Neue Rechtsprechung zum Annahmeverzugslohnanspruch nach Kündigung
Bei einem Arbeitsvertrag handelt es sich um einen sog. Austauschvertrag. Austauschverträge sind dadurch gekennzeichnet, dass eine Vertragspartei ihre Leistung nur deswegen erbringt, weil sie dafür eine Gegenleistung erhält.
Wenig überraschend regelt das Gesetz, dass diese Gegenleistung nicht geschuldet ist, wenn die vertragsmäßige Leistung nicht erbracht werden kann (vgl. § 326 BGB).
Dieser Grundsatz gilt auch im Arbeitsrecht: „Ohne Arbeit kein Lohn“.
§ 615 BGB enthält allerdings eine wichtige Ausnahme („Lohn ohne Arbeit“). Der Arbeitnehmer behält seinen Lohnanspruch, obwohl nicht gearbeitet wurde, wenn der Arbeitgeber die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nicht annimmt.
Diesem Risiko ist der Arbeitgeber nach Ausspruch einer Kündigung regelmäßig ausgesetzt. Mit der Kündigung bringt der Arbeitgeber nämlich zum Ausdruck, dass er die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers – ggf. nach Ablauf der Kündigungsfrist – nicht mehr annehmen werde.
Wenn der Arbeitnehmer gegen die Kündigung klagt und gewinnt, dann stellt das Arbeitsgericht das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses fest. Der Arbeitnehmer kann seine Lohnansprüche dann nachträglich – auch über den Kündigungstermin hinaus – geltend machen. Denn der Arbeitgeber hat die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nicht angenommen (sog. „Annahmeverzugslohnrisiko“).
Da der Arbeitnehmer hierdurch jedoch keinen Vorteil erlangen und seine Arbeitskraft nicht doppelt monetarisieren soll, ist bei einem anderen Arbeitgeber erzielter Verdienst annahmeverzugslohnmindernd zu berücksichtigen (vgl. §§ 11 KSchG, 615 S. 2 BGB).
Außerdem muss sich der Arbeitnehmer auch solchen Verdienst anrechnen lassen, der tatsächlich nicht erzielt worden ist, jedoch hätte erzielt werden können. Denn der Arbeitnehmer soll den Arbeitgeber nicht böswillig schädigen, indem er sich auf dem Annahmeverzugslohn „ausruht“.
Arbeitgeber müssten jedoch im Streitfall beweisen, dass der Arbeitnehmer eine Verdienstmöglichkeit böswillig vereitelt hat.
Hierzu sind jüngst drei interessante Urteile ergangen.
LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 30.09.2022, Az.: 6 Sa 280/22:
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg hat in diesem Urteil eine auf Annahmeverzugslohn gerichtete Klage des Arbeitnehmers abgewiesen.
Nachdem der Kläger mit seiner Kündigungsschutzklage gegen die Arbeitgeberin obsiegt hatte, machte er in einem weiteren Verfahren nach Maßgabe der in der Einleitung dargestellten Grundsätze Annahmeverzugslohn gegenüber der Beklagten geltend.
Die Beklagte wandte ein, der Kläger habe es böswillig unterlassen, anderweitigen Verdienst zu erzielen.
Dazu konnte die Beklagte naturgemäß jedoch keine konkreten Tatsachen vortragen. Stattdessen machte sie einen Auskunftsanspruch gegenüber dem Kläger geltend und rügte – nachdem der Kläger Auskunft erteilt hatte – Quantität und Qualität der Bewerbungen des Klägers.
Das LAG Berlin-Brandenburg hat die Klage abgewiesen. Dazu bewertete das Gericht auch die Bewerbungs-bemühungen des Klägers.
Da sich der Kläger nur auf drei von 23 Vermittlungs-vorschlägen der Agentur für Arbeit beworben hatte und die Qualität dieser Bewerbungen mangelhaft war (Rechtschreibfehler etc.), nahm das LAG an, dass es der Kläger böswillig unterlassen habe, anderweitigen Verdienst zu erzielen.
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Das LAG Berlin-Brandenburg betritt mit dieser Entscheidung insoweit Neuland, als dass es die Bewerbungsbemühungen des Klägers bewertet und diesen die Ernsthaftigkeit abspricht. Dies hat die Rechtsprechung bisher nicht getan.
ArbG Stuttgart, Urt. v. 23.02.2023, Az.: 25 Ca 956/22:
Das Arbeitsgericht Stuttgart hat eine Klage auf Annahmeverzugslohn mit der Begründung abgewiesen, der Kläger sei seiner (sekundären) Darlegungslast im Prozess nicht ausreichend nachgekommen.
Die Beklagte hatte sich gegen die Annahmeverzugs-lohnforderung verteidigt, indem sie vom Kläger Auskunft über tatsächlich erzielten Verdienst sowie über von der Bundesagentur für Arbeit unterbreitete Vermittlungs-vorschläge verlangte. Sie behauptete, dass der Kläger anderweitige Verdienstmöglichkeiten gehabt hätte.
