Umgang mit schwierigen Führungskräften: die Angst vor dem Vergessenwerden

Albert (59): Ich bin jetzt seit mehr als fünfundzwanzig Jahren Vorarbeiter auf verschiedensten Baustellen meiner Stadt und habe wahrlich einige Fehlentscheidungen meiner Chefs erlebt. Seit ein paar Tagen beginnen die sich jedoch dafür zu entschuldigen. Das habe ich so noch nie erlebt und ich frage mich, wie ich das zu verstehen habe.

Viele Chefs neigen zur Angst vor dem Vergessenwerden. In Anbetracht dessen, was ihre Mitarbeiter schaffen, fragen sie sich, was von ihnen selbst bleiben wird, wenn sie dereinst das Rentenalter erreicht haben werden. Manche von ihnen beginnen daraufhin mit Laubsägearbeiten, andere wechseln den Lebenspartner und dritte suchen Rat in der Managementliteratur. Letztere empfahl bis vor ein paar Jahren gegen die Angst von Führungskräften vor dem Vergessenwerden vor allem heroische Taten. Das Abwenden der Anklage wegen Steuerbetrugs beispielsweise, das Retten eines Kundenauftrags oder die schnelle Reparatur von ausgefallenen technischen Systemen. Etwas später wurde jedoch den Autoren der Managementratgeber klar, dass die Ursachen all der kleineren und größeren Katastrophen in unzureichender Führungsarbeit liegen. Die Führungskräfte also erst die Desaster herbeiführen, aus deren Lösung sie später Erinnerung und Angedenken zu schaffen hoffen. Also schwenkten die Autoren auf die Empfehlung, solches Versagen zu vermeiden, unterlagen dabei jedoch einem fundamentalen Trugschluss. Denn wer erinnert sich schon an die fehlerlose Arbeit einer Führungskraft, da die Fehler niemals eintreten und so keinem ihrer Untergebenen bewusstwerden? Seit ein paar Tagen jedoch gibt es eine dritte Option. Die des öffentlichen Entschuldigens. Publik wurde sie durch die Bundeskanzlerin, die ihre Entscheidung, den Gründonnerstag als Corona-Feiertag festzulegen, bedauerte und zurücknahm. Genau dieser Option, lieber Albert, scheinen deine Chefs zu folgen. Wenn sich in ein paar Jahren keiner mehr an einen vorschnellen Ausstieg aus der Atomindustrie, die unkontrollierte Grenzöffnung oder die kalte Art ihrer Kriegsführung gegen Russland erinnern mag und stattdessen die Rücknahme einer Feiertagsentscheidung die Annalen der Kanzlerin dominieren wird, dann erhoffen sich deine Chefs gleiches für sich. Sie gehen davon aus, dass es nicht schlimm ist, wenn die Betonfertigteile zu spät geliefert werden, die Kalkulation erhebliche Mängel aufweist oder die Elektriker die soeben gestrichenen Wände auffräsen müssen. Hauptsache, sie entschuldigen sich. Dennoch, vielleicht mag sich so die Angst vor dem Vergessenwerden eindämmen lassen, das Erinnern findet jedoch in unseren Köpfen statt. So ist es an uns, lieber Albert, Entschuldigungen als das zu sehen, was sie sind. Nämlich als Eingeständnis von Fehlern, die niemals geschehen werden, wenn der Chef nicht unser Chef gewesen wäre.

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