Speaker Notes #9
Herzlich willkommen zur neunten Ausgabe der "Speaker Notes", dem monatlich erscheinenden Newsletter, bei dem es um hörenswerte Reden, Gedanken, Ideen und Tipps zum öffentlichen Sprechen geht. Diesmal geht es um:
Äußerlichkeiten
Die Bühne ist kein Schutzraum. Dessen muss man sich bewusst sein, wenn man vor Publikum spricht. In dem Moment, in dem man die Bühne betritt und für das Publikum sichtbar wird, ist man eine öffentliche Person, an der ALLES analysiert, kommentiert und kritisiert werden kann. Je nach Bekanntheitsgrad auch schon vorher. Ob Ihnen das gefällt oder nicht, ob es fair ist oder nicht, ob es leicht oder schwer zu ertragen ist, spielt keine Rolle. Sobald man sich exponiert, also öffentlich macht, und ein Auftritt ist die deutlichste Form davon, geht es nicht nur um den Inhalt, sondern auch um einen selbst.
Das kann man derzeit sehr gut an den vielen (teilweise schwer erträglichen) Beiträgen von Spezialisten (zweifelhaften Ranges) zu allen möglichen Themen wie Mimik, Rhetorik, Körpersprache, Charisma (sic) usw. beobachten, die sich mit den Wahlkampfauftritten von Kamala Harris beschäftigen. Ja, es ist stellenweise unerträglich, wie sinnlos, frauenfeindlich und von welch durchschaubarer Agenda viele dieser Beiträge sind, aber das ändert nichts. In öffentlichen Kontexten muss man das aushalten (solange es sich nicht um justiziable Aussagen handelt). Das ist die Kehrseite des öffentlichen Sprechens.
Denn: Alles, was gesagt wird, wie es gesagt wird, wie die Person aussieht, sich kleidet, schminkt, bewegt, spricht, die begleitende Inszenierung, alles ist Teil der Gesamtinszenierung. Wer eine Bühne betritt, ohne sich dieser Gesamtinszenierung bewusst zu sein, kann böse Überraschungen erleben.
Zu einer guten Inszenierung, zu einer guten Vorbereitung eines Auftritts gehören also auch die Äußerlichkeiten. Sie tragen entscheidend zum vermittelten Eindruck bei und sollten gut geplant und (sofern möglich) ausgewählt werden.
Überlegen Sie bei jedem Kleidungsstück, bei Schmuck, bei Accessoires: Welche Botschaft vermittle ich damit (un-/gewollt)? Wer ist meine Zielgruppe und wird es dort eher nützen als schaden? Will ich möglichst neutral wirken oder ein Statement machen? Welche Wechselwirkungen gibt es z.B. mit Mikrofon oder Licht auf der Bühne? Aus langjähriger Erfahrung auf und hinter der Bühne kann ich sagen, dass diese meist ungewollt, überraschend und unangenehm sind. Und von den meisten Sprecher*innen nicht erkannt werden, bevor es zu spät ist, weswegen ich Techniktrainings für Vortragende mache und warum auch das PIT-Modell entstanden ist.
„Ich trage manchmal ganz bewusst eine rosa Federboa in Kommunikationsseminaren oder in interkulturellen Seminaren. Dann warte ich ab, wie lange es dauert, bis die Teilnehmerinnen reagieren. Anschließend thematisiere ich, wie sie reagiert haben, wie lange es gedauert hat und warum manche sofort reagieren und andere vielleicht nie“.
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Rebekka Ludwig und ich haben in unserem Buch „Das PIT-Modell für Präsentationen und Moderationen“ ein ganzes Kapitel den Äußerlichkeiten und dem Umgang damit gewidmet. Der obige Absatz ist ein Auszug daraus. Er zeigt, wie ein einzelnes Detail eine mitunter sehr drastische Wirkung haben kann.
Das Äußere ist ein nicht zu unterschätzender Einflussfaktor bei der Bewertung von öffentlichen Auftritten. Im Spannungsfeld zwischen „Ich muss mich in meiner Kleidung auf der Bühne wohlfühlen“ und „Ich möchte mit meinem Äußeren meine Inhalte unterstützen“ muss man sich je nach Situation immer wieder neu entscheiden.
Vielleicht ein kleiner Trost: Niemand schafft es, immer richtig zu liegen. Das ist unmöglich.
Geniessen Sie den Sommer! Übrigens: Wie Sie abseits der Bühne aussehen und was Sie tragen, ist privat und geht niemand etwas an.
Wenn Sie jemanden kennen, den dieser Newsletter interessieren könnte, dann teilen Sie ihn gerne.
Der nächste Newsletter erscheint Ende August.
Herzliche Grüße
Florian Gründel