VAT'S OUR BUSINESS: Finanzgerichtsverfahren – Thema: Akteneinsicht
Bei dem Begriff „Akten“ denken wir wohl alle an eine Vielzahl von Papier, an dicke und schwere Ordner, die in einem staubigen Regal ihr Dasein führen. Auch wenn die Digitalisierung bei Behörden und Gerichten immer weiter voranschreitet, ist die Papierakte vielerorts noch nicht wegzudenken. Wie wichtig die Akten im finanzgerichtlichen Verfahren sind und was es bei der Akteneinsicht im finanzgerichtlichen Verfahren zu beachten gibt, möchten wir Ihnen im heutigen Beitrag kurz erläutern:
Musste man als Steuerpflichtiger Klage beim Finanzgericht einreichen, wird das beklagte Finanzamt früher oder später die bisher beim Finanzamt geführten Akten an das Finanzgericht übersenden. Will ein Steuerpflichtiger für den Rechtsstreit mit dem Finanzamt bestmöglich gerüstet sein, sollte er auch den Inhalt der Akten kennen, die dem Finanzgericht vorliegen. Es ist immer wieder erstaunlich, was insbesondere aus den Akten des Finanzamts alles zum Vorschein kommen kann: Aktenvermerke, interne Stellungnahmen und Telefonnotizen.
Doch wie erhält man Einblick in diese Akten?
Das Zauberwort lautet: Akteneinsicht.
Hierfür sieht § 78 Abs. 1 FGO ein eigenes Einsichtsrecht für die Beteiligten des Verfahrens vor. Neben dem Kläger haben daher z.B. auch Beigeladene einen Anspruch auf Akteneinsicht. Es empfiehlt sich sowohl als Kläger als auch als Beigeladener in jedem Fall Akteneinsicht beim Finanzgericht zu beantragen. Ein Antrag auf Akteneinsicht muss keine besonderen Anforderungen erfüllen, auch eine Begründung des Antrags schreibt das Gesetz nicht vor, sodass der Antrag recht schnell und formlos gestellt werden kann. Das Gericht entscheidet dann über den Antrag und informiert den Antragsteller entsprechend. Danach kann in die Akten Einsicht genommen werden. Vor der Akteneinsicht empfiehlt es sich, mit dem Finanzgericht abzustimmen, welche Akten denn dort bereits vorliegen. Nicht selten fordert das Finanzgericht im Vorfeld der mündlichen Verhandlung noch weitere Akten an. Dies sollte bei der Frage, wann Akteneinsicht beantragt wird, beachtet werden.
Grundsätzlich regelt § 78 Abs. 2 und Abs. 3 der FGO ausdrücklich, dass die Akteneinsicht in Papierakten nur in den Diensträumen des zuständigen Finanzgerichts oder in den Diensträumen eines anderen Gerichts oder einer Behörde erfolgen kann.
Die Akten dürfen – anders als z.B. im Strafverfahren – gerade nicht in die Kanzleiräume des steuerlichen Beraters übersandt werden.
Aber sind wir doch mal ehrlich: Wenn wir die Wahl hätten zwischen Akteneinsicht im eigenen Büro und Akteneinsicht vor Ort bei einem Gericht oder einer Behörde – wer würde da nicht auch lieber zu seinem eigenen Büro tendieren? Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass der Prozessbevollmächtigte im Fall des FG Baden-Württemberg (Beschluss vom 17.12.2019 – 2K 770/17) sein Glück versucht hatte und die Übersendung der vollständigen Akte in seine Kanzleiräume beantragte. Alternativ verlangte er eine Kopie der vollständigen Akte. Für die umfangreiche Recherche sei seiner Meinung nach ein Arbeitsplatz notwendig. Eine Recherche vor Ort bei Gericht oder bei einer Behörde sei ihm weder möglich noch zumutbar. Das FG Baden-Württemberg entsprach dem Wunsch des Prozessbevollmächtigten nicht. Gemäß § 78 Abs. 3 S. 2 FGO bestehe im finanzgerichtlichen Verfahren ein Akteneinsichtsrecht nur in den Diensträumen des Gerichts, eines anderen Gerichts oder einer Behörde. Dies umfasse das Einsehen der Akten sowie die Anfertigung von Auszügen, Ausdrucken und Abschriften auf dessen Kosten. Die Kanzleiräume eines Rechtsanwalts seien keine Diensträume. Der Prozessbevollmächtigte habe grundsätzlich auch keinen Anspruch auf eine Zweitakte, so das Gericht weiter. Insbesondere lägen keine besonderen Gründe vor, die ausnahmsweise eine Aktenübersendung rechtfertigen könnten. Eine Digitalisierungspflicht treffe das Gericht ebenso wenig. § 78 Abs. 3 S. 2 FGO biete lediglich die Befugnis eine digitale Akte anzufertigen. Daher müsse das FG keine elektronische Fassung der in Papierform geführten Behördenakten herstellen und hierauf einen elektronischen Zugriff ermöglichen.
Eine Anspruch aus der aktuell viel und heiß diskutierten Datenschutzgrundverordnung ergibt sich nach Auffassung des FG Baden-Württemberg ebenfalls nicht. Die FGO normiere die Anwendung des Art. 15 Abs. 1 DSGVO nicht. Dies entspreche Art. 23 Abs. 1 Buchst. f) DSGVO zum Schutz der Unabhängigkeit der Justiz und der Gerichtsverfahren. Die FGO gehe dem Datenschutzrecht und dem Auskunftsrecht aus Art. 15 DSGVO insoweit vor.
Die Entscheidung zeigt – die Akteneinsicht wird auch in nächster Zeit nur vor Ort bei Gericht oder bei der Behörde möglich sein. Nur in absoluten Ausnahmefällen kann dem Prozessbevollmächtigten auch ein Anspruch auf Akteneinsicht in den Kanzleiräumen zu stehen. Dies hat der BFH erst kürzlich in seinem Beschluss vom 13.06.2020 (Az.: VIII B 149/19) klargestellt. Allerdings kommt es, so der BFH, hierbei stets auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an. Für Antragsteller, die eine weite Anfahrt zum zuständigen Finanzgericht auf sich nehmen müssten, bietet sich daher die Einsichtnahme bei einem ortsansässigen Gericht an. In einem solchen Fall werden die Akten schlichtweg dorthin versandt und zur Akteneinsicht bereitgestellt.
Aber auch hier zeigt sich, wie uns die Technik bereits das Leben erleichtert:
Noch vor nicht allzu langer Zeit musste man sich jede einzelne Seite, die man als Prozessvertreter aus der Akte benötigte, von einem Mitarbeiter vor Ort kopieren lassen. Mittlerweile erlauben die meisten Finanzgerichte die Anfertigung von Scans oder Fotos mit dem Smartphone. Insoweit wird die Akteneinsicht in der Praxis bereits ein Stückchen digitaler. Es bleibt abzuwarten, welchen weiteren Wandel das Akteneinsichtsrecht mit der zunehmenden Digitalisierung der Gerichte und der Finanzbehörden durchlaufen wird.
Es bleibt zu hoffen, dass sich mit der weiteren Digitalisierung der Akten die Akteneinsicht zukünftig noch praktikabler gestaltet.
Mit unserem verfahrensrechtlichen Know-how unterstützen wir Sie gerne in den Bereichen Umsatzsteuer-, Zoll und Verbrauchsteuerrecht und begleiten Sie auch zum Finanzgericht, BFH und EuGH, wenn es einmal ernst werden sollte.
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