Steve Jobs, Angela Merkel und die Chancen der Situation

Steve Jobs, Angela Merkel und die Chancen der Situation

Angela Merkels politische Dramaturgie folgt dem nüchternen und pragmatischen Habitus des legendären „Was bin ich?"-Moderators Robert Lembke, der die Aura eines Fernsehbeamten hatte.

Das Credo der Kanzlerin lautet: Nicht-Handeln, Noch-nicht-Handeln, Später-Handeln. Viele Gegner Merkels versuchten und versuchen sich davon abzugrenzen und inszenieren sich als allwissende Macher. Beispielsweise Peer Steinbrück im vergangenen Bundestagswahlkampf. 

„Während Steinbrück auf das etwas angestaubte Bild des Politikers als zupackendem Haudrauf mit feurigem Reformeifer referenziert und sich selbst als solcher in Pose setzt, bestätigt Merkel, was Frank Parnoy in Wait über die Prokrastinations-Neigung von Spitzensportlern, medizinischen Koryphäen oder auch Investment-Genies herausgefunden hat: ‚Top-Profis versuchen, genau zu verstehen, wie viel Zeit sie für eine Entscheidung zur Verfügung haben, um dann innerhalb dieses Zeitrahmens so lange zu warten wie irgend möglich’“, schreibt Holm Friebe in seinem Opus "Die Stein Strategie", erschienen im Hanser-Verlag.

Da Politik sowieso ein zähes, langwieriges und zeitraubendes Überzeugungsgeschäft ist und aus dem Bohren dicker Bretter besteht (Max Weber), fehlt es den hemdsärmeligen Sprücheklopfern in Macher-Pose häufig an Glaubwürdigkeit. Etwas weniger auf die Sahne hauen, etwas realpolitischer argumentieren und auf die Schwierigkeiten der Umsetzung verweisen. Patentrezept-Rhetorik hat eine zu kurze Halbwertzeit – auch das durchschauen die Wählerinnen und Wähler. Deshalb muss ich mir allerdings keine Merkel-Reden antun.

Spaghetti Arrabiata statt Merkel

In Bonn machte ich mit meiner Frau einen großen Bogen um eine CDU-Großveranstaltung auf dem Marktplatz und genoss bei einem guten Italiener eine würzige Portion Spaghetti Arrabiata – ein echter Wachmacher. Auch das Holm Friebe-Buch ist nicht einschläfernd. Im Gegenteil. Er wagt sich gekonnt an ein Genre, das sich im 17. und 18. Jahrhundert großer Beliebtheit erfreute: Der Klugheitslehre. In Deutschland ist in erster Linie das von Schopenhauer ins Deutsche übersetzte „Handorakel” des Jesuiten Baltasar Gracián bekannt.

Bertholt Brecht hat die Empfehlungen des spanischen Intellektuellen ausgiebig rezipiert. Walter Benjamin hatte das 1931 im Insel-Verlag herausgegebene Exemplar seinem Freund geschenkt und mit einem Vers aus dem Lied „Von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens“ aus der Dreigroschenoper als Widmung versehen: „Denn für dieses Leben ist der Mensch nicht schlau genug“. Brecht versieht 26 der 300 Verhaltensregeln mit An- und Unterstreichungen. Nachzulesen im Brecht-Jahrbuch 23 (1997/98).

Mit sicherem Griff fand Brecht Texte, die er gebrauchen, bearbeiten, verwerten konnte. „Er hatte bekanntlich keine Scheu, sich die Lektüreerfahrung anderer nutzbar zu machen. Auf diese Weise akkumulierte er eine erstaunliche Menge Lesestoff“, so Helmuth Lethen und Erdmut Wizisla. Eine Eintragung offenbart die Lust des Dramaturgen, sich kommentierend mit Graciáns Handlungsanweisungen auseinanderzusetzen: an den Rand der Regel „Nicht mit übermäßigen Erwartungen auftreten“ notiert Brecht in der Höhe der Zeile: „Viel besser ist es immer, wenn die Wirklichkeit die Erwartung übersteigt und mehr ist, als man gedacht hatte.“ Eine Weisheit, die auch der Antipode von Angela Merkel im Wahlkampf beherzigen sollte. Genauso wie das Plädoyer von Holm Friebe für eine Kultur des klugen Abwartens. Apple-Gründer Steve Jobs war davon beseelt: „I am going to wait for the next big thing.“

Demut vor der Zukunft

„Keine vollmundigen Zielverkündigungen, kein wolkiges Wunschdenken, vielmehr Ausdruck von gut abgehangener Klugheit und Demut vor der Zukunft“, führt Friebe aus. Dazu passe, dass Steve Jobs sich seit seiner Collegezeit mit fernöstlicher Spiritualität befasste und vom Zen-Buddhismus inspirieren ließ. Auf der Suche nach einem philosophischen Überbau für die Stein-Strategie werde man am ehesten dort fündig: in den fernöstlichen Lehren und den geharkten Steingärten des Zen, deren Ästhetik vor über tausend Jahren von chinesischen Mönchen nach Japan importiert wurde: „Die Grundprinzipien ‚Kanso’ (Schlichtheit), ‚Shizen’ (Natürlichkeit) und ‚Shibumi’ (Eleganz) kennzeichnen nicht nur die Designsprache von Apple, sondern lassen sich als ethische Maximen im Sinne der Stein-Strategie auf das ganze Leben übertragen“, so das Credo von Friebe.

Die Wirksamkeit entfaltet sich nicht mit der Brechstange von Apologeten einer modellierten Kunstwelt, sondern widmet sich den Chancen der vorliegenden Situation. Handeln durch Nicht-Handeln und dabei das Gras wachsen hören. Genau deshalb wird Merkel das wieder schaffen :-)

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