Thema 24: Was muss, was kann? Hilfe bei der Auswahl von Produktfunktionen im Lean Startup-Prozess
Schlanke Prozesse gelten in Zeiten immer kürzer werdender Innovationszyklen als das Rezept der Stunde. Wir als Innovationsagentur haben uns deshalb dazu entschlossen unsere Projekte nach dem Prinzip „Lean Startup“ zu entwickeln. Im Kern geht es dabei darum, schnell ein abgespecktes Produkt auszurollen und es dann Schritt für Schritt mit dem Zutun der Anwender wachsen zu lassen. Ein Knackpunkt dabei: wohlüberlegt zu entscheiden, welche Features für den ersten Launch wirklich wichtig sind – und welche eben nicht. Statt uns jedes Mal den Kopf darüber zu zerbrechen, nutzen wir dabei Erkenntnisse aus der Wissenschaft.
Die Erfahrung zeigt, häufig werden Produkte mit zahlreichen Funktionen entwickelt, die das Kundenerlebnis negativ beeinflussen und die Wartung und Weiterentwicklung unnötig teuer machen. “Innovation is not about saying yes to everything. It´s about saying no to all but the most crucial features”, soll Steve Jobs während einer Präsentation seines iTunes Music Stores 2003 gesagt haben. So jedenfalls berichtet es der dort anwesende US-amerikanische Online-Musikverleger und Gründer von CD Bay Derek Sivers. Die Business-Theoretiker W. Chan Kim und Renée Mauborgne lieferten 2005 den Beweis dafür: Sie analysierten über Jahre hinweg Unternehmen, die es geschafft haben, Innovationen hervorzubringen und ganz neue Märkte zu schaffen.
Nicht im Trüben fischen
Die Wissenschaftler sprechen hierbei von blauen, unentdeckten Ozeanen, in die es gilt einzutauchen. Also was machen Unternehmen anders, die sich trauen, in neues Terrain vorzudringen, raus aus dem anstrengenden Konkurrenzkampf im Haifischbecken? Hierzu schauten sich Mauborgne und Kim unter anderem die erfolgreiche Billigfluglinie Southwest Airlines, Nintendo, die Marke Nespresso oder auch den Cirque du Soleil genauer an und stellten fest – statt ganz im Trüben zu fischen, gingen diese Unternehmen ganz systematisch vor. Sie eliminierten unnützen Ballast, reduzierten den Aufwand für Notwendiges, steigerten nur die Faktoren, die extrem viel mehr Mehrwert bringen und entwickelten gezielt Dinge, die neue Bedürfnisse schaffen.
Das ERRC Grid
Genau für diese Systematik haben die gewieften Wissenschaftler (und Geschäftsleute, schließlich lassen sich wirtschaftswissenschaftliche Modelle gut verkaufen) eine Matrix erarbeitet, das sogenannte Eliminate-Reduce-Raise-Create Grid (eliminieren, reduzieren, steigern und erschaffen). Und das funktioniert, wie das Beispiel des ersten iPhones zeigt: es wurde ohne physikalische Tastatur (eliminieren) und reduzierter Kameraqualität, allerdings mit neuartigen Funktionen wie einem großflächigen Touchscreen auf den Markt gebracht – und genau das rechtfertigte den relativ hohen Preis (steigern) im Vergleich zu einem herkömmlichen Handy.
Kundenwissen nutzen
Uns hilft das Modell jedenfalls richtig gut, unsere bestehenden Produkten zu optimieren, Gutes noch deutlicher herauszuarbeiten und auch, um neue Features aufzuspüren. Am wichtigsten dabei: das Kundenfeedback. In Workshops und Präsentationen hören wir genau zu und hinterfragen ständig das, was wir als Kundenbedürfnis angenommen haben. Dies kann unter Umständen tatsächlich sehr von der Realität abweichen. Umso besser, dass es systematische Methoden gibt, die rein subjektiv geäußerte Kundenzufriedenheit auch wissenschaftlich zu messen.
