Stress ist cool. Was, haben Sie etwa keinen?

Stress ist cool. Was, haben Sie etwa keinen?

Hannes Gsellmann über ein Zeitgeist Phänomen.

Haben Sie auch Stress?

 Natürlich haben Sie auch Stress. Stress gehört zum guten Ton im Wirtschaftsleben. Wer keinen Stress hat, hat zu wenig zu tun. Und wer zu wenig zu tun hat, kann nicht wichtig sein. Und wer nicht wichtig ist hat keine Macht. Keinen Status. Und bekommt keine Anerkennung. Wir brauchen aber alle Anerkennung! Anerkennung ist eines der stärksten geistigen Nahrungsmittel. Also brauchen wir Stress. Um sozial dazu zu gehören, zur Leistungsgesellschaft.

Was ist ihnen beim Lesen der ersten Zeilen denn so durch den Kopf gegangen? Übertrieben? Und wenn sie ganz ehrlich darüber nachdenken….

Die Herausforderungen für Führungskräfte

Führungskräfte haben es heutzutage wirklich nicht leicht. Matrixorganisationen machen Entscheidungen zu zähen Prozessen, in die immer mehr Personen involviert werden müssen. Die Generation Y akzeptiert Führungskräfte längst nicht mehr nur kraft der ihnen verliehenen Position sondern will von Sinn und Inhalt der Aufgaben überzeugt werden. Sie wollen sinnstiftende Arbeit machen, und daneben auch noch gut leben können. Die Loyalität von Arbeitnehmern zu ihrem Arbeitgeber nimmt mindestens genauso ab, wie die umgekehrte Loyalität. Noch vor 15 Jahren hatte der durchschnittliche Westeuropäer etwa 6 Arbeitgeber in einem Arbeitslebenszyklus. Heute sind es angeblich schon 10. Reizüberflutung durch immer neue Kommunikationsmöglichkeiten lässt Arbeitszeit und Freizeit untrennbar ineinander fließen. Man steht frühmorgens auf, und schreibt schnell am Smartphone eine Email an einen Mitarbeiter, weil einem die Sache mit diesem Kunden gleich nach dem Aufwachen eingefallen ist. Nachdem man aus der Dusche kommt, ist die Antwort des Mitarbeiters auch schon da. Die kann man während der Marmeladensemmel zum Frühstück schon dem Kunden weiter leiten.

Langfristiges –nein- nachhaltiges, zielgerichtetes und verlässliches Agieren ist spätestens dann nicht mehr relevant, wenn das Quartalsergebnis leicht rückgängig zum letzten Quartal ist, Analysten eine Verkaufsempfehlung abgeben, der Vorstand nervös ist wegen der bevorstehenden Aufsichtsratssitzung und sie deshalb trotz aller Beteuerungen in offiziellen Unternehmenswert-Prospekten („der Mensch steht im Mittelpunkt unseres nachhaltigen Handelns…“) dazu angehalten werden, ihren Führungsverantwortungsbereich zu reorganisieren, „downzusizen“, fit zu machen. Aber das bitte value-based!

 Also sind wir nicht selbst für unseren Stress verantwortlich. Die Außenwelt macht ihn uns. Sind wir also völlig fremdgesteuert? 

Wovon sprechen wir überhaupt

Sehen wir uns das Phänomen Stress also doch einmal genauer an.

Der Begriff wurde von Hans Seyle verwendet, der damit einen körperlichen Zustand beschrieb, der vorherrscht, wenn ein Mensch in eine sehr herausfordernde Situation gerät.

Nehmen wir einmal an, Ihr Chef kommt in ihr Büro, wirkt etwas ungeduldig und fragt sie, wo denn der Report wäre, um den er sie gestern Abend gebeten hat. Er würde nämlich in 15 Minuten in ein Meeting gehen, und dafür würde er ihn dringend brauchen….. Sie haben die Dringlichkeit dieses Reports aber anders eingeschätzt, und haben damit noch nicht einmal begonnen. Sie merken, wie ihnen heiß wird, und ihr Herz beginnt heftig zu klopfen….

