Vollautomatisierung vs. Teilautomatisierung: Die große Frage nach dem Automatisierungsgrad
Prozesse optimieren und Produktion automatisieren bedeutet auch immer: Eine Menge wichtiger Fragen für sich beantworten. Eine elementare Frage bei Projekten dieser Art ist die nach dem Automatisierungsgrad. Vollautomatisierung? Teilautomatisierung? Was ist am besten geeignet für den konkreten Anwendungsfall, für den individuellen Prozess?
Die unterschiedlichsten Gründe mögen Sie persönlich zum Thema Produktionsautomatisierung führen. Die häufigsten Treiber für deutsche Unternehmen sind laut einer Studie der STAUFEN AG:
- Senkung der Produktionskosten (54%),
- Transparenz in den Prozessen der Produktion (71%),
- Steigerung der innerbetrieblichen Effizienz (80%).
Und doch werden Sie – wie einige unserer Kunden und viele Mittelständler es auch taten und tun – vor dem sprichwörtlichen kalten Wasser stehen.
Kopfsprung ins kalte Wasser, oder mit dem kleinen Zeh zuerst?
Es ist eine klassische, und vor allem menschliche Denkweise. Bevor ich mit dem Kopf zuerst ins kalte Wasser springe, taste ich mich lieber mit dem kleinen Zeh heran. Ich teste die Temperatur, und die Auswirkungen auf meinen Körper. Bei der Automatisierung im deutschen Mittelstand verhält es sich nicht anders. Bevor die Fertigungshallen bis in die Haarspitzen mit vollautomatisierten Anlagen ausgestattet werden, tastet man sich vorsichtig heran. Wie verhält es sich in Ihrem Unternehmen? Kennen Sie die Situation?
Die schrittweise Einführung von Industrie 4.0–Lösungen ist absolut sinnvoll. Sie bietet Ihnen viele Vorteile:
- Geringe Investitionsrisiken,
- Die Zeit, Ihre internen Strukturen simultan "mitzuentwickeln",
- Die Möglichkeit, Kinderkrankheiten frühzeitig zu erkennen und aus Fehlern zu lernen.
Bei der reinen Wahl zwischen Vollautomatisierung und Teilautomatisierung sollten Sie allerdings anders vorgehen. Ihr Bauchgefühl wird Ihnen sagen: Schritt für Schritt. Zunächst eine Teilautomatisierung. Und später dann in Richtung Vollautomatisierung. Klingt logisch – für den objektiven Betrachter. Sie aber sind in der komfortablen Situation, dass Sie auf valide Daten in Ihren Produktionsprozessen zurückgreifen können.
Ich bin ein großer Fan von Produktionsdaten – klassische Berufskrankheit. Diese Daten sollten Sie unbedingt nutzen. Prüfen Sie Ihren Prozess auf Herz und Nieren. Ermitteln Sie Potenziale. Daraus wird sich klar ergeben, welcher Automatisierungsgrad der geeignetste für Ihren individuellen Prozess ist.
Die wirtschaftliche Herangehensweise ist der Schlüssel. Wenn eine Vollautomatisierung die beste Option ist, um das Maximum aus Ihrem Prozess herauszuholen, warum dann mit einer Teilautomatisierung starten? Wenn eine Kombination aus manuellen und automatisierten Abläufen perfekt passt, warum dann auf eine Vollautomatisierung bestehen?
"Die Fabrik der Zukunft wird zwei Angestellte haben, einen Menschen und einen Hund. Der Mensch ist dazu da, den Hund zu füttern. Der Hund, um den Menschen davon abzuhalten, die Geräte anzufassen." - Warren G. Bennis
In dieser Vorstellung ist die Rede von der 100% vollautomatisierten, komplett mannlosen Smart Factory. Ambitioniertes Ziel für Industriegiganten – völliges Wunschdenken für jeden Mittelständler. Grundsätzlich möchten wir uns auf einzelne Prozesse, noch nicht auf Ihre gesamte Produktion konzentrieren. Hier unterscheiden wir zwar zwischen Teilautomatisierung und Vollautomatisierung – in der Realität gibt es allerdings unzählige Nuancen zwischen den Polen „ausschließlich manuell“ und „ausschließlich automatisiert“. So kann der Anteil an automatisiert durchgeführten Teilprozessen stark variieren. Den Rahmen und die Grenzen setzt einzig und allein Ihr Prozess.
Grundsätzlich können wir sagen:
Doch Vorsicht mir dieser starken Verallgemeinerung der Umstände! Für eine vernünftige Analyse brauchen wir diverse Faktoren. Schauen wir uns diese doch einfach mal an:
Vollautomatisierung vs. Teilautomatisierung
Faktor Stückzahlen: Die Ausbringungsmenge Ihrer Bauteile ist von entscheidender Bedeutung für den Automatisierungsgrad. Automatisierung bringt immer Investitionen mit sich. Bei geringer Stückzahl eines Bauteils ist es gut möglich, dass eine umfassende Vollautomatisierung schlicht nicht rentabel ist gegenüber einer Teilautomatisierung des Prozesses.