So schafft man Zufriedenheit
Nun, wie misst man Zufriedenheit? Am besten, indem man die Nutzer systematisch befragt. Dabei testet der User beispielsweise unsere Software und wir fragen im Nachgang, ob ein bestimmtes Feature und das gesamte Produkt seine Erwartungen erfüllen. Ist dies der Fall, dann verbuchen wir seine Antwort unter „zufrieden“, übertreffen wir seine Erwartungen bewerten wir seine Antwort als sehr oder sogar außerordentlich zufrieden. Werden seine Erwartungen nicht erfüllt, ist er etwas oder sehr unzufrieden. Klar ist, dass wir beim Kunden nur punkten können, wenn seine Erwartungen mit dem Ergebnis übereinstimmen.
Das Kano-Modell
Bei den Sachen, mit denen wir enttäuscht haben, müssen wir also noch mal ran – entweder nachbessern, ganz verwerfen und/oder Neues ausprobieren (siehe ERRC Grid). Dieses eigentlich total simple Prinzip haben wir uns vom so genannten Kano-Modell abgleitet. Es geht auf den japanischen Wissenschaftler Noriaki Kano zurück. Anders als die Ökonomen Mauborgne und Kim blickte er in den 70er und frühen 80er Jahren aus einer rein technischen Perspektive auf die Produktenentwicklung. Bei der Suche nach Kriterien, um die Qualität eines Produktes zu steigern, definierte er drei unterschiedliche Arten an Kundenanforderungen: Basis-, Leistungs- und Begeisterungsfaktoren
Zusatzfaktoren, die glücklich machen
Basisfaktoren sind Produkteigenschaften, die der Kunde erwartet. Ein Fehlen dieser Eigenschaften macht es schwierig, das Produkt überhaupt zu verkaufen (z. B. Smartphone ohne WLAN). Leistungsfaktoren erhöhen die Kundenzufriedenheit linear (z. B. Geschwindigkeit einer CPU). Handelt es sich um ein Produkt, für das Bedürfnisse erst geweckt werden müssen, sind vor allem Begeisterungsfaktoren notwendig. Sie wecken auf einer rein emotionalen Ebene neue Bedürfnisse (z. B. das großflächiger Touchscreen des ersten iPhones). Begeisterungsfaktoren können sich im Laufe der Zeit zu einem Basismerkmal wandeln, so wird bei Smartphones die Bedienung mittels Touchscreen mittlerweile erwartet.
Produktentwicklung auf Achse
Diese Faktoren setzt Kano ins Verhältnis zur Kundenzufriedenheit, dargestellt in einem Koordinatensystem. Die Kundenzufriedenheit auf der y-Achse in Abhängigkeit vom Erfüllungsgrad von Produktfunktionen auf der x-Achse. Das zeigt anschaulich, wie wichtig es ist, über die Basisfunktionen hinaus, Leistungsmerkmale zu erfüllen – und Begeisterung entfachen ist dann genau das, was einer Innovation zum Durchbruch verhilft.
Haben Sie Ihre Produktentwicklung auch strategisch aufgesetzt? Fließen in Ihre Produktentwicklung Kundenbefragungen ein oder gehen Sie lieber erst mit komplett fertigen Produkten auf den Markt? Was halten Sie generell davon, Innovationen zielgerichtet im eigenen Unternehmen voranzutreiben? Sich neue Märkte zu erschließen, in den blauen Ozean einzutauchen? Oder rentiert sich doch eher, auf einer Welle erst mitzureiten, wenn sie groß genug ist? Lassen Sie es mich wissen. Ich freue mich über Ihren Kommentar.
Innovation für Manager
Warum verschwinden Riesen wie Kodak vom Markt und andere wachsen an disruptiven Technologien? Warum schlagen manche Innovationen auf dem Markt ein und andere gute Ideen scheitern schon in der Entwicklung? Warum haben Startups per se nicht immer die Nase vorn? Was braucht es wirklich, um Innovationen zu entwickeln und erfolgreich einzuführen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich unsere Blogreihe „Innovation für Manager“.
Ganz im Sinne unserer Firmen-Philosophie verfolgen wir dabei den Open Innovation-Gedanken. Das heißt: Wir von bewegewas teilen unser Lean Startup-Wissen, damit wir gemeinsam über Unternehmensgrenzen hinweg wachsen können. Unser Know-how basiert dabei auf wissenschaftlichen Studien und Forschungsarbeiten, die wir selber durchführen und mit denen wir Methoden, Ansätze und theoretische Modelle des Innovationsmanagements für unsere Kunden im Blick behalten und in der Praxis überprüfen.