UMDENKEN. DAS NEUE NORMAL GESTALTEN
Nichts bleibt, wie es war. Oder bleibt doch alles beim Alten? Ist die Corona-Krise ein Epochenbruch? Oder beschleunigt sie nur das, was ohnehin schon läuft? Nämlich die zunehmende Digitalisierung von Arbeits- und Privatleben. Welche Chancen ergeben sich aus der Pandemie? Wo müssen wir umdenken und neu dazulernen? Dieser Artikel ist eine Annäherung an das Thema.
Seit dem Ende beziehungsweise den Lockerungen des Coronavirus-Lockdowns hat sich das Wirtschaftsleben in der Schweiz, in Österreich und in Deutschland bereits wieder spürbar erholt, meldet, für viele überraschend, die Neue Züricher Zeitung. Auf eine solche allmähliche wirtschaftliche Erholung in den deutschsprachigen Ländern weisen noch weitere Echtzeitindikatoren hin, so die renommierte Tageszeitung. In Deutschland habe sich der auf Tagesbasis gemessene Lastwagenverkehr wieder einem normalen Niveau genähert. Der Lkw-Verkehr gilt als gutes Maß für die Industrieproduktion und den Handel. Alles wird wieder so wie vor der Krise? Optimisten glauben an einen V-förmigen Verlauf der Konjunktur, bei dem die Erholung genauso schnell erfolgt, wie sich der Einbruch abzeichnet. Zweifel daran sind berechtigt.
DIE 90-PROZENT-ÖKONOMIE
Viele Experten rechnen eher mit einem Szenario, das der britische „Economist“ die „90-Prozent-Ökonomie“ nennt: Das Wirtschaftsleben läuft größtenteils normal, bis auf zehn Prozent, die beispielsweise nicht stattfindende Veranstaltungen, ausbleibender Tourismus und das nach wie vor eingeschränkte Gastgewerbe ausmachen. In diesen Branchen, wie unter anderem auch in der Automobil- und Luftfahrtindustrie, braucht es neue Konzepte und Geschäftsmodelle. Aber wie immer liegt auch in dieser Krise die Chance, durch Innovationen gestärkt aus ihr hervorzugehen. Das wird mitunter ein schmerzhafter Prozess werden. Die von einigen Unternehmen jetzt schon angekündigten Massenentlassungen sind ein trauriges Beispiel dafür.
„NEU DENKEN“ GEBOT DER STUNDE
Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie geraten aber nicht nur ganze Branchen unter Druck. Immer mehr Unternehmen scheint bewusst zu werden, dass ihre bisherigen Strukturen und ihre Unternehmenskultur nicht mehr für die zunehmend komplexe Arbeitswelt geeignet sind. Menschen müssen zusammengebracht, Grenzen und Hemmnisse bei der Zusammenarbeit aufgelöst werden. Umdenken, womöglich sogar „Neu denken“, wird für viele das Gebot der Stunde sein.
Stichwort Homeoffice. Die Pandemie zwang Millionen von Angestellten dazu von zuhause zu arbeiten. Aus der Not scheint innerhalb kurzer Zeit ein Modell zu werden, an dem auch Unternehmen festhalten wollen, die sich bislang schwer damit getan haben.
DAS HOMEOFFICE WIRD NIE MEHR GEHEN
Die Deutsche Telekom hat sicherlich davon profitiert, dass wir in vielen Konzernbereichen bereits Erfahrungen mit dem Homeoffice haben. Immerhin gibt es in Deutschland seit 2016 einen Tarifvertrag "Mobile Working". Dennoch: Das Arbeiten in der heimischen Umgebung hat auch die Telekom sowie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor neue Herausforderungen gestellt. Da ist Beeindruckendes geleistet worden. So wurden beispielsweise die Arbeitsplätze von 16.000 Menschen aus den Service-Centern innerhalb weniger Tage ins Homeoffice verlegt. Das anscheinend Unmögliche wurde möglich gemacht. Und: Der Service hat sich verbessert. „Das hat viel besser funktioniert als wir dachten. Wir haben tolles Feedback erhalten“, freut sich Service-Chef Ferri Abolhassan über die Eil-Aktion. Er betont aber auch, dass der Service von Begegnungen und persönlichem Austausch lebe. „Reines Arbeiten von zuhause ist für uns aber keine Dauerlösung. Eine gesunde Mischung aus Homeoffice und Servicecenter aber schon“.