Der in dieser Sekunde des Erkennens auftretende körperliche Prozess ist Stress. Eine Kettenreaktion im Körper startet in Sekundenbruchteilen. Botenstoffe (Corticotropin Release Factor) werden aus dem Hypothalamus ausgeschüttet, diese setzen Hormone im Blutkreislauf frei (Adrenalin, Noradrenalin, Cortisol). Das bewirkt einen Anstieg des Blutdruckes, eine erhöhte Atem- und Herzfrequenz, und ein starkes Anspannen der Muskulatur. Stress also.

Diese körperlichen Prozesse, die den Körper und den Geist nicht nur in höchste Alarmbereitschaft versetzen, sondern ihm auch zu kurzfristigen Höchstleistungen verhelfen können, sind seit der Urzeit des Menschen überlebenswichtig um herausfordernde Situationen zu überstehen und in kurzer Zeit Höchstleistungen erbringen zu können.

Diese Art von Stress ist also keineswegs negativ zu sehen, sondern entstammt dem Überlebenstrieb des Menschen und hat somit sehr viel Sinn. Das Gehirn und der Körper werden kurzfristig zu Höchstleistungen gepusht.

Wenn man durch diese Hochleistungsfähigkeit des Körpers die herausfordernde Situation gut bewältigt hat, tritt ein starkes Glücks- und Zufriedenheitsgefühl ein, die Hormonausschüttungen ebben wieder ab, und auch alle anderen Körperfunktionen normalisieren sich wieder. Man spricht vom sogenannten „EU-Stress“ (EU = griech. für gut). Regelmäßiger EU-Stress ist sogar gesund und erhöht die Leistungsfähigkeit des Gehirns. Zudem wirkt das Erfolgserlebnis bedürfnisbefriedigend und ist ein positiver emotionaler Stimulus, der zu mehr Lebensfreue führt, zu weiteren Leistungen und Erfolgserlebnissen anspornt, und so persönliches Wachstum nicht nur fördert, sondern dafür ein unabdingbare Notwendigkeit ist.

Im Gegensatz dazu spricht man von DI-Stress, und meint damit negativen Stress. Von negativem Stress spricht man dann, wenn sich die herausfordernde Situation durch die körperliche und geistige Aktivierung nicht entschärfen lässt. Also über längere Zeit anhält. Körperlich heißt das also: Der Herzschlag und der Blutdruck bleiben dauerhaft in Alarmzustand, also erhöht, die Muskulatur dauerhaft angespannt (wir nennen sie dann meist „verspannt“), weil der Erfolgszustand, und damit der Entspannungszustand, nicht eintritt.

Zusätzlich passiert aber noch etwas viel Schlimmeres. Die dauerhafte Cortisol-Ausschüttung im Gehirn zerstört Synapsen, also die neuronalen Kontaktstellen von Nervenzellen zu anderen Körperzellen wie Sinneszellen, Muskelzellen u.ä. Diese Synapsen sind aber die eigentlichen „Engstellen“ der Leistungsfähigkeit des Gehirns. Sehr salopp ausgedrückt bedeutet das, dass dauerhafter Stress die Leistungsfähigkeit des Gehirnes zerstört. Dauerhafter Stress macht somit dumm. Und der dauerhafte Ausstoß von Adrenalinen hat noch einen weiteren, nämlich körperlich schädigenden Aspekt. Adrenalin aktiviert das Immunsystem. Der Körper erhöht den Ausstoß von körpereigenem Cortison und wehrt sich so gegen die hohe Adrenalinausschüttung. Es werden also unsere ureigenen Abwehrmechanismen hochgefahren, bloss leider nicht gegen einen externen Feind wie einen Virus, sondern gegen uns Selbst.

Das mit beeinflussende Motiv ist fast immer Angst. Die Angst zu versagen, und dem Anspruch nicht gerecht zu werden zum Beispiel. Angst und Stress machen also dumm.

