Speaker Notes #10

Speaker Notes #10

Herzlich willkommen zur zehnten Ausgabe der "Speaker Notes", dem monatlich erscheinenden Newsletter, bei dem es um hörenswerte Reden, Gedanken, Ideen und Tipps zum öffentlichen Sprechen geht. Diesmal geht es um:

die Bühnenkante.

Die Bühnenkante scheint auf manche Redner eine magische Anziehungskraft auszuüben. Ich habe hier bewusst nicht gegendert, denn dieses Phänomen ist mir in über 30 Jahren Erfahrung nur bei Männern begegnet. Vielleicht kompensieren manche Männer hier einen ("Möchtegern"-) Rockstarkomplex... ich weiß es nicht. Auf jeden Fall ist der Tschaka-Faktor bei den Herren, die das machen, in der Regel recht hoch.

Polemik beiseite: Die Bühnenkante ist tatsächlich ein Bereich der Bühne, der für alle Redner*innen wichtig ist, denn die Bühnenkante ist die Trennlinie zwischen Publikum und Bühne. Oft, wie z.B. in Meetingräumen, mehr gedacht als real, aber dennoch kollektiv wahrnehmbar, denn Menschen haben ein sehr feines Gespür dafür, wo funktionale/soziale Bereiche beginnen und enden. Je deutlicher die Bühnenkante erkennbar ist, desto klarer sind die beiden Handlungsbereiche auch räumlich getrennt.

Bei den meisten Bühnen empfiehlt es sich, einen gewissen Abstand zur Bühnenkante einzuhalten. Aus technischen, aber auch aus sozialen Gründen. Und fast immer stehen beide in einer Wechselwirkung zueinander. Auf der Höhe der Bühnenkante, der Null-Linie, befindet sich meist auch das Hauptlautsprechersystem, die PA. Je näher man also mit dem Mikrofon an die Bühnenkante herankommt oder sich gar darüber hinaus lehnt, desto größer ist die Gefahr unangenehmer akustischer Rückkopplungen (Feedbacks). Gleichzeitig sind die Lichtverhältnisse oft so, dass man, je näher man an den Bühnenrand rückt, nur noch teilweise oder gar nicht mehr im Licht steht und somit vom Publikum nur noch sehr eingeschränkt oder gar nicht mehr gesehen werden kann. Wie gesagt, Menschen haben sehr feine Antennen dafür, wo jemand in einer bestimmten Situation „hingehört“, und es braucht schon sehr gute Gründe, um diese unsichtbaren Barrieren zu überwinden, zumal sie meist sehr direkt mit technischen Problemen verbunden sind, die sich dann wiederum (oft negativ) auf die Wirkung und den Eindruck auswirken.

Ich empfehle allen Redner*innen, sich beim Technikcheck mit den Gegebenheiten der Bühne vertraut zu machen. Stellen Sie sich und ggf. auch den Techniker*innen vor Ort die Frage: Wo ist der Bereich, in dem ich gut zu sehen bin und mich akustisch gefahrlos bewegen kann? Machen Sie sich mit diesem Bereich der Bühne vertraut, denn das ist später der sichere Raum, den Sie brauchen, um inhaltlich wirken zu können.

Mann an Bühnenkante.
Zachary Smith/Unsplash
Rockmusiker an Bühnenkante (Zachary Smith/Unsplash)

Abschließend noch ein paar Gedanken zu dem in letzter Zeit immer häufiger zu hörenden Satz „Eine gute Rede ist ein Dialog“. Das stimmt. Leider wird das aber oft so wörtlich genommen, dass man Gefahr läuft, in einer Form mit dem Publikum in Kontakt zu treten, die sowohl technische als auch sozial-räumliche Grenzen überschreitet und dann mit hoher Wahrscheinlichkeit die gewünschte Wirkung verfehlt. Gut gemeint ist nicht unbedingt gut gemacht.

