Taktik im Arbeitsrecht – So verringern Sie als Arbeitgeber das Annahmeverzugslohnrisiko! Wichtiges, neues Urteil des BAG

Taktik im Arbeitsrecht – So verringern Sie als Arbeitgeber das Annahmeverzugslohnrisiko! Wichtiges, neues Urteil des BAG


Eine aktuelle Entscheidung des BAG (Urteil vom 07.02.2024, 5 AZR 177/23) gibt der Personalpraxis wichtige Hinweis für den richtigen Umgang mit Annahmeverzugslohnansprüchen.

Das BAG zeigt in der Entscheidung auf, wie Sie als Arbeitgeber ihre finanzielle Belastung im Nachgang eines verlorenen Kündigungsschutzprozesses in bestimmten Konstellationen verringern können und was Sie tun können bzw. müssen, um den Einwand des böswilligen Unterlassens von Zwischenverdienst wirksam erheben zu können.


Der rechtliche Hintergrund 

Was ist eigentlich Annahmeverzug?

Annahmeverzug liegt allgemein vor, wenn der Gläubiger die ihm angebotene Leistung nicht rechtzeitig zum Leistungszeitpunkt annimmt.

 

Und was ist Annahmeverzugslohn?

§ 615 BGB regelt, dass Sie als Arbeitgeber – sofern Sie sich im Annahmeverzug befinden - auch die nicht vom Arbeitnehmer geleisteten Dienste vergüten müssen (Annahmeverzugslohn), ohne dass der Arbeitnehmer zur Nachleistung verpflichtet ist.

§ 615 BGB stellt somit eine Ausnahme vom Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ dar.

 

Besonderheiten des Annahmeverzugs im Arbeitsrecht

Bei einer arbeitgeberseitigen Kündigung ist ein arbeitnehmerseitiges Angebot der Arbeitsleistung nach Ablauf der Kündigungsfrist grundsätzlich überflüssig. Im Ausspruch der arbeitgeberseitigen Kündigung liegt nach der ständigen Rechtsprechung des BAG grundsätzlich die Weigerung des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer nach Ablauf der Kündigungsfrist einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen.

 

Wie können Sie sich als Arbeitgeber effektiv gegen die Geltendmachung von Annahmeverzugslohn zur Wehr setzen?

Der Arbeitnehmer muss sich auf das Arbeitsentgelt, das Sie ihm als Arbeitgeber für den Zeitraum nach der (unwirksamen) Kündigung (d.h. nach dem Beendigungsdatum) schulden, u.a. dasjenige anrechnen lassen, was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen (§ 11 Nr. 2 KSchG).

In diesem Zusammenhang hatte das BAG mit Urteil vom 27.05.2020 (5 AZR 387/19) entschieden, dass Sie als Arbeitgeber gegen den Arbeitnehmer, der Vergütung wegen Annahmeverzugs fordert, u.a. einen Auskunftsanspruch über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsvorschläge haben.


Praxistipp:

Auf diesen Auskunftsanspruch allein sollten Sie sich als Arbeitgeber jedoch nicht verlassen.

Vielmehr erscheint es in vielen Konstellationen geboten, als Arbeitgeber selbst aktiv zu werden und dem Arbeitnehmer Stellenangebote selbst vorzulegen.

 

Das aktuelle Urteil

Das heute vorgestellte Urteil des BAG (Urteil vom 07.02.2024, 5 AZR 177/23) setzt sich ausführlich mit den Voraussetzungen des böswillig unterlassenen Zwischenverdienstes auseinander und gibt wichtige Hinweise für Arbeitgeber.

 

Meldet sich der Arbeitnehmer nach einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend und geht er deren Vermittlungsangeboten nach, wird ihm regelmäßig keine vorsätzliche Untätigkeit vorzuwerfen sein, so das BAG. Das BAG stellt in diesem Zusammenhang auch klar, dass Arbeitnehmer nicht generell und ohne weiteres verpflichtet seien, sich unermüdlich um eine zumutbare Arbeit zu kümmern. Das BAG erteilt insofern ausdrücklich der Rechtsauffassung des LAG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 30. September 2022 – 6 Sa 280/22 – Rn. 153), wonach der Arbeitnehmer in einer solchen Situation verpflichtet sei, im zeitlichen Umfang einer Vollzeitstelle Bewerbungsbemühungen zu entfalten, eine Absage.

 

Gleichfalls betont das BAG – und dieser Punkt ist für Sie als Arbeitgeber wichtig – auch, dass Sie als Arbeitgeber die Möglichkeit haben, dem Arbeitnehmer geeignete Stellenangebote, z.B. aus Zeitungsannoncen oder privaten „Jobportalen“ zu übermitteln, um ihn aktiv zur Prüfung anderweitiger Beschäftigungsoptionen zu veranlassen.

 

 

Wie gehen Sie als Arbeitgeber also sinnvoll vor?

Als Arbeitgeber haben Sie - wenn Sie vor dem Arbeitsgericht auf die Zahlung von Annahmeverzugslohn verklagt werden und den Einwand des böswillig unterlassenen Zwischenverdienstes erheben wollen - grundsätzlich im ersten Schritt im Einzelnen darzulegen, dass für den Arbeitnehmer im Verzugszeitraum konkrete Beschäftigungsmöglichkeiten bestanden haben (primäre Darlegungslast).

Bezüglich der Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit und des Jobcenters steht Ihnen als Arbeitgeber (siehe oben) bekanntlich ein Auskunftsanspruch gegen den Arbeitnehmer zu.