Diese dauerhafte Anspannung passiert, wie bereits angedeutet, wenn wir die Anforderungen, die wir uns stellen, durch die körperliche und geistige Aktivierung (den EU-Stress) nicht gänzlich erfüllen können, und daher immer wieder zur Höchstleistung ansetzen, und dazwischen der Entspannungszustand nicht mehr eintreten kann. Das kann entweder durch zu hoch gesetzte Anforderungen/Erwartungen sein, oder durch ein sehr kurz aufeinanderfolgendes, zyklisches Auftreten hoher Anforderungen, die dazu führen, dass der Entspannungszustand nicht mehr zur Gänze eintreten kann, und der nächste Anspannungszustand bereits wieder hoch fährt

Und nun kommen wir zum eigentlich interessanten Teil. Was für die einen Menschen Stress ist, ist für Andere gar keine Belastung. Und umgekehrt. Stress ist also durch sehr individuelle Faktoren bedingt. Zum einen sind das natürlich individuelle Fähigkeiten, Erfahrung, das Ausbildungsniveau. Zum Anderen auch durch körperliche und mentale Fähigkeiten. Ein gesunder Körper, das Arbeiten mit Mental – und Entspannungstechniken, regelmäßige Meditation beeinflusst Angst und Anforderungszustände positiv. Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper. Sehr ausgeglichene Menschen kommen nur sehr selten in diese stress-auslösenden Situationen, weil sie auch besser mit Ängsten umgehen können.

Aber das sind eben nur 2 der 3 Einflussfaktoren. Der dritte und wahrscheinlich wichtigste Faktor ist gleichzeitig der Unbewussteste. Unser individuelles Anspruchsniveau. Was sie sich darunter vorstellen können sind folgende beispielhafte Motive:

 1.)           Ich will alles perfekt machen. Das habe ich von meinen Eltern gelernt. Es gibt keine halben Sachen.

2.)           Ich möchte niemanden verletzen. Es allen recht machen. Persönliche, soziale, freundschaftliche Beziehungen sind mir wichtig

3.)           Ich will eine gute Führungskraft sein. Ein Leistungsträger. Aber auch ein guter Ehemann. Und ein guter Vater. Und Vereinsobmann, denn wer soll es denn sonst machen, wenn ich aufhöre.

4.)           Ich will Leistung erbringen. Mich mit anderen messen. Ich brauche permanente Erfolgserlebnisse. Will gewinnen. Wer nicht leistet, ist nichts wert.

5.)           Ich habe Angst, mir mein Leben nicht mehr leisten zu können. Zurückstecken zu müssen. Das meiner Familie erklären müssen. Den Nachbarn, warum kein Firmenwagen mehr vor der Tür steht.

6.)           Ich habe Angst davor, kritisiert zu werden; oder zurückgewiesen. Ich will „geliebt“ werden

7.)           Bloß keinen Fehler machen. Angst blamiert, zurückgesetzt zu werden.

Diese Liste hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Und nun stellen wir uns vor, dass an einem Tag mit ohnehin sehr gut gefülltem Tageskalender und langer Aufgabenliste um 18 Uhr – sie wollten eigentlich bald nach Hause gehen, und haben das auch ihrer Familie angekündigt, ein Anruf von ihrem Chef auf ihrem Mobiltelefon landet, der ihnen kurz und sehr klar mitteilt, dass er bis morgen früh eine Auswertung braucht, die Ihnen sicher 2 Stunden Arbeit kostet. Denken sie sich in die Situation hinein und spüren sie, wie sich ihre Schultermuskulatur anspannt. Ihnen warm wird.

Und dann überlegen sie, welches Motiv bei ihnen im Hintergrund der Antreiber für die Hormon-Ausschüttung ist. Erst wenn sie diese eigenen inneren Antreiber ergründet haben, und damit aus dem Unbewussten ins Bewusstsein gehoben haben, haben sie die Möglichkeit, daran zu arbeiten. In kleinen Dosen. Denn ein Perfektionist , um einfach ein Motiv als Beispiel zu nehmen, kann nur in ganz kleinen Schritten ausprobieren, etwas nicht zu 100% zu machen, sondern vielleicht nur zu 98% Das kostet viel Überwindung, ist aber genauso erlernbar, wie auch das ursprüngliche Motiv durch Vorbilder, Erfahrungen und daraus entstandene Werte erlernt ist.

