Strahlung: Der Asbest des 21. Jahrhunderts?
Akku leer
Neulich brachte ich unsere Tochter ins Zürcher Oberland für eine Schnupperlehre. Für ein paar Stunden nach zu Hause fahren lohnte sich nicht mehr…und da unser Elektroauto über Nacht leider nicht an der Ladedose war, wäre es ohnehin gescheitert…
„OK Google, bring mich zu einer Ladesäule in der Nähe eines Migros-Restaurants!“
Ein ganz gutes Co-Working, wie sich gleich herausstellte.
Was denken Menschen über Strahlen?
Zum Beispiel die fünf Damen mittleren Alters vom Tisch nebenan.
„Darf ich Ihnen kurz ein paar Fragen zu elektromagnetischer Strahlung stellen?“
„Jäää, weiss nicht, was meint ihr, wollen wir darüber sprechen?“
Und dann will es gar nicht mehr aufhören:
Ich bedankte mich höflich und setzte mich wieder an meinen Platz am Tisch nebenan. Worüber die Damen wohl die nächste halbe Stunde sprachen? Ich kam kaum nach mit dem Notieren.
Während sie dann irgendwann aus dem Restaurant liefen, war die Frau mit dem Krampf im Bein bereits wieder am Telefonieren…
Wunderfaser
Asbest bedeutet auf Deutsch „unvergänglich“. Einst als Wunderfaser bezeichnet, wissen heute alle um die tödliche Gefährlichkeit dieses Materials.
Schon die alten Griechen hatten Asbestfasern verwendet, beispielsweise als Docht in der ewigen Flamme von Athen. Vor etwa 200 Jahren wurde der Asbest dann für die Kleidung von Feuerwehrleuten verwendet und vor etwa 100 Jahren begann der grosse Boom. Es gab nichts, was für Dämmstoffe und Brandschutz besser geeignet war. Allerdings wurde auch damals schon die Asbestose als Krankheit entdeckt und nach dem zweiten Weltkrieg der klare Bezug zu Lungenkrebs hergestellt.
80 Jahre von der Wissenschaft bis in die Politik
Um 1970 wurde Spritzasbest in Deutschland verboten und 20 Jahre später in der Schweiz. Eine starke Lobby schaffte es, dass es Jahrzehnte brauchte, um nach der Erkenntnis endlich greifende Gesetze zum Schutz der Menschen zu erlassen. Als eines der letzten westlichen Länder erliess Kanada 2018 ein allgemeines Asbestverbot.
In Deutschland gibt es als Folge dieser Zeit noch heute mehr asbestbedingte Todesfälle als tödliche Arbeitsunfälle.
Die Parallelen
Die Anzahl Geräte, welche in unserem Alltag elektromagnetische Felder erzeugen, nimmt stetig zu. Moderne Schaltnetzteile und Umrichter an jeder Ecke zerhacken die Sinusschwingung des Stromnetzes und die ganze Hausinstallation wird zur Antenne hochfrequenter Strahlung. Sogar wenn einzelne Geräte alle Normen erfüllen, kann eine schlechte Installation alles wieder zunichte machen.
Grenzwerte berücksichtigen keine Langzeitwirkungen
Die heute gültigen Grenzwerte am Arbeitsplatz berücksichtigen die unmittelbaren Effekte von elektromagnetischen Feldern und keine Langzeitwirkungen. Das Vorsorgeprinzip, welches wir gerne hoch loben, funktioniert hier also offensichtlich nicht.
Aus der EU-Richtlinie 2013/35/EU, dem wichtigsten Dokument zum Thema:
„In dieser Richtlinie werden die möglichen Langzeitwirkungen einer Exposition gegenüber elektromagnetischen Feldern nicht berücksichtigt“.
Mitarbeiter in einer Gastroküche, welche viele Stunden täglich an Induktionsherden verbringen, dürfen in der EU somit 16x höheren Feldern ausgesetzt werden als Privatpersonen zu Hause, die nur relativ kurze Zeiten an so einem Herd verbringen. Macht das Sinn?
Seh’n wir nichts im Strahlenmeer?
In der Schweiz hat das Staatssekretariat für Wirtschaft schon 2011 einen Bericht herausgegeben, in welchem Hersteller und Branchenverbände aufgefordert werden, etwas zu unternehmen.
Passiert ist offenbar wenig. Der grösste Gastroverband der Schweiz lässt seine Branchenlösung bald rezertifizieren. Kommt das Thema nun auf den Tisch?
„Wir haben mal einen Arbeitshygieniker gefragt und der meinte, es sei kein Problem. Aber ja, wir müssten das schon mal anschauen.“
Und was sagt ein renommierter Schweizer Hersteller von Induktionsherden?
„Wir kennen alle diesen SECO-Bericht, aber wenn wir als einziger Hersteller Abschirmungsmassnahmen ergreifen, bezahlt uns das niemand. Die Zeit ist noch nicht reif.“
Und in den Spitalküchen?
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Dann wird es doch sicher in den Küchen öffentlicher Gesundheitseinrichtungen ein Thema sein, das ernst genommen wird, oder?
