Toxische Beziehungen und die 4 E's des Narzissmus

Toxische Beziehungen und die 4 E's des Narzissmus

In meine Praxis kommen immer wieder Menschen, die mir berichten, dass sie mehr und mehr an Selbstvertrauen verlieren, verunsichert sind und an sich zweifeln. Sie erzählen mir, dass sie sich irgendwie gar nicht mehr selbst erkennen und dass sie früher ganz anders gewesen seien. Wenn wir dann der Sache zusammen auf den Grund gehen, stellen wir in vielen Fällen fest, dass die Veränderung zu einem Zeitpunkt begonnen hat, als ein bestimmter Mensch in ihr Leben getreten ist, sei es im Privatbereich oder auch im Arbeitsumfeld.

Wenn uns eine bestimmte Person nach und nach unsere Stärke nimmt, kann das ein Zeichen für eine toxische Dynamik sein. Narzisstische Persönlichkeitszüge spielen dabei oft eine Rolle.

Aber wie lässt sich Narzissmus erkennen?

Zugegeben, das ist gar nicht so einfach. Zumal Narzissten (immer m/w/d) Meister der Tarnung sind. Meiner Erfahrung nach sind es aber vor allem die 4 E's des Narzissmus, die sich mit etwas Übung gut erkennen lassen und wichtige Hinweise liefern können.


Die 4 E's des Narzissmus nach Reinhard Haller

Egozentrik

Narzissten drehen sich ausschließlich um sich selbst. Ihre Bedürfnisse und Wünsche stehen permanent im Vordergrund, während die Bedürfnisse anderer völlig unbeachtet bleiben. Sie haben ein überhöhtes Selbstbild und erwarten von ihrer Umgebung ständige Bewunderung und Aufmerksamkeit. Gespräche mit Narzissten drehen sich fast ausschließlich um sie und ihre Großartigkeit. Sie stellen sich gezielt in den Mittelpunkt betonen bei jeder Gelegenheit - ungefragt und wiederholt - von wem sie wann in welcher Form gelobt und bewundert worden sind. Aufgrund ihrer gefühlten Großartigkeit gehen sie davon aus, dass ihnen jederzeit eine exklusive Behandlung zusteht: Der beste Tisch im Restaurant, das Vorgezogen werden in einer Warteschlange, der best ausgestattetste Arbeitsplatz im Büro, der eigene Parkplatz vor der Firma, das prestigeträchtigste Projekt, etc.

Dieser Exklusivitätsanspruch zeigt sich häufig auch im Umgang mit anderen, wobei die narzisstische Person selektiv entscheidet, welche Beziehungen für sie von Wert sind. Oft zeigt sich auch eine Abneigung gegenüber Menschen, die sie als unterlegen empfinden.


Empathielosigkeit

Ein besonderes Kennzeichen von Narzissmus ist der Mangel an Empathie. Narzissten sind unfähig, sich in die Gefühle anderer hineinzuversetzen. Sie können nicht nachvollziehen, wie ihre Handlungen andere Menschen verletzen oder kränken. Stattdessen sehen sie andere Menschen oft nur als Mittel zum Zweck, um ihre eigenen Ziele zu erreichen. Oft erscheinen sie sehr selbstzentriert und unaufmerksam gegenüber den Gefühlen ihrer Mitmenschen. Und, wenn sie doch mal Interesse oder Mitgefühl signalisieren, fühlt sich das für ihr Gegenüber oft “aufgesetzt” oder nicht authentisch an.

Empfindlichkeit

Trotz ihres scheinbar starken Auftretens sind Narzissten sehr empfindlich gegenüber Kritik und Ablehnung. Sie interpretieren jede noch so vorsichtig formulierte negative Rückmeldung als persönlichen Angriff und reagieren nicht selten mit Wut oder Rache. Dabei betreiben sie oftmals eine Täter-Opfer-Umkehr und schieben die Schuld für Konflikte auf andere. Sie behaupten, dass ihr Gegenüber sie provoziert oder missverstanden habe und stellen sich als Opfer dar, um Mitleid zu ernten und die Aufmerksamkeit von ihrem eigenen Fehlverhalten abzulenken. Diese scheinbare Verletzlichkeit des Narzissten überrascht den ursprünglichen Kritikgeber und führt bei ihm zu noch mehr Verunsicherung und Schuldgefühlen.