Ein besonders drastisches Beispiel wird mir hier immer in Erinnerung bleiben. Auf einem Kongress sprach ein Referent über ein sehr emotionales Thema, nämlich darüber, wie er zu einem achtsamen und emphatischen Chef geworden ist. Um seine Offenheit, seine Nähe zu unterstreichen, setzte er sich gleich zu Beginn seiner Rede an den Bühnenrand und hielt weite Teile seiner Rede (nur unterbrochen von kurzen Stehpassagen, zwei, drei Schritte vom Bühnenrand entfernt) dort sitzend. Gut gemeint, weil Nähe, ja sogar Intimität suggerierend, und ich glaube sogar, dass das Bedürfnis nach Nähe nicht inszeniert, sondern echt war. Dennoch: katastrophal für die Wirkung. Akustisch permanent untermalt und bedroht von einem sich latent aufschaukelnden Pfeifen, nur für das Publikum im mittleren Bereich der ersten und zweiten Reihe halbwegs gut zu sehen (alle anderen im Parkett konnten ihn nicht sehen, weil er im Halbdunkel nicht weit genug aufragte, und auf den Rängen war nur ein kleiner Punkt im Halbdunkel mittig am Bühnenrand sitzend zu erkennen), kam die Nähe, das Dialogische nur bei einer Handvoll Menschen an - in einem ausverkauften Haus mit knapp 900 Zuschauer*innen. Der überwiegende Rest des sehr wohlwollenden Publikums versuchte, dem Vortrag zumindest akustisch zu folgen.

Wer sich, ob absichtlich oder aus Unwissenheit, derart in seinen eigenen Wirkungsmöglichkeiten untergräbt, darf sich nicht wundern, wenn der Vortrag nicht so gut ankommt, wie er hätte ankommen können. Entsprechend verhalten waren dann auch die Reaktionen des Publikums nach sehr anstrengenden, gefühlt dreimal so langen, 60 Minuten Vortrag die eigentlich auch eine recht kurzweilige Saulus/Paulus-Geschichte hätten sein können.

Achten Sie also bei Ihren Auftritten auf die Bühnenkante. Sie ist nicht umsonst nicht nur eine räumliche, sondern auch eine soziale und in gewisser Weise auch eine magische Grenze, die man nicht unbedacht überschreiten sollte.

Wenn Sie jemanden kennen, den dieser Newsletter interessieren könnte, dann teilen Sie ihn gerne.

Der nächste Newsletter erscheint Ende September.

Herzliche Grüße

Florian Gründel

Jakub Wądołowski

Uczę uczyć | Trener, Coach, Konsultant | Apple Certified Sales Trainer |

4 Monate

It's a fascinating issue.  Sometimes, it is also worth asking yourself if the space requires a sound system. I used to give a short speech in a room where the sound system was unnecessary, but the organizer insisted, and everyone using the microphones had similar problems to those you mentioned.  Those who gave up the sound system could be heard loud and clear. They also had a wider range of tools, such as whispering or quiet speaking.

Zum Anzeigen oder Hinzufügen von Kommentaren einloggen

Weitere Artikel von Florian Gründel

  • Speaker Notes #9

    Speaker Notes #9

    Herzlich willkommen zur neunten Ausgabe der "Speaker Notes", dem monatlich erscheinenden Newsletter, bei dem es um…

  • Speaker Notes #8

    Speaker Notes #8

    Herzlich willkommen zur achten Ausgabe der "Speaker Notes", dem monatlich erscheinenden Newsletter, bei dem es um…

  • Speaker Notes #7

    Speaker Notes #7

    Herzlich willkommen zur etwas verspäteten siebten Ausgabe der "Speaker Notes", dem monatlich erscheinenden Newsletter…

  • Speaker Notes #6

    Speaker Notes #6

    Herzlich willkommen zur sechsten Ausgabe der "Speaker Notes", dem monatlich erscheinenden Newsletter, bei dem es um…

  • Speaker Notes #5

    Speaker Notes #5

    Herzlich willkommen zur fünften Ausgabe der "Speaker Notes", dem monatlich erscheinenden Newsletter, bei dem es um…

  • Speaker Notes #4

    Speaker Notes #4

    Herzlich willkommen zur vierten Ausgabe der "Speaker Notes", dem monatlich erscheinenden Newsletter, bei dem es um…

  • Speaker Notes #3

    Speaker Notes #3

    Herzlich willkommen zur dritten Ausgabe der "Speaker Notes", dem monatlich erscheinenden Newsletter, bei dem es um…

  • Speaker Notes #2

    Speaker Notes #2

    Herzlich willkommen zur zweiten Ausgabe der "Speaker Notes", dem monatlich erscheinenden Newsletter, bei dem es um…

  • Speaker Notes

    Speaker Notes

    Herzlich willkommen zur ersten Ausgabe des Newsletters "Speaker Notes", der ab sofort monatlich erscheinen wird. Hier…

    3 Kommentare
  • Eine PIT-Analyse zur Rede des Bundespräsidenten vom 28.10.2022

    Eine PIT-Analyse zur Rede des Bundespräsidenten vom 28.10.2022

    Über die Rede des Bundespräsidenten vom vergangenen Freitag ist ja schon reichlich geschrieben worden, unter anderem…

Ebenfalls angesehen

Themen ansehen