Auch Telekom-Chef Timotheus Höttges äußerte sich jüngst auf der ersten virtuellen Hauptversammlung in der Geschichte des Unternehmens zum Arbeiten während der Krise: „Wir sind im Homeoffice produktiver gewesen. Das hat mich wirklich überrascht.“ Er sieht aber auch Schattenseiten: „Wenn die Leute zu lange zu Hause sind, wird das enorm anstrengend“. Es sei nicht gut für die Motivation von Mitarbeitern, wenn sie dauerhaft eine zu große Distanz zu ihren Kollegen spürten. Allerdings, ähnlich wie Ferri Abolhassan, glaubt auch Timotheus Höttges „zutiefst daran, dass wir auf Dauer hybrid arbeiten werden“. „Das Homeoffice ist gekommen und wird nie mehr gehen“, so der Telekom-Chef.
Denkt man das weiter, kommt man nicht umhin, über die künftige Flächennutzung in den Bürogebäuden nachzudenken. Durch den reduzierten Arbeitsplatzbedarf können Firmen viele Quadratmeter Bürofläche einsparen. Oder anders nutzen. Zum Beispiel als Kreativflächen für Projektteams oder Begegnungsflächen. Der Arbeitsplatz passt sich mehr den Anforderungen der jeweiligen Tätigkeit an. Das ist dann nicht der „Tod des Büros“, wie einige Beobachter vorschnell behaupten. Vielmehr geht es um die Frage, ob die traditionelle Büroumgebung noch Zukunft hat. Wird das Umdenken beim Standardarbeitsplatz Teil des Neuen Normal? Die Entwicklung wird spannend zu beobachten sein.
DIGITAL WIRD DAS NEUE NORMAL
Sicher scheint indes: Digital wird das neue Normal. Nicht nur Arbeitsweise, sondern auch Logistik und Lieferketten kommen auf den Prüfstand, Prozesse werden anders gestaltet. Das deutsche Medien- und Softwarehaus Haufe ermittelte jüngst in einer Untersuchung, dass 49 Prozent der befragten Unternehmen mehr in die Digitalisierung investieren wollen. Der Corona-Schock hat hier wohl einen weiteren Schub ausgelöst.
Vor allem die Anbieter von digitalen Zusammenarbeits-Tools zählen zu den Gewinnern der Krise. So hat der Software-Anbieter Slack im ersten Quartal dieses Jahrs über 12.000 neue Organisationen für sein gleichnamiges Kooperations-Tool gewinnen können – so viele wie noch nie in einer Berichtsperiode. Auch bei uns im Unternehmen sind die Nutzerzahlen der digitalen Werkzeuge durch das Arbeiten im Homeoffice noch einmal stark angestiegen. WebEx Teams, Microsoft 365 oder Onenote, um nur einige Anwendungen zu nennen, sind die digitalen Möglichmacher fürs sogenannte Remote-Working. Wer sich dort zurechtfinden will, für den wird der Umgang mit den Tools und das Beherrschen dieser Anwendungen unvermeidlich sein. Das gilt für die Mitarbeitenden ebenso wie für die Führungskräfte.
FEHLENDE DIGITALISIERUNG VON SCHULEN
Und das muss schon in der Schule anfangen. Arbeitsmaterialien aus Papier, die in verschlossenen Schulen liegen, kaum vorhandene Apps oder E-Learning-Tools: In Zeiten der Corona-Pandemie fällt die fehlende Digitalisierung von Schulen und Universitäten besonders auf. Dabei haben schon vor Corona 63 Prozent der Deutschen in einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa die unzureichende Digitalisierung des deutschen Bildungswesens bemängelt.
