Die Verteidigungsindustrie ist das Rückgrat der deutschen Gesellschaft
Verteidigungsschutz der BRD: Wahrnehmung vs. Realität

Die Verteidigungsindustrie ist das Rückgrat der deutschen Gesellschaft

Von Monika Jung-Mounib

Herr Atzpodien, dieser Krieg markiert einen klaren Wendepunkt für die deutsche und europäische Rüstungsindustrie. Sind Sie Putin dankbar, dass er Ihrer Branche zu einem neuen Ansehen verhilft?

Nein, überhaupt nicht! Wir empfinden tiefes Mitgefühl für alle Opfer dieses Krieges. Niemand von uns freut sich über diesen Krieg. Denn wir wissen um die Realität von Krieg. Krieg bedeutet menschliche Tragödien. Krieg heißt auch, dass unendlich viele unschuldige Menschen ihr Leben verlieren oder auch für den Rest ihres Lebens verwundet bleiben. Zugleich wissen wir aber, dass technologisch hochentwickelte Waffensysteme unerlässlich sind, um eine Aggression abzuschrecken.

Wozu also gibt es Waffen? Um das Leben von Menschen zu schützen?

Ja, die Sachlogik von Waffen beruht auf der Tatsache, dass wir uns schützen müssen. Mit „wir“ meine ich Deutschland, Europa und die NATO-Mitglieder und seine Menschen. Obwohl der russische Angriffskrieg auf die Ukraine ein Weckruf gewesen ist, neigt die deutsche Öffentlichkeit dazu, in die Routine des täglichen Lebens zurückzufallen, als hätte es den 24. Februar 2022 nicht gegeben. Zugleich fehlt es an einer Verpflichtung, den regulären Verteidigungsetat der Bundeswehr weiter zu erhöhen. Genau das aber ist für Deutschland nun nötig, und darauf hat Boris Pistorius, unser zu Recht populärer Verteidigungsminister, vor kurzem aufmerksam gemacht, als er um zusätzliche 10 Milliarden Euros gebeten hat.

Würden Sie sagen, die „Zeitenwende“ hat die Haltung der deutschen Öffentlichkeit gegenüber der Rüstungsindustrie tiefgehend verändert?

Das Ansehen der deutschen Verteidigungsindustrie in der Öffentlichkeit war schon vor dem russischen Angriff nicht vollkommen negativ. Ein Großteil der Deutschen versteht, aus welchem Grund wir erstklassige Waffensysteme produzieren müssen, nämlich damit unsere Streitkräfte in der Lage sind, ihre Aufgabe zu erfüllen. Diese Einsicht hat sich seit dem Beginn des Krieges weiter verbreitet. Ich selbst unterstütze unserem Verteidigungsminister Pistorius in seiner Aussage, dass wir mehr tun müssen, um nicht nur die Bundeswehr, sondern auch unsere Gesellschaft „kriegstüchtig“ zu machen. Es ist unverzichtbar, sich immer wieder klarzumachen, dass mit „Kriegstüchtigkeit“ eine Abschreckung gemeint ist, die lebenswichtig ist, um Krieg zu vermeiden. Genauso besagt es auch das lateinische Sprichwort: „Si vis pacem, para bellum“. („Wünschst Du dir Frieden, bereite Dich auf Krieg vor.“)

Trotzdem bleibt die Rolle der deutschen Sicherheitsindustrie in Deutschland ein heikles Thema. Und obwohl die Europäische Kommission versucht hat, die „European Defence and Technological Base (EDTIB) zu verbessern, ist es ihr nicht gelungen, eine klare Taxonomie für die Waffen zu erstellen, die an europäische Armeen geliefert werden.

Ja, das ist ein guter Punkt und er illustriert unseren Status in der Gesellschaft. Vor dem Ausbruch des Krieges im Februar 2022 haben etliche deutsche und europäische Banken und Investment Fonds – angetrieben vom Green Deal der EU - versucht, Rüstungsaktivitäten aus ihren Portfolios zu streichen, um so ihrem „grünen“ Ruf nicht zu schaden. Das hat sich auch seit der russischen Invasion nicht vollkommen geändert. Eine Taxonomie für soziale Nachhaltigkeit, die die von europäischen Streitkräften verwendeten Waffen eindeutig als einen positiven Beitrag zur sozialen Nachhaltigkeit kategorisiert, würde viel ausmachen. Genauso wie es bei der Nuklearenergie geschehen ist, die in der Umwelt-Taxonomie als „nachhaltigkeitsfördernd“ eingestuft worden ist.

Mir ist nicht klar, aus welchem Grund es wichtig wäre, Waffen in Investment-Portfolios zu kategorisieren, um zu zeigen, dass sie soziale Nachhaltigkeit unterstützen. Reichen Ihrer Industrie nicht die Riesengewinne, die sie gerade einfährt?

