Volle Fahrt voraus? Aber bitte nicht hier!
„Muss ich mir Sorgen um den Wirtschafts-Standort Deutschland machen?“ „Verpennt die deutsche Wirtschaft die digitale Wende?“ Die Nachrichten der Woche war eher beunruhigend in dieser Woche. Meine grundlegende, optimistische Einstellung schwankt zwischen Ernüchterung und kraftvollem Zupacken. Dienstag. Ich sitze im Zug nach Berlin und lese im Handelsblatt (online) die aktuellen Nachrichten.
„Die Große Koalition hat einen großen Teil des in sie gesetzten Vertrauens verspielt!“
(Dieter Kempf, BDI-Präsident)
Am Tag der Deutschen Industrie klingt es wie die Abrechnung mit einer regierungsmüden Kanzlerin und einem offensichtlich gestaltungsunwilligen Kabinett. Der vielzitierte Satz von Dieter Kempf: „Die Regierungspolitik schadet Unternehmen!“ ist nicht in der wörtlichen Rede im Beisein der Kanzlerin gefallen, stand aber so im verteilten Redemanuskript. Wer den brillanten Redner (Dieter Kempf) kennt, weiss exakt, das er Klarheit und Offensive sehr wohl mit Stilsicherheit zu kombinieren versteht. Auch ohne diese verbale „Watsch´n“ ist nicht nur den Vertretern im Plenum klar: Da kommt auch nichts mehr von der Politik. Und umso schwerer wiegt die Enttäuschung über die verlorenen Jahre entschlossenen Regierungshandelns.
Ich frage mich: „Brauchen wir diese Politik?“ Nein, diese Politik der vollmundigen Versprechungen ohne Tatkraft hat augenscheinlich ausgedient. Aber: Wir brauchen die richtigen Politiker. Politiker, die verstehen, dass zwischen populistischer Forderungswut und Mikrointeressen von Lobbygruppen ein wahres Bedürfnis besteht. Klarheit! Die wenigsten Volksvertreter scheinen daran interessiert zu sein, dem Volke reinen Wein einzuschenken. Auf den Tisch kommen dagegen nur abgestandene Meinungen und saure Moralvorstellungen.
Ich bin erleichtert, dass Dieter Kempf mehr Klarheit in die Herausforderungen bringt. Und ertappe mich bei dem Gedanken. Den hätte ich gerne als Bundeskanzler.
Bevor ich aus dem Zug aussteige, lese ich noch ein Bonmot der aktuellen Kanzlerin als Erwiderung auf die öffentliche Schelte:
„Irgendwann muss man auch mal ein Tor schießen!“
(Angela Merkel, Bundeskanzlerin (a.D.))
Sofort kommt mir das Bild der rumpelnden deutschen Männer Fußball-Mannschaft in den Sinn. Vor knapp einem Jahr gab es ein schmähliches 0:2 gegen mutige Südkoreaner. Die deutschen Fußballer hatten zwar mehr Ballbesitz, wussten aber meist mit dem Ball nichts vernünftiges anzufangen. Ich ziehe scharf die Luft ein. Genau wie die aktuelle Politik (oder besser die Politik der letzten Jahre, des letzten Jahrzehnts?). Haben die Gestaltungshoheit, haben die Mittel durch reichlich sprudelnde Steuereinnahmen, setzen eindeutig falsche Prioritäten. Gäbe es so etwas wie einen Transfermarkt (wie im Fußball) für Politiker, die meisten der handelnden Protagonisten hätten wohl keine Chance bei einem hochklassigen Verein. Und ich ertappe mich bei dem Gedanken, dass es eine selten blöde Idee der Meinungsforscher ist, nach dem beliebtesten Politiker zu fragen. Wie wäre es mit der Frage: Welcher Politiker ist der beste Akteur / die beste Akteurin für unsere nationale und europäische Gesellschaft und Wirtschaft? Na, ich kann ja einen Leserbrief an ARD und ZDF schreiben.
Gut, dass ich in Berlin beim Bitkom bin.