Die Telekom ist hier eingesprungen. Gut 1000 deutsche Schulen haben das vom Unternehmen kostenlos angebotene „digitale Klassenzimmer“ eingerichtet. 40.000 Lehrerinnen und Lehrer sowie eine Million Schüler treffen sich dort, um Wissen zu vermitteln beziehungsweise um zu lernen.
Das zeigt: Wesentlich ist in der Bildung nicht mehr allein das „was“, sondern zwingend auch das „wie“. Damit unsere Kinder die digitale Welt gestalten können.
Vorbilder für diese zukunftsorientierte Art von Bildung sind zum Beispiel Coursera oder Udacity, zwei Online-Universitäten aus den Vereinigten Staaten. Es tut sich schnell die Frage auf, wieso Udacity, das der Deutsche Sebastian Thun gegründet hat, nicht auch in Deutschland entstanden ist. Diese stellt Timotheus Höttges in einem Beitrag hier auf LinkedIn. Und warum ist Deutschland laut Erhebungen wie der International Study on Computer and Information Literacy Schlusslicht beim Umgang mit digitalen Medien?
Auch hier könnte die Pandemie etwas Positives bewirken. Das Umdenken hat bereits begonnen. Und die Bereitschaft zu lernen ist bei den Schülern da. Allerdings lernen laut Allensbach-Institut zwar 85 Prozent der 10- bis 16jährigen gerne für ihre Hobbys, lediglich 33 Prozent jedoch für die Schule. Auch das dürfte damit zu tun haben, dass immer noch viele Schulen bei digitalen Lerninhalten hinterherhinken.
SCHUB FÜR DIGITALE LERNPLATTFORMEN
Da ist die Deutsche Telekom als Unternehmen schon deutlich weiter. Mit ihrer Youlearn-Initiative geht sie beim neuen Lernen voran. Lernen soll Spaß machen, die Angebote sind verfügbar, wenn man sie braucht - zeit- und ortsunabhängig. Wer sich einmal die kürzlich gestartete Lern-Plattform Percipio auf sein Smartphone geladen hat, gewinnt einen guten Eindruck wie künftig das „Neue Normal“ beim Lernen aussehen wird.
Überhaupt: Wollen, Können, Machen ist die schlichte Formel, die für jede Krise gilt. Auf der Hauptversammlung hat Timotheus Höttges dies für die Telekom so formuliert. „Bei uns gibt es kein Hätte, Könnte, Würde. Wir sind ein Indikativ-Unternehmen.“
POSITIVE VISION FÜR „NACH CORONA“
Der Zukunftsforscher Matthias Horx entwirft in seiner „Corona-Rückwärts-Prognose“ eine positive Vision für die Zeit nach der Corona-Krise. Bei der Rückwärts-Prognose schaut der Forscher aus der Zukunft auf das Heute. Während jetzt zu Pandemie-Zeiten die Technik ihren großen Auftritt feiert, erleben aber auch »veraltete Kulturtechniken eine Renaissance«, davon ist Horx überzeugt. Anstelle von Anrufbeantwortern nehmen wieder reale Menschen den Hörer ab und man spreche miteinander.
"Man kommunizierte wieder wirklich. Man ließ niemanden mehr zappeln. Man hielt niemanden mehr hin“, so Horx in seiner Rückwärtsprognose. So entstand eine neue Kultur der Erreichbarkeit. Der Verbindlichkeit.
In der Krise, so die Wahrnehmung von Matthias Horx, hätten sich die meisten Menschen solidarisch und konstruktiv verhalten. Eine Unternehmensumfrage der Medien-Gruppe Haufe gibt ihm recht: Mehr als die Hälfte der Befragten spüren einen verstärkten Zusammenhalt durch das Meistern der Krise. Das wäre auf jeden Fall eine Bereicherung fürs Neue Normal.