Swisscom baut virtuelle Kraftwerke im Ausland

Swisscom baut virtuelle Kraftwerke im Ausland

Swisscom baut virtuelle Kraftwerke im Ausland

Die fehlende Strommarkt-Liberalisierung macht den Schweizer Markt uninteressant

 Von Andreas Schwander

Nach der Stunde der Politiker vor der Abstimmung um die Energiestrategie kommt nun die Stunde der Techniker, welche beweisen müssen, dass die Ziele einer ökologischeren Energielandschaft in der Schweiz auch erreichbar sind. Eine dieser Firmen ist die Swisscom-Tochter Swisscom Energy Solutions, die sich mittlerweile «Tiko» nennt. Sie hat in den letzten Jahren mit Hilfe des Bündner Stromversorgers RePower rund 10 000 Wärmepumpen, Boiler, Nachtspeicherheizungen und andere Geräte zu einem Pool zusammengeschlossen und kann diese über eine Steuerung gleichzeitig ein- und ausschalten. Diese Fähigkeit bietet sie dem Netzbetreiber Swissgrid als so genannte Regelenergie an um Fluktuationen im Stromnetz auszugleichen – genau das, was es in einer künftigen Energiewelt braucht um mehr Wind und Solareinspeisung im Netzt zu stabilisieren.

Gefangene Kunden

 Allerdings harzt das Geschäft in der Schweiz. Grund dafür ist laut Frederic Gastaldo, Chef von Tiko die fehlende Liberalisierung im Strommarkt, die auch auf längere Sicht nicht kommen wird. Als man das System aufgegleist habe, hätte man nämlich noch mit einer baldigen Liberalisierung auch für Privatkunden gerechnet. Dann hätten die Netzbetreiber ihr Produkt verbilligen und verbessern müssen um die Kunden zu halten. Und das wäre der Energiewende zugutegekommen, weil die Netzbetreiber dann ihre Regelsysteme modernisiert hätten. Doch ohne Liberalisierung verfügen die Stromversorger noch auf lange Zeit über Hunderttausende von «gefangener Kunden», deren Stromverbrauch zu klein ist um im freien Markt zu einem anderen Anbieter zu wechseln. Zwar gibt es in der Schweiz durchaus Stromversorger, die nach vorne schauen und kreativ sind. Doch insgesamt fallen mit der fehlenden Liberalisierung für Privatkunden die Anreize für billigere, bessere und effizientere Angebote weg.

 Die Schweiz als Vorführmodell statt als Markt

Tiko sieht deshalb das Schweizer Modell eher als Monolith und Demonstrationsanlage, denn als Geschäftsmodell. In der Schweiz führt man ausländischen Kunden vor, wie es funktionieren soll und verkauft dann die Elektronik und Informatik. Im Gegensatz zur Schweiz werde man deshalb im Ausland sicher keine Bilanzgruppen gründen, sagt Gastaldo. Bilanzgruppen sind Organisationen, die Energiedienstleistungen erbringen und innerhalb deren Systeme die produzierte und verbrauchte Menge Strom immer gleich sein muss. Traditionelle Bilanzgruppen sind öffentliche Stromversorger, mittlerweile haben aber auch Händler, Banken und Industrieunternehmen eigene Bilanzgruppen.

 «Die Schweizer Energieversorger sahen uns immer als eine Art U-Boot der Swisscom, welches das Stromgeschäft unterläuft um dann die Swisscom ins Stromgeschäft zu bringen. Aber das interessiert uns gar nicht», sagt Frederic Gastaldo. Denn Tiko wolle gar nie Strom verkaufen, man wolle lediglich jene elektronischen Systeme verkaufen die nötig sind, um virtuelle Kraftwerke zu betreiben. Und da sind nicht die einzelnen Stromkunden die Zielgruppe, sondern Netzbetreiber, beziehungsweise die lokalen Stromversorger. Das wäre auch in der Schweiz so, wenn sie denn einen Anreiz dazu hätten.

 50 Wärmepumpen steuern kann jeder

Denn die Kunst am Geschäftsmodell von Tiko ist nicht der Verkauf von Strom oder die Teilnahme am Markt für Regelenergie, mit der die Schwankungen im Netz ausgeglichen wird. Das machen andere auch und zudem sind da die Preise in den letzten Jahren so rasant gesunken, dass sich das nur noch in Kombination mit andern Dienstleistungen lohnt. Die Leistung von Tiko sei, betont Gastaldo, die gleichzeitige Aggregierung von sehr vielen elektrischen Geräten. «50 Wärmepumpen gleichzeitig steuern kann heut jeder Ingenieur. Aber 100 000 Anlagen gleichzeitig, das erfordert einen ganz anderen Aufwand. Dafür braucht es neue Übertragungsprotokolle und Datenkompression». Auf diese Weise hat Tiko in der Schweiz zwischen 50 und 60 Megawatt ein – und ausschaltbare Leistung in einem so genannten Regelpool. Für das Ausland gibt die Firma keine Zahlen bekannt, ihre Kunden haben aber mittlerweile rund 7000 Anlagen angeschlossen und machen auf den Winter hin, wenn Regelenergie wichtiger wird, wieder spezielle Kampagnen um mehr private Stromkunden ins System zu holen. 

