Stress + Recovery + Resilienz
Überleben oder sinnvoll Leben - Individuelle Strategien für das 21. Jahrhundert
I. STRESS
Der Begriff "Stress" wurde 1950 von dem austro-kanadischen Arzt Hans Selye in der Medizin eingeführt. Er dient dazu, die REAKTION auf körperliche und psychische Belastungen zu beschreiben. Daher spricht man auch von Stress-Reaktion. Der Begriff kommt ursprünglich aus der Materialprüfung: Die Belastung heißt STRAIN, die Auswirkungen im Material (Risse, Verformungen) werden als STRESS bezeichnet.
Stress ist eine biologische Überlebensfunktion. Stress ist zunächst weder gut noch schlecht, sondern entweder funktional oder dysfunktional. Wir würden heute nicht auf LinkedIn schreiben können, hätten unsere Vorfahren in der Neandertaler Höhle KEINE Stress-Reaktion gezeigt. Wahrscheinlich haben wir auch den letzten Verkehrsunfall verhindern können und unser herausragendes Projekt nur erfolgreich abschließen können, weil wir ebenfalls (körperlich und geisig) entsprechend reagieren konnten. Natürlich(!) ist übemäßiger und anhaltender Stress ungesund - im wahrsten Sinne des Wortes. Allerdings gilt genauso umgekehrt:
OHNE Stress keine Vitalität. Wann waren Sie das letzte Mal verliebt? Falls Sie sich erinnern können, werden Sie auch Ihre inneren Sensationen noch nachempfinden: Purer Stress! Wenn man davon absieht, dass der Zustand von Verliebtheit einer partiellen Bewusstseinstrübung ähnelt, werden Sie vielleicht einige Aspekte Ihrer Stress-Reaktionen garnicht so übel finden. Weiterhin ist Stress ein hochgradig individuelles Phänomen:
Was für den einen als Belastung erlebt wird, ist für den anderen ein Anreiz: Der eine geht zum Bunjee-Jumping, der andere legt sich auf die Couch. Beides ist gut und richtig. Aber nicht für jeden. Ausnahmen von der Regel individuell unterschiedlicher Bedeutungen sind Krieg, Katastrophen und biografische Belastungen (Uwe Böning), wie Berufswechsel, Scheidungen, schwere Krankheiten und Tod von Angehörigen.
Kurz: Leben beinhaltet Stress - ohne Stress hört das Leben auf. Die Kunst besteht in etwas ganz anderem: Wie stelle ich die Balance zwischen Stress und Erholung (Recovery) her?
II. RECOVERY
Damit eine Batterie funktioniert, muss sie aufgeladen sein. Beim Gebrauch eines Kraftfahrzeugs z.B. geschieht dies während des Fahrens durch die Lichtmaschine. Häufig erholen wir uns auch im Laufe eine Tages "by the way": Stress und Erholung wechseln sich ab. Zusätzlich dienen als angenehm empfundene Tätigkeiten der Recovery:
- Als wichtigste ist der Schlaf zu nennen. Nicht nur die Dauer, sondern genauso der ungestörte Wechsel der verschiedenen Phasen (Tiefschlaf und REM als die bedeutensden) ist elementar. Auch hier ist die individuelle Spannweite ein Merkmal: Die meisten von uns benötigen mindestens fünf bis höchsten neuen Stunden. Was darunter liegt ist i.d.R. nicht ausreichend. Chronischer Schlafmangel führt zu Konzentrationsstörungen und darüber hinaus zu körperlichen Beeinträchtigungen.
- Der nächste Erholungsfaktor ist angemessene Bewegung. Angemessen ist höchst individuell zu verstehen: Für den einen ist ein (mindestens) halbstündiger, zügiger Spaziergang (täglich), für den anderen sind es die 10 km Langstrecke. Entscheidend ist: Macht es für mich Sinn? - Zur Erinnerung: Forest Gump "goes the distance", bis er sich genau diese Frage stellte - und aufhörte zu laufen. Nicht die Maximalleistung ist das Ziel der Erholung, sondern vielmehr der Effekt der Übung.
- Weiterhin gehört die Ernährung dazu: Auch diese - wie alles andere - ausgewogen und angepasst. Und mit Genuss zu verspeisen! Nach einer Anekdote zufolge sind in Mumbai 60.000 Fahrradkuriere täglich unterwegs, um jeweils ca. zwei Dutzend Mahlzeiten zu verteilen. Sie kommen von den Wohungen der Menschen und bringen das selbstzubereitete Essen an den Arbeitsplatz. Denn: Nur mit Liebe Gekochtes ist gesund.
- Den Kopf frei bekommen: All das, was unter 5. steht, sowie die Konzentration auf etwas Herausforderndes, Spannendes, Schönes (in Sport, Spiel, Natur, ein anderer Mensch). Oder die Konzentration auf Nichts (z.B. ZaZen: Sitzen in Stille).