Die gute Nachricht für Fans von Vollautomatisierung: produktübergreifende Robotik und Sensorik sowie modulare Systeme schaffen wertvolle Synergien in Ihren Prozessen und erhöhen die Wirtschaftlichkeit auch bei kleinen Stückzahlen.
Faktor Zeit: Die Maschine ist schnell, verdammt schnell. Wenn Ihre Stückzahlen und Ihre Bauteile es hergeben, wird sie 24 Stunden, 7 Tage die Woche auf Höchstleistung für Sie produzieren. Dabei können Ausbringungsmengen und Taktzeiten erreicht werden, welche bei einer teilautomatisierten Lösung schlicht nicht möglich sind.
Faktor Bauteil: Um Ihnen direkt die Illusion zu nehmen – vollständige Automatisierung ist kein Allheilmittel für jedes Ihrer Probleme. Es gibt durchaus Bauteile, die aufgrund ihrer technischen Beschaffenheit nicht oder nur sehr schwer vollautomatisiert zu handeln sind. Sind beispielsweise hohe Bauteiltoleranzen vorhanden, müssten Parameter so individuell eingestellt werden, dass es wenig sinnvoll ist, gewisse Teilprozesse vollautomatisch laufen zu lassen. Andersherum reichen teils bereits kleine Anpassungen am Bauteil aus, um eine prozesssichere Verarbeitung gewährleisten zu können – dies sollten Sie gemeinsam mit einem Experten prüfen.
Faktor Mensch: Ein stark diskutiertes Thema. Wird die Maschine den Menschen ersetzen? Ich möchte hier und heute keine Wertung vornehmen, sondern lediglich beschreiben. Der Mensch hat seine ganz natürlichen Stärken und Schwächen: wir machen Pausen, wir haben ein Recht auf Freizeit und wir sind mitunter auch mal unkonzentriert. Das ist absolut normal. Genauso normal ist es, dass Vollautomatisierung – beispielsweise in der Bauteilprüfung – mehr Sicherheit in der Einhaltung von Qualitätsstandards liefert.
Andersherum haben wir Menschen eine elementare Stärke: wir agieren individuell. Das kann selbst im kleinsten Detail geschehen. So wird ein Mitarbeiter ein Bauteil, welches innerhalb eines Toleranzbereiches schwankende Werte aufweist, individuell behandeln, einlegen, entnehmen. Die Maschine mit ihren genauen Parametern ist dazu gegebenenfalls nicht in der Lage. Lassen wir also beide Akteure tun, was sie gut können!
Faktor Zuführung: Ein Teilprozess, der häufig manuell durchgeführt wird, ist die Zuführung des Bauteils in einen automatisierten Prozess. Dies liegt in der Regel auch am Bauteil selbst. Die Zuführung kann sich kompliziert und kostenintensiv gestalten, wenn das Bauteil schwierig zu greifen ist oder z.B. als Schüttgut vorliegt: Eine ungünstige Bauteilgeometrie kann zu Schwierigkeiten führen.
Aber auch hier: Technologien im Bereich der Kameraprüfung bieten Abhilfe. Informieren Sie sich beispielsweise gern über die Bin Picking Methode, welche eine Zuführung auch bei Schüttgut mit suboptimaler Bauteilgeometrie ermöglicht.
Mein Fazit
Sie haben einen Prozess identifiziert, den Sie gern automatisieren möchten? Sehr gut. Wie sieht es mit Ihren anderen Prozessen aus? Eine umfassende Potenzialanalyse sollte bestenfalls prozessübergreifend durchgeführt werden. Die Devise lautet: Informationen sammeln, Synergien finden, die individuelle Lösung kreieren. Dann werden Sie die verschiedenen Faktoren optimal miteinander ins Verhältnis bringen können.
Machen Sie dies lieber früh als spät. Sie haben einen bestehenden Prozess, der optimiert werden soll? Gut. Sie haben ein neues Produkt und einen neuen Prozess, den Sie planen? Noch besser! Unsere Erfahrung zeigt: die Planung einer Automatisierung verläuft am effektivsten im Produktentstehungsprozess selbst. So kann das Bauteil auf die automatisierte Produktion ausgerichtet und entwickelt werden – und sein gesamtes technisches wie wirtschaftliches Potenzial für Sie ausschöpfen.
Beste Grüße, Dennis Lenkering
industry needs digital thinking + digitalization & technology | individual solution | thinking out of the box
3 JahreSchön beschrieben! Die Frage (voll/teil/manuell) betrifft letztlich ganz viele Bereiche und Abteilungen im Zuge von Digitalisierung/Industrie 4.0. Eine Standard Lösung gibt es einfach genauso wenig wie einen Standard Kunden 🤷♀️
👏💡