Systemiker kümmern sich nicht um die Menschen? So ein Blödsinn!
Bild von Susanne Jutzeler, suju-foto auf Pixabay

Systemiker kümmern sich nicht um die Menschen? So ein Blödsinn!

Organisationsberatern mit einem system-theoretischen Hintergrund wird gerne mal vorgeworfen, sie kümmerten sich nicht um die Individuen in den Organisationen beziehungsweise vergäßen sie sogar. Das Vorurteil begegnet mir immer wieder und mein Ansinnen ist, es hier zu entkräften. Die oftmals absurde Debatte „System oder Mensch“ entspinnt sich dabei oft am Thema Veränderung. Da gibt es eine (leider) immer noch breite Mehrheit an Beratern & Co., die beständig formulieren, wie sehr Menschen ihre Routinen lieben und wie sehr sie Veränderung scheuen. Mit dieser Grundannahme im Gepäck wiederholen sie dann Mantra-artig ihre Sicht auf Change. Nämlich so:

„… das Warum und Wofür für die Mitarbeitenden verständlich formulieren.“

„… doch wenn sie Veränderung mitgestalten dürfen…“

„…Identifizierung von ‚Change-Schmerzen‘, um Betroffene zu Beteiligten zu machen.“

„Je älter die Mitarbeitenden sind, je mehr ihr Leben und Arbeiten in angenehm ruhigen Bahnen verläuft, umso weniger haben sie Lust auf Veränderung.“

„Der Widerstandsfaktor „Mensch“ … […] … Nur rund fünf Prozent der Menschen sehen eine Veränderung wirklich als Chance.“

„Holen Sie alle wichtigen Entscheider ins Boot, Entscheider und Umsetzer!“

„Mitarbeiter stellen immer wieder die gleichen Fragen rund um die Notwendigkeit.“

„Widerstand ist der siamesische Zwilling der Veränderung“

„Als Führungskraft fehlt Ihnen oftmals die Zeit, um ausreichend über anstehende Veränderungsprojekte zu informieren, sich überhaupt über den Umgang mit Widerstand Gedanken zu machen.“

„Widerstand ist eine verschlüsselte persönliche Botschaft.“

„…nach dem ersten Verdacht (auf Widerstand) muss die jeweilige Reaktionsweise des Mitarbeiters benannt und beschrieben werden.“

(Dies sind Zitate aus Artikeln der jüngeren Zeit auf heise, haufe.de, Computerwoche, CIO.de, Zeit, karrierebibel, t3n.)

Was dann aus all diesen Zuschreibungen, Interpretationen, Vorurteilen und Stereotypen folgt sind die ebenfalls stets gleichlautenden Vorschläge à la

Die Menschen befähigen, mitnehmen, an Bord holen, dort abholen, wo sie stehen, gestalten lassen, befähigen und Betroffene zu Beteiligten machen. Auch Führungskräfte kommen bei diesen Sichtweisen nicht besonders gut weg, werden als unselbstständig und supportbedürftig betrachtet. Sie brauchen schließlich mindestens einen Kommunikationsberater, der ihnen die Kernaussagen zu Sinn und Zweck der Veränderung mundgerecht vorkaut, damit die Führungskraft selbst diese dann lediglich als Sprechautomat ausgeben braucht.

Das Bild, das in all diesen Artikeln und Aufsätzen gezeichnet wird, hat ein Gefälle. Da gibt es die Einen, die sich den Change ausdenken und die Anderen, die nicht wollen. Schon rein logisch betrachtet ist das Murks, denn es wird von einzelnen Beobachtungen auf eine allgemeine Regel geschlossen. Dass nennt sich Induktion und führt in diesem Fall zu einem logischen Fehlschluss. Das aber nur am Rande.

Und jetzt kommen Menschen wie ich, Systemiker also, und sagen so Dinge wie

·        Schaut auf die tatsächlichen Dynamiken (Feedbackschleifen)

·        Beachtet die Relevanz der angedachten Veränderung für das große Ganze

·        Sucht nach möglichen gegenläufigen Dynamiken

·        Beachtet den konkreten Kontext

·        Stellt gut Hypothesen auf, mit welchen Interventionen die Veränderung gelingen kann

·        Dann und wirklich erst dann: Schafft die notwendigen Rahmenbedingungen, damit die Teams überhaupt wie angedacht handeln und erfolgreich sein können. Fragt dazu die Teams, also die Menschen, was sie genau benötigen

Das nenne ich menschenfreundlich. Der einzelne Mensch wird mitnichten vergessen oder übersehen, im Gegenteil. Ich unterstelle allen Mitarbeitenden, Führungskräften, Geschäftsführenden, Vorständen, also allen Menschen, dass sie erwachsen, intelligent und eigenverantwortlich sind. Aus diesem Grund werden sie nicht so explizit hervorgehoben. Muss ja auch nicht, weil die Menschen gar nicht „verarztet“ werden müssen. Eine Bemerkung noch zu guter Letzt: Es geht niemals um Mensch oder System, es ist immer Mensch UND System.


Angela Behler

Ihre Business Mentorin mit frischen Impulsen zu Kommunikation für Change, Nachfolge oder Marketing.

5 Jahre

Danke Stephanie Borgert für diese präzise Formulierungen!!

Gitta Spörer

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5 Jahre

Der Begriff Systemiker ist für viele Menschen negativ besetzt, da sie davon ausgehen, dass sie in ein System eingepasst werden sollen. Da entstehen Widerstände und es wird auf Positionen verharrt, die es allen Beteiligten schwer machen. Die Basis für den Erfolg ist die richtige Kommunikation, die Menschen unabhängig vom Alter, Karrierelevel und Zielen dazu bewegt Veränderungen aktiv mitzutragen, Ideen einzubrigen und sich als Teil des Ganzen und als Team verstehen.

Carola Ritzinger-Roll MSc, MBA

Strategie- und Nachhaltigkeits-Managerin | Kybernetikerin bei JELBA Werkzeug und Maschinenbau GmbH & Co. KG

5 Jahre

Hallo Stephanie Borgert, das sehe ich genauso. Nur weil der Schwerpunkt des persönlichen Interesses liegt, bedeutet das im Umkehrschluss nicht automatisch, dass die im System verankerten Menschen vergessen und oder vernachlässigt werden. Schön finde ich, dass wir ganz ähnliche Auffassungen teilen, siehe mein zweiter Blogartikel zum Thema "Mensch und System". https://thinkdifferent.news/2019/03/25/wie-sieht-es-aus-das-system-fur-den-menschen/

"Menschenfreundlich" finde ich eine gelungene Formulierung 

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