Entwertung

Narzissten haben die Angewohnheit, andere Menschen abzuwerten, um sich selbst aufzuwerten. Sie versuchen, ihr Gegenüber kleinzumachen und ihm das Gefühl zu geben, nicht gut genug zu sein. Sie suchen nach Fehlern und Schwächen, um das Selbstwertgefühl anderer zu untergraben. Dies kann auf subtile Weise geschehen, etwa durch sarkastische Bemerkungen oder auch mittels offener Kritik. In Partnerschaften agieren Narzissten gerne mit kleinen Sticheleien, die dem Partner signalisieren, dass sie auch von anderen Menschen ständig umworben werden und ihre Großartigkeit natürlich nicht nur einer Person (dem Partner) vorbehalten sein darf. Durch die Entwertung anderer versuchen sie, ihre eigene Überlegenheit zu beweisen und innere Unsicherheiten zu kompensieren. Menschen in Beziehungen mit Narzissten erleben währenddessen eine Vielzahl von Emotionen, wie Verwirrung, Scham und Angst - gerade das Schamgefühl hindert sie dann oftmals daran, mit anderen über die unangenehmen Erfahrungen zu sprechen und sich Unterstützung von außen zu suchen.

Warum ist es oft so schwer, Narzissten zu erkennen?

Weil Sie Meister im Verzaubern sind und andere schnell in ihren Bann ziehen können. Gerade am Anfang einer Beziehung setzen sie gezielt Ihren Charme ein, um ihr Gegenüber an sich zu binden und emotional abhängig zu machen. Indem sie den Partner mit Zuneigung und Aufmerksamkeit “bombardieren” (Love Bombing), schaffen sie eine starke emotionale Bindung, die es ihnen ermöglicht, später mehr Kontrolle auszuüben.

Doch auch im beruflichen Umfeld lässt sich beobachten, dass beispielsweise eine narzisstische Führungskraft anfangs den neuen Mitarbeitenden mit Lob und Anerkennung - oft über das tatsächlich Geleistete hinaus - geradezu überschüttet, sich (vermeintlich) für sein Leben und seine Ziele interessiert oder ihm große Versprechungen hinsichtlich Karrierechancen, Weiterbildungsmöglichkeiten und finanzieller Vorteile macht.

In beiden Fällen zielen die Verhaltensweisen darauf ab, die andere Person von sich abhängig zu machen und sie emotional zu binden.

Was passiert nach dem Love Bombing?

Sobald es ihnen gelungen ist, einen Menschen eng an sich zu binden, beginnen Narzissten ihr eigentliches Spiel:

  • aus Idealisierung wird Abwertung,
  • aus Interesse für das Leben des anderen wird Kontrolle
  • aus Zuwendung wird Manipulation.

Zu dem Zeitpunkt sind Betroffene aber oft schon so sehr in den Bann der narzisstischen Person gezogen, dass sie den Grund für die plötzliche Veränderung bei sich suchen. Irgendwas müssen sie wohl falsch gemacht haben, sonst würde sich der Partner doch nicht plötzlich anders verhalten. Und dann beginnen sie, sich mehr und mehr anzustrengen, sich immer mehr anzupassen, die eigenen Bedürfnisse in den Hintergrund zu stellen, um die Zuneigung des narzisstischen Partners wieder zu erlangen. Sie geraten in einen Teufelskreis. Denn, welche Anstrengungen sie auch immer unternehmen, es wird für den Narzissten nie genug sein. Er nämlich hat sein Ziel bereits erreicht: Er hat den Partner unter Kontrolle, wird von ihm angehimmelt und um Liebe angefleht. Und er entscheidet, wann er seinem Gegenüber kleine Köder der Aufmerksamkeit hinwirft, um ihn bei der Stange zu halten.

Wie können Betroffene mit Narzissmus umgehen?

Ganz entscheidend ist erstmal zu erkennen, dass man es mit einem Narzissten / einer Narzisstin zu tun hat. Wichtige Leitkriterien können dabei die oben stehenden 4 E’s des Narzissmus sein. Denn nur so ist die emotionale Abwärtsspirale, die einen Betroffenen immer schwächer und unsicherer werden lässt, zu stoppen.

Um dann schließlich aus einer narzisstischen Beziehung auszusteigen, ist es oft ratsam, sich therapeutische Unterstützung zu suchen. Denn, aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur lassen es Narzissten meist nur schwer zu, verlassen zu werden.

Und dann gibt es natürlich noch die Situationen, wo sich der Kontakt zu einem Narzissten nicht komplett abbrechen lässt, weil es die berufliche oder familiäre Situation aktuell nicht zulässt. Hier gilt es, Strategien zu erarbeiten, wie der Umgang mit einem Narzissten gestaltet werden kann - ohne dass dieser weiterhin die Macht besitzt, das Selbstwertgefühl seines Gegenübers zu untergraben.

Gerne unterstütze ich Sie in diesem herausfordernden Prozess!


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