive Entwicklung
Durch das Einbeziehen von Feedback auf Kreis- und Rollenebene können sowohl individuelle Entwicklungsbedarfe als auch kollektive Herausforderungen identifiziert und angegangen werden. Insbesondere begleitet das Feedback die Verantwortungsübernahme in neuen Rollen. Dies fördert sowohl die persönliche als auch die organisatorische Weiterentwicklung.
Ablauf eines soziokratischen Feedback-Meetings
Ein typisches soziokratisches Feedback-Meeting folgt einer klaren, die Offenheit und Fairness sicherstellt Struktur (vgl. Rau & Koch-Gonzalez 2018):
1. Vorbereitung: Vor Beginn des Meetings wird festgelegt, wer das Feedback erhält. Diese Person ist die „Fokusperson“. Außerdem wird festgelegt, wer das Treffen moderiert. Diese Rolle sollte nicht die Fokusperson übernehmen, damit sie sich auf das Feedback konzentrieren kann.
2. Eröffnung und Check-In: Das Meeting beginnt mit einem Check-In, bei dem alle Teilnehmer kurz ihren aktuellen Zustand oder ihre Stimmung teilen. Dies hilft, das Bewusstsein füreinander zu schärfen und den Raum für ehrliche Kommunikation zu öffnen. Dann werden kurz administrative Themen geklärt. Falls noch nötig wird kurz geklärt, wer welche Rolle im Meeting einnimmt, z.B. Sekretär*in. Dies stellt sicher, dass alle wissen, wer für welche Aufgabe verantwortlich ist. Alle Teilnehmenden geben Konsent zur Agenda.
3. Feedbackinhalte
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Rollenbeschreibungen verstehen und überprüfen
Was lief gut? (Fokusperson beginnt und endet)
Was könnte besser laufen? (Fokusperson beginnt und endet)
Verbesserungsbereiche
Ideen für einen Verbesserungsplan
Verbesserungsplan
4. Abschluss und Check-Out: Das Meeting endet mit einem Check-Out, bei dem jede:r Teilnehmende kurz zusammenfasst, wie sie:er das Meeting erlebt hat und welche nächsten Schritte er oder sie für sich sieht.
Persönliche Erfahrungen mit soziokratischem Feedback
Letzte Woche haben wir gemeinsam an einem soziokratischen Feedback-Meeting durchgeführt. Dr. Elsa Breit war dabei in der Rolle als Moderatorin und Christoph H. einladende Fokusperson.
Im Check-In wurde eine offene und respektvolle Atmosphäre geschaffen, in der alle im Meeting ankommen konnten. Dies war besonders wichtig, da die Kontexte und Gefühle der Teilnehmenden höchst unterschiedlich waren.
Das Peer-Feedback war ehrlich, konstruktiv und sehr differenziert und beleuchtete Themen aus unterschiedlichen Perspektiven. Ein Teilnehmer beleuchtete etwa die umsichtige und präzise Zusammenarbeit in der Vorbereitung von Meetings, während eine andere Teilnehmerin die Spontaneität im Umgang mit Unvorhergesehenen Situationen betonte.
Das Feedback löste interessanterweise auch einen parallelen Reflexionsprozess bei den Feedback-Gebenden aus. „Meine eigene Spur lief mit“, sagte eine Teilnehmerin; das Feedback habe sehr bereichernde Gedanken für ihre eigene Rolle als Moderatorin angestoßen.
Beim Feedback wurden einige typische Spannungen in soziokratischen Organisationen deutlich. In heterogenen Gruppen das richtige Tempo zu finden, damit sich alle mitgenommen fühlen und gleichzeitig die Agenda und Zeit einhalten? Gar nicht so leicht. Die Kunst der Moderation besteht darin, in solchen Spannungen zu navigieren. Das wurde den Teilnehmenden durch das Feedback bewusst.
Das Feedback war für die Fokusperson sehr wertschätzend und ermutigend. Sie war überrascht davon, welche Stärken die anderen in ihr entdeckten und hat sich vorgenommen, diese weiter zu kultivieren. Das Meeting hat sich auch als nicht-feedbackempfangene Person, wie eine liebevolle Umarmung angefühlt. Am Ende des Meetings konnten alle mit einem guten Gefühl ins Wochenende gehen oder den unterbrochenen Urlaub fortsetzen.
Implementierung und Fazit
Soziokratisches Leistungsfeedback bietet einen innovativen Ansatz, um die Selbstorganisation und Eigenverantwortung in Organisationen zu fördern. Durch die Einbindung von Peer-Feedback und die Förderung von Transparenz und Fairness können neben der individuellen Leistung auch die Zusammenarbeit und die kollektive Entwicklung verbessert werden. Die Einführung eines soziokratischen Feedbacks stärkt Transparenz, Gleichwertigkeit und gegenseitigen Respekt und bedeutet damit häufig einen kulturellen Wandel. Um diesen Wandel zu erleichtern, sollten Organisationsmitglieder in der Soziokratie und im Umgang mit konstruktivem Feedback geschult und sensibilisiert werden. Feedbackprozesse sollten in einzelnen Kreisen oder Teams getestet werden, um Erfahrungen zu sammeln und Anpassungen vorzunehmen.
Es ist an der Zeit, traditionelle Leistungsbeurteilungen zu überdenken und den Weg für eine soziokratische Zukunft zu ebnen. Let‘s go!
Kontakte und Unterstützung
Wer selbst ein Meeting für ein soziokratisches Leistungsfeedback bekommen möchte oder sich fragt, was Soziokratie und Konsent eigentlich sind, meldet euch gerne bei uns. Dr. Elsa Breit als zertifizierte Soziokratietrainerin und Christoph H. als zertifizierter Soziokratiemoderator begleiten euch gerne auf dem Weg.
Weiterführende Praxisliteratur: „Many voices one Song- shared Power with sociocracy – Shared power with sociocracy (2018)“ von Ted Rau und Jerry Koch-Gonzalez, auch auf Deutsch erhältlich
Erwachsenenbildner, Supervisor und Coach
5 MonateVielen Dank, Dr. Elsa Breit , dass du uns mit deiner Moderation einen Raum fürs Lernen und für Transparenz eröffnet hast! Ich zehre von dem Feedback und auch für die Feedback-Gebenden hat das Treffen wertvolle Reflexionen angestoßen.
CX Manager @ Henkel I 1 of 15 #FacesOfHenkel I Corporate Influencer I Customer Experience I Digital Marketing I Building Partnerships & Creating Opportunities
5 MonateSpannendes Thema und sehr interessanter Ansatz! Ich mag vor allem den Aspekt auch innerhalb der Peer Group und abteilungsübergreifend, aber mit ähnlichen Rollenprofile, mit Kollegen zu sprechen. Da gibt es viel Potenzial. Bei Henkel wird das Thema Feedback sehr proaktiv gelebt, und allein durch die internationale Kultur gibt es da immer wieder neue Erkenntnisse. Danke für's Teilen, Elsa!