Wir stellen in der öffentlichen Wahrnehmung noch immer ein mangelndes Verständnis dafür fest, dass Waffensysteme in den Händen von Streitkräften der EU- und NATO-Mitglieder auf verschiedene Weisen helfen, den Frieden und die Sicherheit unserer Gesellschaft zu erhalten. Die Bilder aus der Ukraine erinnern uns täglich daran, dass Krieg das Gegenteil all dessen beinhaltet, wofür die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte steht. Die Bilder aus der Ukraine illustrieren überdies, wie Krieg der Umwelt schadet. Unser Credo lautet daher, dass Sicherheit die „Mutter“ aller Nachhaltigkeit ist. Diese Überzeugung haben die EU-Verteidigungsminister jüngst in ihrer Eigenschaft als Aufsichtsgremium der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA) in einer Erklärung bekräftigt.

Streitkräfte ohne moderne Waffen sind unfähig, den Frieden zu schützen

Aber was meinen Sie genau, wenn Sie das Thema Nachhaltigkeit mit Waffen in Verbindung bringen? Beim ersten Hören ist das vielen Menschen nicht gleich verständlich.

Damit meine ich, dass nur in Friedenszeiten Umweltgüter wie saubere Luft, sauberes Wasser und Landschaften erhalten bleiben, wie auch die soziale Würde …

… aber was meinen Sie genau damit? Was Sie sagen, klingt schön, abstrakt und ausweichend.

Ich behaupte nicht, dass die Verteidigungsindustrie automatisch nachhaltig ist, solange sie noch nicht klimaneutral produziert, worum sich aber alle Unternehmen bemühen. Was ich sage, bezieht sich vielmehr auf die Produkte der Rüstungsindustrie und den Sinn ihres möglichen Einsatzes: Waffensysteme in den Händen von Streitkräften der EU- und Nato-Mitglieder, die international anerkannte Regeln achten, leisten einen Beitrag zum Frieden und zur Sicherheit. Ich erinnere daran: Die NATO ist eine Verteidigungsallianz, ihr Handeln dient allein diesem Zweck. Und das klingt für mich überhaupt nicht abstrakt, sondern sehr konkret: Eine Armee ohne moderne Waffen ist unfähig, Abschreckung zu leisten und den Frieden aufrecht zu erhalten. Waffen sind deshalb – und es tut mir leid, das sagen zu müssen - existentiell, um die Freiheit und das Wohlergehen in unserem Land zu schützen.

Trotzdem ist nicht die ganze deutsche Öffentlichkeit davon überzeugt, dass die Produktion und der Besitz von Waffen nötig sind, um Stabilität zu bewahren.

Ja, aber indem unsere Rüstungsindustrie mit der technologischen Entwicklung Stand hält, welche zur wirksamen Verteidigung unseres Gemeinwesens notwendig ist, trägt unsere Industrie dazu bei, auch jeden einzelnen Menschen in Deutschland zu schützen. Menschen, die wie Sie und ich ganz normal in einem sicheren Umfeld leben wollen. Ebenso wird durch die Existenz der Rüstungsindustrie die Gesellschaft im Allgemeinen beschützt. Denn deren Wohlbefinden und Wohlstand können sich nur dann im Glauben an eine gute Zukunft weiter entwickeln, wenn für die Sicherheit unseres Staates und eine saubere Umwelt gesorgt ist. Gelingt das nicht, kann niemand von uns an unserem freiheitlichen, demokratischen Rechtsstaat teilhaben und dessen Vorzüge genießen.

Doch egal, ob ein Instrument zur finanziellen Regulierung geschaffen wird, Ihre Industrie profitiert nun von diesem Krieg, nicht wahr?

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Wir, die deutsche Sicherheits- und Rüstungsindustrie, stehen unter extremen Druck, unsere Kapazitäten hochzufahren und die Produktion bestimmter Waffensysteme so schnell wie möglich zu erhöhen. Seit März 2022 haben bereits viele Unternehmen, die unserem Verband angehören, ihre Produktion auf eigenes Risiko und ohne konkrete Aufträge erhöht. Da unsere Industrie aber hauptsächlich aus privatwirtschaftlich organisierten Unternehmen besteht, müssen wir gewinnbringend arbeiten. In Deutschland wird jeder Rüstungsvertrag nach den Regeln des öffentlichen Preisrechts aus dem Jahr 1953 geprüft. Das beinhaltet eine Offenlegung der Kostenkalkulation inklusive einer umfassenden, transparenten Darstellung der staatlich begrenzten Gewinnspanne. Trotzdem demonstrieren die deutschen Rüstungsunternehmen, die alle global unternehmerisch tätig sind, ganz eindeutig ihre Loyalität zu Deutschland. Für unsere Industrie ist und bleibt die Bundeswehr unser hochgeschätzter Premium-Kunde.

Dennoch ist das Klingeln in den Kassen der waffenproduzierenden Konzerne nicht zu überhören!

