Vertrauen in Zeiten der digitalen Distanz

Vertrauen in Zeiten der digitalen Distanz

Die Zahlen müssen stimmen, der Betrieb auch über Homeoffice laufen, der Vertrieb muss trotz Krise verkaufen – Firmen fokussieren sich oft auf die „harten Fakten“ ihres Unternehmens. Die Corona-Krise war ein wirtschaftlicher Stresstest für viele – das Überleben musste gesichert werden. Mittlerweile haben Millionen von Unternehmen die Migration in den Homeoffice geschafft und können damit ihre Geschäftsaktivitäten stabilisieren. Was allerdings zunehmend in den Hintergrund rückt, ist der Wert von Vertrauen – im Team und zur Führungsebene. 

Vertrauen ist das Schmiermittel, das den Betrieb am Laufen hält

Vertrauen ist die Grundbedingung dafür, dass Hürden gemeistert werden können. Man merkt fehlendes Vertrauen zwischen Menschen nämlich in Krisensituationen. Fehlt die notwendige Bindung, um Streit und Unsicherheit zu überwinden, reagieren Menschen mit einer Vielzahl von destruktiven Verhaltensmustern – von Aggression zu selbstgerechter Ignoranz. Der Autor Frank Sonnenberg hat es treffend ausgedrückt: 

Vertrauen ist wie der Blutdruck. Es ist still, sehr wichtig für deine Gesundheit und wenn es missbraucht wird, dann kann es tödlich sein.

Für Unternehmen kann fehlendes Vertrauen tatsächlich tödlich sein. Im schlimmsten Fall werden Probleme vor der Führungsebene geheim gehalten, Teams sabotieren sich und die Mitarbeiterfluktuation erreicht ein schädliches Niveau. Teams verlieren zudem ihre Loyalität zum Arbeitgeber, wenn sie ihm nicht vertrauen – ein Verhalten, das häufig der Generation Y angekreidet wird. Gleichzeitig zeigt sich fehlendes Vertrauen seitens der Führungsebene in Form von Kontrollzwang. Mikromanagement und offene Zweifel über die Produktivität von Teams im Homeoffice demotivieren. In der Corona-Krise hat eine Vielzahl von Menschen erlebt, wie ihre Vorgesetzten die Präsenzkultur aufrechthalten wollen aus Angst davor, dass die Mitarbeiter faul seien. Dies ist an sich bereits ein bedenkliches Zeichen – es drückt nämlich entweder sehr schlechtes Recruiting von tatsächlich nicht vertrauenswürdigen Personen oder ein negatives Menschenbild aus. 

Auf Arbeitnehmerseite gibt es ebenfalls eine Reihe von negativen Mustern, die sich einstellen, wenn das Vertrauen zum Arbeitgeber fehlt – eine häufige Form ist die „innere Kündigung“. Dabei arbeiten die Betreffenden nur noch auf Sparflamme – sie sabotieren den Betrieb zwar nicht, aber leisten lediglich das Allernotwendigste. Durch die Corona-Krise und dem Arbeiten aus der Distanz kann es leichter geschehen, dass sich Arbeitnehmer emotional von ihrem Job distanzieren, wenn sie vernachlässigt werden. Wie entsteht nämlich Vertrauen? Es baut sich über längere Zeit durch ungezwungene Begegnungen auf – sei es an der Kaffeemaschine, beim gemeinsamen Mittagessen oder kreativen Brainstorming für ein Projekt. Vertrauen braucht Raum für Entfaltung. Vertrauen erfordert das Kennenlernen des Charakters und die Gewissheit, dass mein Gegenüber mich respektiert. 

Vetrauen trotz Distanz aufbauen 

Für diejenigen, die einen ausschließlich digitalen Onboarding-Prozess durchgemacht haben, dürfte schnell klar geworden sein: Aufgaben aus der Ferne abzuarbeiten ist unproblematisch – das Gefühl ein Teil eines Teams zu sein stellt sich allerdings auch nicht nach mehreren Zoom-Konferenzen ein. Wie kann man aus der Distanz daran arbeiten, dass sich Vertrauen einstellt? Ich habe einige Ideen zusammengetragen: 