Zu den unterbreiteten Vermittlungsvorschlägen der Agentur für Arbeit und des Jobcenters und seinen hierauf folgenden Bemühungen hat sich der Arbeitnehmer im Prozess näher zu erklären.


Das BAG hebt nunmehr erstmalig hervor, dass entsprechendes gilt, wenn Sie als Arbeitgeber im Annahmeverzugsprozess darlegen und im Streitfall beweisen, dass Sie dem Arbeitnehmer selbst geeignete Stellenangebote übermittelt haben. Mit diesen von Ihnen als  Arbeitgeber übersandten Stellenangeboten hat sich der Arbeitnehmer – im zumutbaren Rahmen – auseinanderzusetzen und sich zu bewerben. Hierzu hat sich der Arbeitnehmer zu erklären und darzulegen, was er unternommen hat.

 

 

Das Wichtigste

Ein Arbeitnehmer muss sich grundsätzlich auch auf alle zumutbaren Stellenangebote bewerben, die Sie ihm als Arbeitgeber während des Verzugszeitraums im Einzelnen vorgelegt bzw. übersandt haben.

 

Das BAG betont, dass Sie als Arbeitgeber dem Arbeitnehmer konkrete Stellenangebote vorlegen müssen. Insbesondere reicht wie z.B. im vorliegenden Fall ein Hinweis auf die seit Jahren niedrige Arbeitslosenquote nicht aus. Aus Statistiken lässt sich nicht das Vorhandensein einer konkreten tatsächlichen zumutbaren Arbeitsmöglichkeit ableiten. 

 

Das vorliegende Urteil zeigt ein probates Mittel auf, wie Sie als Arbeitgeber vorgehen können, um Ihr Annahmeverzugslohnrisiko gerade in Zeiten des in vielen Branchen existierenden Arbeitskräftemangels mit einer Sichtung von offenen Stellenanageboten effektiv zu verringern.

 

 

Wie finde ich als Arbeitgeber offene Stellenangebote?

Hier wären zunächst klassische Stellenanzeigen in Zeitungen zu nennen. Sodann sind regelmäßig private Jobbörsen im Internet zu sichten.

Das BAG weist in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hin, dass Sie sich als Arbeitgeber über Stellenangebote im Internet z.B. über die öffentlich zugänglichen Angebote der Agentur für Arbeit (Selbstinformationseinrichtungen iSd. § 35 Abs. 3 Satz 1 SGB III) Kenntnis über bestehende Vermittlungsmöglichkeiten verschaffen können und insofern die Möglichkeit haben konkret zu Beschäftigungsmöglichkeiten vorzutragen und damit ihrer primären Darlegungslast nach § 11 Nr. 2 KSchG zu genügen.


 

 

Weitere Schwerpunkte des Urteils

 

Ebenfalls interessant und praxisrelevant sind die weiteren Hinweise des BAG, inwiefern das Verhalten des Arbeitnehmers im Rahmen von Bewerbungen den Vorwurf des böswilligen Unterlassen tragen kann.

So habe das Landesarbeitsgericht nicht ausreichend berücksichtigt, dass der Kläger durch seine Äußerungen gegenüber der Agentur für Arbeit die Ursache dafür gesetzt habe, dass ihm von dieser über ein Jahr lang (von Ende 2017 bis Januar 2019) keine Vermittlungsvorschläge unterbreitet wurden.

Hierzu heißt es im Urteil unter Rn. 36:

 

Wie sich aus dem vom Landesarbeitsgericht in Bezug genommenen E-Mail-Verkehr zwischen dem Kläger und der Agentur für Arbeit ergibt, hat er der zuständigen Sachbearbeiterin mitgeteilt, er könne sich anderweitig bewerben, wenn man ihn dazu zwinge. Er werde einem potentiellen Arbeitgeber aber bei Bewerbungen – noch vor einem Vorstellungsgespräch – mitteilen, dass ein Gerichtsverfahren mit dem letzten Arbeitgeber laufe und er unbedingt dort weiterarbeiten wolle. Dieses Verhalten ist – auch unter Berücksichtigung sozialrechtlicher Handlungspflichten – in der Interessenabwägung zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen. Zwar ist es richtig, dass ein Arbeitnehmer in der Situation des Klägers auf die Frage eines potentiellen neuen Arbeitgebers im Bewerbungsprozess Angaben dazu machen darf bzw. muss, wie sich die Situation bezüglich des gekündigten „vorherigen“ Arbeitsverhältnisses darstellt (…) Auch kann dem Kläger nicht zum Nachteil gereichen, dass er sich gegen unwirksame Kündigung(en) gewehrt hat und das Arbeitsverhältnis zur Beklagten fortsetzen wollte. Der Kläger hat jedoch eine Vorgehensweise angekündigt, mit der er von vornherein verhindern wollte und konnte, dass seine Bewerbung in die engere Wahl kommen könnte. Ein ungefragter Hinweis auf ein laufendes Gerichtsverfahren mit dem bisherigen Arbeitgeber schon vor einem Vorstellungsgespräch entspricht nicht dem Verhalten einer tatsächlich um eine Beschäftigung bemühten Person.“

 

 

Bei Fragen und Anmerkungen zu diesem Urteil oder zum Thema Annahmeverzug sprechen Sie mich gerne an.

 

 

Jens Buchwald

Fachanwalt für Arbeitsrecht

(jb@scharf-und-wolter.de)

 

 

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