Stress-Verminderung kann also auf 3 Ebenen passieren:

  1. Kompetenz erhöhen

    (Fachkompetenz, Sozialkompetenz, Führungskompetenz)
  2. Körperlichen und geistigen Ausgleich betreiben (Sport, Ernährung, Meditation, Yoga…)
  3. Sich seiner persönlichen Antreiber /Grundmotive bewusst werden und die Anforderungen an sich selbst individuell etwas reduzieren lerne 

Beginnen können oder sollten sie immer mit ganz kleinen Überwindungen. Wer das Motiv, es allen recht machen zu wollen, sehr stark ausgeprägt hat, und um 18 Uhr noch einen Termin mit seinem Chef hat, der um 18.10 Uhr noch nicht aufgetaucht ist, um 18.20 Uhr noch immer keine Nasenspitze zur Tür herein gesteckt hat, schickt seinem Chef eine sms, dass er/sie heute leider nicht mehr warten kann, und geht nach Hause, und wartet nicht ab, ob der Chef doch noch irgendwann auftaucht. Für jemanden mit dem beschriebenen Grundmotiv kann das eine Qual sein, diesen Schritt zu wagen, Aber der Mut, einen eigenen Anspruch zu hinterfragen und zu reduzieren bringt einen Lerneffekt. Vor allem, wenn nichts Dramatisches passiert. Und danach heißt es weiter üben.

Auf körperlich geistiger Ebene könnten sie beispielsweise folgendes ausprobieren, Sie stehen ab morgen täglich um 10 min früher auf, setzen sich aufrecht (nicht zu bequem) in einen Sessel (mit aufrechtem Rücken auf den eigenen Unterschenkel sitzen ist noch besser. Nun tun sie nichts, als sich auf ihre tiefe Atmung zu konzentrieren. Beim Ausatmen blasen sie eventuell aufkommende Gedanken einfach weg, beim Einatmen füllen sie ihren Körper mit Licht. Tief atmen und möglichst wenig denken ist hier die Devise. Und schon sind sie mitten in einer entspannenden Meditationsübung. 10 Minuten täglich (und regelmäßig) und sie gehen mit deutlich mehr Ruhe in den Tag.

Sicher haben sie aber auch eigene Ideen, auf welchen der 3 Ebenen sie am besten positiv beeinflussbar sind, Worauf warten sie also: nehmen sie sich etwas vor! Und machen sie es, ab heute!

Lassen sie mich es vielleicht auch noch von einer anderen Seite zusammenfassen. Unter Stress versuchen wir fälschlicherweise gerne die Wirklichkeit abzuändern. Das ist aber oft eine Monsteraufgabe, weil sie selten in unserem alleinigen Kontrollbereich ist. Viele Aspekte meiner beruflichen Wirklichkeit sind eben nicht durch mich kontrollierbar, manchmal nicht einmal beeinflussbar. Es wäre also die gesündere Variante, nicht die Wirklichkeit ändert zu wollen, sondern lieber meine Einstellung dazu. Dinge die voll oder teilweise in meinem Einflussbereich und mir Stress verursachen, kann ich verändern. Dazu brauche ich die Erkenntnis, den Willen, und die Konsequenz es zu tun. Mich beeinflussende Situationen, die nicht in meinem Gestaltungsbereich sind, kann ich nur akzeptieren und beobachten. Jede Energieaufwendung in Form von Ärger, Verzweiflung, Hilflosigkeitsgefühl oder Widerstand führt nur zur Schwächung einer Person. Meiner. Situationen nach diesen beiden Aspekten einzuordnen und danach zu handeln (oder eben nicht) ist ein sehr einfaches Handlungskonzept. Es muss uns jetzt in der Stresssituation nur noch einfallen.

Hannes Gsellmann, Partner bei BDO-Consulting in Wien

Hannes.gsellmann@bdo.at

Gerhard Freissmuth

'Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.' (Max Frisch)

8 Jahre

Derzeit ist mein Stresslevel definitiv, aufgrund von Jobverlust, zu gering!

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