  • Interesse am Team: Alle müssen in regelmäßigen Abständen zu Wort kommen und berichten, wie die Arbeit läuft – welche Herausforderungen gibt es aus der Distanz? Womit fühlt man sich nicht wohl? Welche Nachfragen zu Projekten sind ungeklärt geblieben? Dafür lohnt es sich in regelmäßigen Abständen (z.B. alle zwei Wochen) eine Feedback-Schleife pro Abteilung oder Team einzurichten – gerne auch persönlich. In Zoom-Konferenzen gehen manche Punkte unter. Dieser Punkt bedeutet zwar einen Mehraufwand für HR und Personalleitung, allerdings verhindert er, dass sich negative Muster einschleifen und verfestigen. 
  • Telefonieren, um Persönlichkeiten kennenzulernen: Chat-Funktionen auf Slack oder Microsoft Teams sind zwar schnell und bequem, allerdings ersetzen sie nicht den persönlichen Flurfunk. Ein großer Batzen an non-verbalen Kommunikationsbotschaften geht verloren, wenn man sich nicht sieht – Köpersprache, Mimik, Gestik, Intonation. Die Stimme verrät mehr als der Chat. Vor allem, wenn Zweier- oder Dreierteams zusammenarbeiten, lohnt sich das persönliche Gespräch am Telefon. 
  • Digitale Etikette der Ruhe pflegen: insbesondere junge Arbeitnehmer fühlen sich laut LinkedIn-Studie im Homeoffice gestresst. Sie befürchten, nicht wahrgenommen zu werden und kompensieren diese Furcht mit übereifriger digitaler Präsenz – E-Mails werden auch noch spät beantwortet, die ständige Erreichbarkeit ist eine freiwillige Maßnahme, die viele ergreifen. Teams sollten klare Regeln vereinbaren, wann Ruheräume gelten – auch um Überlastung zu vermeiden. Denn obwohl noch nie so viel wie heute über Work-Life-Balance gesprochen wird wie heute, gaben 2019 fast 20 Millionen Arbeitnehmer an Workoholics zu sein. 
  • Neue Formate der internen Kommunikation austesten: Im Intranet können Teams und Abteilungen auf Video- oder Audioformate zurückgreifen, um anderen Kollegen zu zeigen, was sie tun. Dies schafft Verbundenheit. Die von mir sehr geschätzte Rona van der Zander entwickelt Podcasts für die interne Kommunikation an – die Führungsebene kann sich auf diese Weise transparent, nahbar und persönlicher an das Team richten, als per E-Mail.
  • Sorgen der Führungsebene verstehen: Was befürchten Chefs? Ist es die Sorge, dass Ziele nicht erreicht werden? Oder dass die Innovation nachlässt? Wenn dies einmal geklärt ist, können Methoden vereinbart werden, um diese Sorgen abzubauen – muss sich der Team-Lead regelmäßig mit einem Update melden? Braucht es mehr Feedback-Schleifen? Es gibt keine Pauschallösung für diesen Fall, je nach Führungstyp und Team müssen individuelle Möglichkeiten gefunden werden. 

Es geht um eine starke Unternehmenskultur

Der Ökonom Peter Drucker hat den Satz „Kultur verspeist Strategie zum Frühstück“ geprägt. Dieser Satz ist populär geworden, weil er stimmt. Die impliziten Muster und Verhaltensweisen prägen die Unternehmenskultur und diese bestimmt die Art wie gearbeitet wird. Eine nachhaltige und wettbewerbsfähige Unternehmenskultur kann nicht ohne Vertrauen entstehen. Insbesondere für Unternehmen, die bisher mit digitalem Arbeiten aus der Distanz gefremdelt haben, ist es jedoch höchste Zeit sich zu überlege, wie sie es schaffen, Vertrauen aufzubauen. Denn Unternehmen verlieren stark, wenn sie zwar in ihrer Bilanz gut durch die Corona-Krise kommen – dafür allerdings das Vertrauen in ihrer Organisation verloren gegangen ist.  

Petra Cockrell

Executive Coach 📈 + Jobprofilerin 🚀 : strategische Manager-Unterstützung - Karriereentwicklung - erfolgreiche Bewerbung - Lebenslauf-Expertin - Interview-Vorbereitung - verdeckter Stellenmarkt -

4 Jahre

Mir fällt auf, dass die Auseinandersetzung mit der Frage "Was läuft "remote" anders?" und "Wie wirkt sich das auf die Zusammenarbeit aus?" in der Home Office-Umstellungshektik gerade erst anfängt. Mit diesen Fragen muss sich auch jeder Mitarbeiter selbst beschäftigen. Vor allem geht es darum, bewusster und proaktiver zu kommunizieren, egal über welchen Kanal - Stichwort: reaching out. Aktuell entstehen schnell mal Missverständnisse bis hin zu Konflikten, weil Informationen und persönliche Eindrücke fehlen. Da braucht es schon mal eine weitere Kommunikationsschleife 🔊, um sicherzustellen, dass jemand auch wirklich im Bilde ist - das kann auch mal eine Entschuldigung sein. Es hilft auf jeden Fall die Frage: .... und, wie geht es Dir ?" aktiv in sein Repertoire aufzunehmen und so auch die persönliche Beziehung zu stärken. Das zahlt sich in vielerlei Hinsicht aus.

Wie Christina Réka Henrichs schreibt sehe auch ich den Vertrauensvorschuss als essenziell an. Um diesen auch aufrecht zu erhalten, wäre der wöchentliche Call mit der Führungskraft ein guter Ansatz. Als eine Art "Micro-Update" könnte man sich hier austauschen über den Workload, die flexible Gestaltung der Arbeitszeiten und wo es eventuell Verbesserungsbedarf gibt.

Christina Réka Henrichs

Ensuring data and information

4 Jahre

Definitiv. Um zwischen den Zeilen zu lesen, ist das miteinander sprechen- über welches Medium auch immer- sinnvoll. Zudem halte ich einen kommunizierten Vertrauensvorschuss der Führungskräfte für gut. Das macht a) den Kontrollverlust transparent aber auch b) Konsequenzen bei Nichtwürdigung nachvollziehbar.

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