- Alles, was der individuellen Erholung dient: Mit anderen Menschen zusammensein, Musik hören, politische/ ökologische/ soziale (und weitere) Aktivitäten durchführen, ins Kino gehen, im Garten arbeiten, ein Buch lesen, ein Buch schreiben, Sport treiben, befriedigenden Sex erleben, Inliner/ Fahrrad/ Motorrad fahren, Entspannungsübungen praktizieren (z.B. PMR, Autogenes Training, Yoga), etc.
- Das Leben genießen. Sich bewusst im Hier und Jetzt wahrnehmen.
III. RESILIENZ
Widerstandsfähigkeit im medizinischen Sinne bedeutet nicht nur Gesundheit oder die Abwesenheit von Krankheit, sondern auch die Robustheit gegenüber zukünftigen Anfälligkeiten. Analog gilt das Gleiche für unsere psychische Widerstandsfähigkeit. Unter "Coping" als Fachbegriff werden verschiedene Ansätze verstanden, welche die gedankliche und gefühlsmäßige Bewältigung von Belastungen bedeuten:
- Das innere, aber trotzdem klar und deutliche STOPP!-Signal für sich selbst setzen. NICHT spontan reagieren, sondern die reflexartige oder impulsive Reaktion unterbrechen. Im Zweifel mit der Faust auf einen festen Gegenstand schlagen (ersatzweise mit dem Fuß aufstampfen). Das gegebenenfalls auftretende Schmerzgefühl lenkt die Energie um. Dann die Situation (innerlich) beschreiben. Alle wahrnehmbaren Aspekte registrieren. Den gewünschten Zustand definieren. Die verschiedenen Lösungsalternativen sammeln. Die beste Variante auwählen. Umsetzen. Prüfen: Wie passt es? - Lehren für die nächste Situation daraus ziehen.
- Die paradoxe Frage beantworten: "Was ist das Gute am Schlechten?" (In Umkehrung des Buchtitels von Paul Watzlawick.) - Vor was (Schlimmerem) bewahrt mich das Problem? Zu welchen Alternativen führt mich die Situation? Worin besteht ein möglicher Nutzen?
- Eine neue Perspektive auf die Situation einnehmen: Eine innere und gegebenenfalls zeitliche und räumliche Distanz zum Problem herstellen. Verschiedene Blickwinkel auf das Geschehen lenken, um dadurch unterschiedliche Bedeutungen zu erkennen. Diese relativierten Bewertungen führen zu einer emotionalen und kognitiven Entlastung. Dadurch werden neue, bisher nicht erkannte Möglichkeiten sichtbar. Im Extremfall erfolgt eine Umdeutung so radikal, wie dies im Film "Das Leben ist schön" der Vater des kleinen Jungen in einem Konzentrationslager tat. Und ganz real von Viktor Frankl in der gleichen Situation praktiziert wurde.
- An sich selbst glauben: Die Überzeugung von der eigenen Wirksamkeit hat entscheidenden Einfluss auf das Ergebnis. Das Phänomen wurde von Albert Bandura detailliert beschrieben. Und Selbstwirksamkeitsüberzeugung ist lernbar: Anhand eigener Erfolge, an den Beispielen anderer, und durch die Neu-Interpretation physiologischer Stress-Phänome: Das berühmte Lampenfieber ist notwendig, um die optimale Leistung zu erbringen.
- Eine innere Vor-Einstellung entwickeln, welche die eigene Weiterentwicklung zum Ziel hat. Carol S. Dweck hat dies als "Growth Mindset" beschrieben: Ich gehe davon aus, dass ich lernen kann, die notwendigen Fähigkeiten zu entwickeln, welche ich brauche, um aktuelle und zukünftige Herausforderungen zu bewältigen. Nicht die Fähigkeit ("Kompetenz") steht im Vordergrund, sondern der Prozess des Lernens. Und die damit verbundene Persönlichkeitsentwicklung.
Grundsätzlich gilt es, die Frage zu beantworten, inwieweit die Stress-Auslöser veränderbar sind. Dies ist in jedem Einzelfall zu prüfen. Hier werden jedoch die Verarbeitung von Stress und die Widerstandsfähigkeit thematisiert. Jede Veränderung beginnt bei mir. Und damit auch, wie ich äußere Faktoren angehe. Das ist jedoch ein neues Thema.
Es gilt weiterhin Heraklit, der bei jedem selbst die Verantwortung für sein Leben sieht: "Ethos anthropo daimon" (des Menschen Haltung wird sein Schicksal).
DU KANNST ☝️ Ende der Geschichte. Systemische Coach & Beraterin I Trainerin Stressbewältigung I Psychotherapeutin (HeilprG) 👉 Für mentale Gesundheit und ganzheitliches Wohlbefinden.
5 JahreSehr fundierter Beitrag👍
Projekt-Management-Mandate Gesundheit & Persönlichkeitsentwicklung
5 JahreEin sehr guter Artikel. Jedes Individuum hat mit zunehmender kognitiver Komplexität seine resp. ihre Mühe. Ohne Bewusstheit unseres eigenen Bewusstseins, wird die jeweilige Haltung mit Sicherheit zum jeweiligen Schicksal. "Das Glück deines Lebens hängt von der Beschaffenheit deiner Gedanken ab." Marc Aurel