Ein grosses Planungsbüro dazu:
„Wir wissen, dass dies ein Problem ist und hoffen jedes Mal, dass die Kunden nicht danach fragen. Wir haben nämlich keine Ahnung, wie damit umgehen.“
Was sagt die SUVA, welche in der Schweiz die Einhaltung der Grenzwerte durchsetzen soll?
„Wir sehen uns nicht als Polizei. Wir wissen, dass die Grenzwerte an ganz vielen Arbeitsplätzen überschritten werden (Schweissen, Stahlverarbeitung usw…), aber wir werden mehr dort gerufen, wo eine Hand oder ein Fuss ab ist…Strahlung messen wir nur, wenn jemand danach fragt. „
Verwaltungsräte und Geschäftsleitungen
Verwaltungsräte sind nicht dafür verantwortlich, dass die Grenzwerte richtig gewählt sind und dass die Wissenschaft ernst genommen wird.
Wer die Asbestprozesse verfolgt hat, weiss aber, dass Erstere sehr wohl verantwortlich sind dafür, wenn über Jahrzehnte gültige Grenzwerte oder allgemeine Erkenntnisse ignoriert werden und jeder findet, der andere müsste eigentlich etwas machen.
Das sind leider einige Parallelen im Umgang verschiedener Stellen mit bekannten Gefahren und es ist durchaus verständlich, wenn Teile der Bevölkerung sich hier im Stich gelassen fühlen.
Wo der Asbest-Vergleich hinkt
Bei allen technischen Vorteilen: Asbest braucht kein Mensch, um gesund zu leben. Keine einzige Faser davon…
Bei den elektromagnetischen Feldern sieht es anders aus. Ohne sie wären wir nicht hier. Es gäbe kein Licht, keine Wärme, keine Art der Bewegung.
Das beste Beispiel ist die Sonne, welche uns täglich mit einer breit gefächerten hochfrequenten Strahlung bewirft:
Ohne die UV-Strahlung könnte unser Körper nicht genügend Vitamin-D produzieren. Ohne die Infrarotstrahlung würden wir in Kürze erfrieren. Zuviel UV zerstört unsere Zellen. Zuviel IR verbrennt uns.
Kein Leben ohne Strahlen
Ohne die vielfältigen Eigenschaften menschgemachter nieder- und hochfrequenter elektromagnetischer Felder wäre unser Leben kaum mehr vorstellbar.
Das ist also ein grosser Unterschied zum Asbest. Wir sollten die Strahlung nicht als etwas Schlechtes betrachten, sondern wir brauchen den Diskurs. Studien sollten ernst genommen werden und Schutzmassnahmen da ergriffen, wo es möglich ist.
Wir wollen den Stahl sicher nicht wieder in der (rauchenden!) Kohle glühen und kaum ein Koch möchte die Klimakrise mit stromfressenden Gusseisenherden beschleunigen.
Modernste Technologien und Simulationsmethoden sollen eingesetzt werden, um einen gesunden Umgang zu finden und die Grenzwerte am richtigen Ort anzusetzen. Vom spielenden Kind bis zur beruflich exponierten Person sollten alle wissen, wie man einen einfachen und sicheren Umgang mit dieser unsichtbaren Gefahr haben kann.
Wir verstehen nicht
Mittlerweile sitzen am Tisch nebenan sechs Männer und diskutieren in einer mir fremden Sprache.
Ich versuche ein Gespräch anzufangen. Chancenlos. Es sind andere Themen, die sie interessieren, einer ist am Handy, sie entschuldigen sich dafür, dass sie mir nicht helfen können.
Geht es so nicht Tausenden von Arbeitnehmern, die täglich treu Ihre Aufgaben erledigen, im Glauben daran, dass nach bestem Wissen und Gewissen dafür geschaut wird, dass ihre Arbeitsplätze sicher sind?
Es ist keine Schande, in diesem Thema ratlos zu sein. Keine Hilfe einzuholen, obwohl es bei mehreren Stellen möglich ist, das ist dann schon eher fragwürdig. Einen kostenlosen SelbstCheck dazu gibt es beispielsweise hier:
Darum mein Aufruf:
Diejenigen, die könnten, sollten wollen müssen!
Doch solange sie nicht müssen, dürfen sie einfach können wollen.
Hier gibt es ein Factsheet mit den 2 wichtigsten Gesetzestexten und 3 Schritten für Ihr Risikomanagement:
... connecting the dots ...
1 JahrDas liest sich irgendwie wie eine Abgechnung und gleichzeitig Hilferuf. Ohnmacht, scheinbar ? Jedenfalls ist das Probkem real. Nur weil man die Strahunc nicht sieht, heißt es nicht, dass sie nicht da ist. Und nur weil eine überwiegende Mehrheit das Falsche macht und sich der Wirklichkeit verschließt, heißt das nicht, dass das richtig ist. Es macht Mühe, selbst zu denken. Es ist bequem, sich von einem Mainstream in Watte packen zu lassen.