Dazu hat der Kläger keine weiteren Erklärungen / Stellungnahmen abgegeben.
Das Arbeitsgericht Stuttgart wies die Klage daraufhin ab. Mangels eigener Kenntnisse hinsichtlich der Vorgänge in der Sphäre des Klägers, habe die Beklagte nichts Konkreteres zu tatsächlich erzieltem oder böswillig vereiteltem Zwischenverdienst des Klägers vortragen können. Der Kläger habe diese Möglichkeit gehabt, sei ihr aber nicht nachgekommen. Dies führe nach Ansicht des Arbeitsgerichts Stuttgart zur Abweisung des Zahlungsklage des Klägers.
Fazit:
Das Bundesarbeitsgericht hat Arbeitgebern jüngst einen Auskunftsanspruch über erhaltene Vermittlungsvorschläge der Bundesagentur für Arbeit zugebilligt (BAG, Urt. v. 27.05.2020, Az.: 5 AZR 387/19). Die Arbeitsgerichte beginnen nun, diese Rechtsprechung mit Leben zu füllen.
Die dargestellten Entscheidungen verdeutlichen, welche Hebel Arbeitgeber inzwischen in der Hand haben, um sich gegen Annahmeverzugslohnforderungen zur Wehr zu setzen. Einfach abzuwarten und ein stetig steigendes Annahmeverzugslohnrisiko als Argument für hohe Abfindungsforderungen zu nutzen, wird für Arbeitnehmer zukünftig schwieriger.
Zu dieser gewandelten Rechtsprechung mag auch der Fachkräftemangel in vielen Branchen bzw. die allgemeine Arbeitsmarktsituation beitragen. So wäre zu erklären, weshalb das LAG Berlin-Brandenburg auch die Bewerbungsbemühungen bewertet.
Ein weiteres Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urt. v. 29.03.2023, Az.: 5 AZR 255/22) zeigt jedoch, dass der Themenbereich „Annahmeverzugslohn“ für Arbeitgeber insgesamt komplexer wird.
In dem vom BAG entschiedenen Fall hatte der Arbeitgeber eine fristlose Kündigung ausgesprochen und dem Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess sodann angeboten, für die Dauer des Verfahrens weiter beim Arbeitgeber zu arbeiten (sog. „Prozessbeschäftigung“).
Nachdem der Arbeitnehmer dieses Angebot abgelehnt hatte, wandte der Arbeitgeber ein, der Arbeitnehmer habe böswillig die Erzielung von Verdienst unterlassen. Er habe daher keinen Anspruch auf Annahmeverzugslohn.
Das Bundesarbeitsgericht schloss sich dieser Auffassung nicht an.
Wenn ein Arbeitgeber eine außerordentliche Kündigung ausspricht und dann zur Vermeidung von Annahmeverzugslohnansprüchen eine Prozessbeschäftigung anbietet, verhalte sich der Arbeitgeber widersprüchlich, so das Gericht. Da das Beschäftigungsangebot im Lichte der fristlosen Kündigung offensichtlich nicht ernst gemeint sei, konnte der Arbeitnehmer das Angebot ablehnen, ohne dabei böswillig zu handeln.
Insgesamt stehen Arbeitgebern aufgrund der jüngeren Rechtsprechung deutlich mehr / bessere Abwehrmöglichkeiten zur Verfügung, um sich gegen Annahmeverzugslohnansprüche nach Ausspruch einer Kündigung zu verteidigen. Die letztgenannte Entscheidung des BAG zeigt jedoch auch, dass damit die Gefahr steigt, das falsche Instrument in die Hand zu nehmen.
Ich erkläre Arbeitsrecht.
1 JahrMit Ausnahme der vorangegangenen fristlosen Kündigung erledigt ein freiwilliges Angebot eines "Prozessrechtsarbeitsverhältnisses" durch den Arbeitgeber regelmäßig das hohe "Annahmeverzugsrisiko". Es gehört zur arbeitsrechtlichen Folklore, dass dieses unzumutbar sei, da das "Tischtuch" zwischen den Arbeitsvertragsparteien "zerschnitten" sei. In dezentral organisierten betrieblichen Organisationen ist der gekündigte Arbeitnehmer meist kaum allgemein bekannt. Also, das Entstehen des "Annahmeverzugsrisiko" im Kündigungsschutzprozess ist klar vermeidbar. Wenn er denn oft genug durch taktische Fehler des Arbeitgebers entstanden ist, wird die Kunst der darauffolgenden anwaltlichen Schadensbegrenzung künftig womöglich etwas erleichtert. Ist das jetzt wirklich eine wichtige arbeitsrechtliche Neuerung?