Verteidigungstechnologien sind hochentwickelte und per se recht kostspielige Technologien. Ohne in komplexe und innovative Waffensysteme zu investieren und sie auf dem neusten Stand der Technik möglicher potenzieller Gegner zu halten, werden wir weder Aggressionen abschrecken noch Frieden und Sicherheit gewährleisten können. Und ohne Sicherheit, da müssen wir ehrlich mit uns selbst sein, haben wir keine Nachhaltigkeit. Und keine Stabilität. Natürlich haben all diese Technologien auch ihren Preis. Aber, wie ich schon gesagt habe, die Regeln der staatlichen Preisregulierung geben sehr bescheidene Grenzen vor.

Wenn jemand schwach ist, kann er leicht zum Spielball wirtschaftlicher und militärischer Abhängigkeiten werden

Deutsche Waffenexporte werden von Teilen der deutschen Öffentlichkeit als kritisch betrachtet. Könnte man dem entgegenhalten, dass die Rüstungskooperation zu einer guten Qualität der internationalen Beziehungen beiträgt?

Die Bedeutung der internationalen Rüstungskooperation darf nicht unterschätzt werden. Ich meine hier nicht allein die beabsichtigte europäische Rüstungskooperation, die der wirtschaftlichen Logik von Größe, Effizienz und Kostenreduktion folgt. Vielmehr mache ich auf die außen- und sicherheitspolitischen Aspekte aufmerksam, die mit Rüstungsexporten einhergehen. Sie spielen eine extrem wichtige strategische Rolle für viele europäische Partner und somit auch für eine erfolgreiche europäische Zusammenarbeit. Doch solange die Regeln der Exportkontrollen nicht vereinheitlicht werden, haben Kooperationen mit deutscher Beteiligung kaum eine Chance auf Erfolg. Aktuell tendiert unsere Regierung dazu, sich eher nicht an gängigen Angleichungsmechanismen zu beteiligen. Damit gefährdet sie die Grundlage einer Vereinheitlichung von Exportregeln in Europa.

Von welchen Plänen zur Angleichung sprechen Sie?

Ich beziehe mich zum Beispiel auf die formelle Übereinkunft zwischen den Mitgliedern des Eurofighter Konsortiums. Ein weiteres Beispiel ist das Abstimmungsregime aufgrund des deutsch-französischen Vertrags von Aachen, dem inzwischen auch Spanien beigetreten ist. Zudem neigt unsere Regierung auch dazu, geplante Exporte in Länder außerhalb der NATO zu verzögern. Kunden und deutsche Lieferanten verzweifeln bisweilen daran. Die Folge wäre, dass unsere Kunden gezwungen sind, sich von der deutschen Rüstungsindustrie abzuwenden.

Was heißt das langfristig?

Langfristig wird sich das auf unsere Industrie negativ auswirken, und zwar dauerhaft. Einige Mitgliedsunternehmen unseres Verbandes werden das nicht überleben, wenn sie nicht einen Teil ihrer hochwertigen Produktion auch an andere Kunden als nur an die Bundeswehr liefern können. Dies regelt sich nach simplen marktwirtschaftlichen Prinzipien. Damit will ich keineswegs sagen, dass wir die Exportkontrollentscheidungen unserer Regierung nicht zu respektieren haben. Aber wir würden uns Entscheidungen wünschen, die gemäß nachvollziehbaren außen- und sicherheitspolitischen Standards getroffen werden.

Was sonst treibt Sie als Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie an?

Ich wünsche mir, dass wir als westliche Gesellschaften weiterhin so offen und frei leben können wie bisher. Damit meine ich ein unbeschwertes und angstfreies Leben, bei dem jeder selbst über sein Leben bestimmen kann und wir in einem Gefühl von Optimismus für die Zukunft, wie in den vergangenen Jahrzehnten, leben können. Als Vertreter der Rüstungsindustrie ist es mir auch ein Anliegen, unseren Verteidigungsminister in seinem dringenden Aufruf zu unterstützen, dass wir so rasch wie möglich „kriegstüchtig“ werden. Wenn jemand schwach ist, kann er leicht zum Spielball wirtschaftlicher und militärischer Abhängigkeiten werden. Darum müssen wir in der Lage sein, unsere Freiheit zu verteidigen, wann immer es sein muss.

Herr Atzpodien, haben Sie Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führte Monika Jung-Mounib.

 

Hans Christoph Atzpodien ist Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie e.V..

Monika Jung-Mounib ist freie Journalistin und Autorin. Von 1993 bis 1995 hat sie als Korrespondentin für die „Neue Zürcher Zeitung“ und andere Medien in Kiew, Ukraine, gearbeitet. Für ihre Doktorarbeit „Die Denuklearisierung der Ukraine 1991 – 1996“ hat sie in den späten 1990er Jahren die Hauptakteure der ukrainischen politischen Elite interviewt. Sie ist ebenfalls Autorin des Kinderbuches „Kater Konrad in Kiew“ (hü & hott, Erlenbach/CH, 2008).

 

Eine Bitte: Wenn Sie daran interessiert sind, das Interview ganz oder in Teilen zu veröffentlichen, bitte ich Sie darum, mich als Autorin zu nennen und bei Zitaten in einer Fußnote zu erwähnen. Über eine kurze Info wäre ich froh!

Vielen Dank, Monika Jung-Mounib, moj@swissonline.ch!

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