Während bei der Gründung von Tiko tatsächlich noch die Schweiz im Vordergrund stand, sind es nun die Netzbetreiber in komplett liberalisierten Strommärkten, welche sich für die Produkte von Tiko interessieren und komplette virtuelle Kraftwerke kaufen. Gastaldos Firma hat dort mit dem Endkunden nichts mehr zu tun, sie liefert lediglich elektronische Komponenten und Software an Energieunternehmen, welche dann ihre Kunden direkt kontaktieren. 

Batterien und Eigenverbrauch

Nun geht Tiko noch einen Schritt weiter und bietet ein Batteriesystem an, das sich vor allem für Eigentümer von Solaranlagen ohne KEV-Unterstützung eignen soll. Das jetzige Fördermodell des Bundes sieht für kleine und mittlere solaranlagen keine Einspeisevergütung pro Kilowattstunde mehr vor, sondern einen einmaligen Betrag. Zudem soll explizit der Verbrauch der selber produzierten Energie gefördert werden. Theoretisch ist das attraktiv. Denn der Strompreis nähert sich in verschiedenen Regionen immer mehr dem subventionierten Einspeisetarif an und in Basel ist die so genannte Netzparität schon seit einiger Zeit erreicht. Nur kann man ohne Steuerung lediglich etwa 20 bis 30 Prozent des selber produzierten Stroms wirklich nutzen und speist den Rest zu einem symbolischen Betrag ins Netz. Mit einer Batterie und den entsprechenden Steuerelementen kann der Eigenverbrauch aber bis zu 80 Prozent erreichen. 

Tiko hat deshalb mit zusammen mit dem deutschen Batteriehersteller Sonnen GmbH das Projekt Tiko-Storage lanciert, bei dem die es eine Verbrauchssteuerung und eine Batterie gibt. So kann man beispielsweise selber Tiefkühler und Waschmaschine so steuern, dass sie vor allem über Mittag arbeiten und zu Zeiten, wenn gerade kein Fernseher oder Staubsauger läuft.

Netzgebühren auf Leistung statt auf Energiemenge

Auch diese Batterien werden in einen Regelpool integriert. Das hat für die Kunden Vorteil, dass sie die Batterie rund 30 Prozent günstiger erhalten als wenn sie eine Batterie ohne Steuerung an ihre Solaranlage anschliessen würden. Der Netzbetreiber kann im Gegenzug die Batterien zu virtuellen Kraftwerken zusammenschalten und damit sein Netz besser ausregeln. Gegenwärtig läuft in der Schweiz ein Pilotprojekt mit 200 Teilnehmern. Viele von Ihnen haben schon vorher mit ihren Wärmepumpen im Tiko-Regelpool mitgemacht und haben oft auch schon eine eigene Solaranlage. Doch auch hier sieht Gastaldo den Markt eher im Ausland.

Diese Entwicklung sieht man nicht überall gerne. Heute werden die Netznutzungsgebühren über die bezogene Energiemenge in Kilowattstunden abgerechnet und betragen knapp die Hälfte des verrechneten Strompreises. Wenn Konsumenten nun nur noch ein Fünftel der Energiemenge brauchen, fällt dem Netzbetreiber ein grosser Teil der Erträge weg. Doch das Netz muss er trotzdem weiter betreiben und instandhalten. Es gibt deshalb inzwischen Modelle, bei denen die Netznutzung nicht mehr für die Energiemenge, sondern für die installierte Leistung, sprich für die Dicke des Kabels bezahlt wird. Damit liesse sich dieses Problem lösen. Vorbild sind dabei etwa Strassenverkehrssteuern, die sich vielfach nach Hubraum oder Leistung eines Autos richten und nicht etwa nach gefahrenen Kilometern. 

Der konservative Geist bremst

Insgesamt müssen solche virtuellen Kraftwerke in der Stromwelt eine immer wichtigere Rolle spielen. Allerdings hemmt laut Gastaldo der konservative Geist und die fehlende Liberalisierung in der Schweiz auch weiterhin die Entwicklung. So ist die Schweiz für die Schweizer High-Tech-Energie-Industrie als Entwicklungslabor hervorragend geeignet, als Markt jedoch bis auf weiteres eher uninteressant. 

 

 

 

 

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