„Die Lage ist besser als die Stimmung!“
(Achim Berg, frisch wiedergewählter Bitkom-Präsident)
Dass die Digitalbranche zu den besonders dynamischen zählt, ist ja klar. Aber der Präsident Achim Berg weiss es auch gut zu adressieren. Stimmungstechnisch mag so mancher Unternehmenslenker glauben, der Untergang des christlichen Wirtschaftsstandorts ist in vollem Gange. Selbst der 84jährige „Schrauben-König“ Reinhold Würth konstatiert im Gespräch mit der „BILD“, dass die aktuelle Kanzlerin nicht wirklich seine Verehrung genießt. „Macht zu erhalten war ihr oft wichtiger, als Fortschritte in der Politik zu erzielen“, so wird der Unternehmer zitiert.
Achim Berg macht in seiner Rede auf der Mitgliederversammlung deutlich, dass wir zu Recht auf vieles stolz sein können. Immer mehr Unternehmen setzen tatkräftig auf die Modernisierung ihre Unternehmen durch optimierte Prozesse und Verfahren. Und er fordert uns – als Unternehmen und Gestalter – auf, neue Chancen nicht vorbeiziehen zu lassen. Ich bin bestimmt kein Hardware-Entwickler, aber mir leuchtet sehr wohl ein, als er sagt: Beim Quantencomputing haben wir aus Deutschland heraus alle Chancen in der ersten Liga mitzuspielen. Da bin gespannt, wer von den deutschen Forschungs- und Industrieunternehmen da mitspielt.
Der abendliche Sommerempfang des Bitkom im Hamburger Bahnhof ist ein prima Stelldichein der Branche, politischer Vertreter und Würdenträger der öffentlichen Hand. Ich treffe einen gut gelaunten, ehemaligen, sehr angesehenen Top-Manager aus der Messebranche.
„Wir brauchen auch einen langen Atem!“
Diese Worte klingeln mir im Ohr. Kurzlebiger Aktionismus mag gut für die Presse sein, aber die große Linie zu verfolgen und auch ein schweres Schiff neu auszurichten; das ist Herkulesarbeit. Und diese Arbeit verlangt nicht nur Kraft, sondern auch Ausdauer. Ich bin mir sicher, dass wir mehr von diesen durchsetzungsfreudigen und mitarbeitermitnehmenden Managern und Unternehmertypen brauchen. Kurz bevor ich die Veranstaltung verlasse, nehme ich noch ein weiteres Bonmot mit, das im Gespräch mit einem fröhlichen Verlagsmanager fällt:
„Du musst nicht der Erste sein, aber der Beste!“
Welches Unternehmen der Medienbranche versuchte als erstes, eine sogenannte „paywall“ aufzubauen? Ich kann mich nicht mehr erinnern. Vielleicht gibt es das Unternehmen auch gar nicht mehr. Aber wer heute seine hochwertigen, redaktionellen Inhalte im digitalen Abo-Modell anbietet, der kann sich sicher sein, dass er Spitzenergebnisse erzielen kann, wenn er auch Spitzen-Content hat. Ein Hoch auf die Fähigkeit, nicht der Erste, aber der Beste sein zu wollen.
„Entschuldigen Sie die Verspätung!“ (Deutsche Bahn)
Es ist leider ein Evergreen. Die letzte Bahn aus Berlin nach Hamburg. Das Bord-Bistro ist nicht bewirtschaftet. Der Zug fährt gemütlich. Da stimmt bestimmt was nicht. Aufgrund technischer Schwierigkeiten erreichen wir den Hamburger Hauptbahnhof mit mehr als 30 Minuten Verspätung. Mein Bus ist weg. Der Nachtbus kommt erst in einer halben Stunde. Zu Fuß? Ich hätte es mit MOIA, dem elektrischen Sammeltaxi machen sollen. Ich war zu müde, um mich daran zu erinnern. Taxi und gut. 19 Stunden und jede Menge Gedanken und Ideen. Ich freue mich, dass ich mein unternehmerisches Schicksal in eigenen Händen halte. Gute Nacht Politik. Guten Morgen Tatkraft.