Vertrauen steht über einer guten Idee
Der steinige Weg neue Ideen zu etablieren
In meinen Augen ist die Sache ganz klar: Niemand hatte einen steinigeren Weg als John Harrison.
Noch bis ins 18. Jahrhundert gab es ein entscheidendes Problem: die genaue Bestimmbarkeit der geographischen Länge. Dies führte in der Schifffahrt zu erheblichen zeitlichen und somit zu wirtschaftlichen Verlusten. Denn Schiffe mussten in bekannten Gewässern erst zur nötigen Breite und anschließend etliche Wochen die Länge absegeln um die gewünschte Position zu erreichen. Aber selbst mit dieser Methode verfuhren sich Schiffe und es kam immer wieder zu schweren Verlusten.
1714 forderte das Parlament Englands eine brauchbare Lösung dieses Problems und schrieb ein Preisgeld von 20.000 Pfund (heute entsprächen das knapp 50 Mio. €) aus, die an die oder denjenigen geht, dem es gelingt die Länge mit höchsten einen halben Grad Abweichung genau bestimmen zu können. Daraufhin machten sich die größten Astronomen und Physiker jener Zeit an die Arbeit. Allerdings auch viele Menschen mit den absurdesten Vorschlägen. Doch was nützen einem Seefahrer Mond und Sterne, wenn diese am Tag und bei dichten Wolken nicht zu sehen sind.
Der gelernte Tischler John Harrison hingegen setzte auf genaue Uhren. Die Idee an sich war nicht neu. Wenn ich die Zeit meines Heimathafens kenne und die Sonnenzeit meines Ortes ermittle, kann ich meine Position bestimmen. Allerdings galten noch um 1700 Uhren, selbst auf festen Boden, mit maximal einer Minute Abweichung pro Tag als technisch kaum realisierbar. Selbst Sir Isaac Newton bezweifelte die Umsetzung einer Uhr, die so präzise funktioniert und dass diese dann auch noch auf hoher See verlässlich tickt.
1728 stellte Harrison der Längengradkommission sein Konzept vor. 1735 seine erste Uhr. Doch wer war schon dieser John Harrison. Er war ein unbekannter Mann aus einfachen Verhältnissen und dieser Mann will es ernsthaft wagen sich u.a. mit Sir Nevil Maskelyne, der 1765 königlicher Astronom geworden war und bis zuletzt auf die Monddistanzen zur Lösung des Problems setze, zu messen? Eine törichtste Anmaßung. So diskreditierte nicht nur Maskelyne Harrisons Vorschlag. Auch die Kommission verlangte von Harrison, dass er seine Uhr vor den Augen der Kommissionsmitgliedern auseinanderbauen sollte. Eine Demütigung.
Nach drei Jahrzehnten, vielen gebauten Uhren und erfolgreichen Schiffsreisen würdigte die Kommission endlich die Meisterleistung Harrisons, der inzwischen alt und von Gicht geplagt war, und sprach ihm 1759 ein Preisgeld in Höhe von 7.250 Pfund zu.
Warum ich diese, wie ich finde sehr bewegende, Geschichte meinem Artikel voranstelle, hat logischerweise seinen Grund. Meine zwei Geschäftspartner und ich hatten auch eine Idee. Dass diese Idee nicht in diesem Ausmaß die Welt verändert, ist selbstredend und schon gar nicht möchte ich mir etwas anmaßen. Aber unsere Idee kann und soll auch etwas verändern.
Ich bin ausgebildeter Schauspieler und ging während meiner Ausbildung zu meinem ersten Werbe-Casting. Das war 2003. Was ich genau bei diesem Casting erwartet habe, weiß ich ehrlich gesagt nicht mehr genau. Ich weiß nur noch, dass ich sehr enttäuscht war. Weniger von mir selbst. Es war mein erstes Casting und mir war klar, dass ich da nicht wie ein Vollprofi performen werde. Viel mehr war ich enttäuscht von der Durchführung des Casting und vom technischen Aufgebot. Ein kahler Raum, grau gestrichen, zwei Lampen, ein in die Tage gekommener Camcorder und hinter dieser Kamera ein Mensch, bei dem mir nicht klar war, ob dieser gerade Castings macht, oder am Fließband steht. Doch auch zehn, zwanzig, sogar 50 Castings später musste ich einsehen: Castings für Werbefilme sind so. Ich habe es nur schwer akzeptiert und spielte also auch in allen meinen Casting darauf alles in diese kahlen Räume hinein, was nicht da war. Requisiten habe ich nicht erwähnt. Ist aber auch nicht weiter schlimm. Es gab nahezu nie welche, die mir als Schauspieler beim Casting geholfen hätten.
Wenn es mir mit meiner, wie ich von mir behaupten würde, blühenden Schauspielerphantasie schon schwer fällt einen Werkstattmeister von 1948 eines traditionsreichen deutschen Autobauers, der gemeinsam mit seinem Team in einer Werkstatt, in der drei Fahrzeuge stehen, arbeitet, in diesem kahlen Raum darzustellen, wird doch die Betrachtung dieses Casting für den Kunden, für die Agentur, schnell ähnlich schwierig wie dieser Satz. Oder?
Unsere Idee ist es dem Casting mehr Leben einzuhauchen. Unser Ziel ist es das Casting viel näher an den späteren Werbefilm heran zu bringen. Unsere Idee ist es dem Kunden, der Werbeagentur, dem Regisseur und allen, die am kreativen und konzeptionellen Prozess eines Werbefilms beteiligt sind, auch beim Casting die entsprechende Wertschätzung ihrer Arbeit zukommen zu lassen. Unser Ziel ist es Castings zu verbessern.
Castings zu verbessern ist in der Umsetzung ganz einfach, dachten meine Partner und ich uns 2015. Muss der Hintergrund immer grau sein? Nein. Schon 2015 gab es neue Möglichkeiten. Grau wurden die Räume deswegen gestrichen, weil die älteren Kameras mit dem Weißabgleich nicht zurecht kamen. Wir projizieren heute das gewünschte Setting mit einem Beamer auf eine Leinwand. Gerne auch eine Werkstatt von 1948. Was ist eigentlich mit dem Ton? Dieser wurde noch nie direkt abgenommen, sondern es wird noch immer meistens das kleine Mikrofon an der Kamera verwendet. Wir haben eine Konstruktion gebaut, sodass wir den Ton direkt von den Schauspieler*innen abnehmen können. Requisiten? Ja bitte. Wir stellen beim Casting alle Requisiten zur Verfügung, die auch später im Film vorkommen.
Gut, also haben wir nicht nur gedacht, sondern gemacht und gründeten im Sommer 2017 Kardeel Casting mit eben gleich mehreren Alleinstellungsmerkmalen und sind somit in der Lage ein Casting optisch am originalgetreuen Set in einwandfreier Tonqualität stattfinden zu lassen. Eigentlich eine gute Idee. Oder?
Doch wer sind wir schon? Wir sind drei unbekannte Menschen, die vom Schauspiel kommen. Alexander Resch, einer meiner beiden Partner hat vor elf Jahren die Seiten gewechselt und ist seitdem nur noch hinter der Kamera zu finden. Und wir drei wollen es ernsthaft wagen uns mit den großen, bekannten, alt eigesessenen Castern für Werbung zu messen? Nein, wir wollen uns nicht messen. Wir wollen nur die kleine Casting Welt etwas besser machen.
Natürlich hoffe ich sehr, dass es nicht so lange braucht bis der Mehrwert unserer Art zu casten erkannt wird und wenn doch, wünsche ich uns ein Durchhaltevermögen wie das von John Harrison.