Vom risikolosen Zinssatz zum zinslosen Risiko
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Vom risikolosen Zinssatz zum zinslosen Risiko

Die Nullzinspolitik hindert Innovationen, den nachhaltigen Umgang mit Talenten und Ressourcen und schafft Zombies.

Unicorn, Dragon Egg, Walking Dead

In der Start-up Szene, sind die Begriffe Unicorn, Dragon Egg aber auch Walking Dead häufig benutzte Begriffe. Jeder Gründer träumt davon, das sein Start-up über das Stadium des Hoffnungsträgers, dem Dragon Egg hinauswächst, und sich zum neuen Star, dem milliardenschweren Unicorn, entwickelt. Um das zu erreichen braucht es Innovationskraft, erfolgreiche Geschäftsmodelle, skalierbare Märkte und vor allem Ausdauer und Beharrlichkeit der Gründer. Start-ups stehen dabei in einem unmittelbaren Wettbewerb um knappe Ressourcen, wie Talente, Rohstoffe oder Geld.

Sicherlich will kein Gründer oder etablierter Unternehmer, dass sich seine Firma zum Walking Dead entwickelt. Walking Deads sind defizitäre Unternehmen, die kein nachhaltiges profitables Geschäftsmodell besitzen. Sie vegetieren einzig und allein aufgrund externe Hilfe dahin.

Eine solche externe Hilfe ist derzeit sicherlich das Fluten der Märkte mit billiger Liquidität samt negativen Anlagezinssätze durch die Notenbanken. Diese Geldpolitik führt zunehmend zu einer falschen Allokation der knappen Ressourcen, wie Mitarbeiter, Rohstoffen oder Geld und bedingt darüber hinaus negative Preiseffekte.

Doch der Reihe nach.

Probleme der Banken

Die Banken kämpfen seit der Finanz- und Staatsschuldenkrise neben einem reduzierten Interbanken- und Repomarkt mit stark erhöhten aufsichtsrechtlichen Anforderungen an ihre Eigenkapitalausstattung und den internen Risikoprozessen. Die Bereinigung ihrer Kreditportfolien ist nach wie vor nicht abgeschlossen und wird durch die drastisch gestiegenen Kosten für die Implementierung der verschiedenen Regulierungen, von Basel3, über EMIR, MiFID2 bis PSD2 und DSGVO erschwert. Zusätzlich leiden viele Banken unter den hohen Kosten der notwendigen Digitalisierung ihrer Prozesse. Diese Kosten sind insbesondere wegen der meistens alten und inflexiblen IT-Systeme besonders hoch. Hier haben es FinTech’s mit ihrem relativ kostengünstigen Grünewieseansatz viel leichter, um die digitale Zukunft samt der künstlichen Intelligenz zu gestalten.

Wohlwollende Geldpolitik

Die Notenbanken haben seit der Finanzkrise den Refinanzierungsdruck der Banken aber vor allem der Kredit suchenden Unternehmen gesehen und wollen es deswegen den Banken durch eine sehr lockere Geldpolitik ermöglichen, sich günstig zu refinanzieren und dadurch trotzdem als maßgeblicher Liquiditätsversorger der Wirtschaft operieren zu können. Damit das Geld auch in der Realwirtschaft als Kredit ankommt, erschweren die Notenbanken zudem bewußt mit einem negativen Anlagezins, dass Banken außerhalb des Kreditmarktes investieren oder auch Geld bei der EZB parken. Neben der guten Absicht den Realwirtschaft zu helfen, sprangen die Notbanken insbesondere den hochverschuldeten Staaten mit ihrer Nullzinspolitik zur Seite, damit diese ihre teils maroden Haushalte besser konsolidieren können.

Damoklesschwert Staatsschulden

Die Banken sind zwischenzeitlich viele der oben beschriebene Probleme angegangen oder haben sie sogar bereits gelöst. Bei den Staatshaushalten wurden allerdings kaum strukturelle Verbesserungen erzielt. Die Notenbanken unterstützen deshalb die hochverschuldeten und teils unwilligen Staaten nach wie vor mit ihrer Nullzinspolitik sowie einem massiven Ankauf von Staatsanleihen. Da die eingesparten Zinsen aber sehr selten zum Schuldenabbau genutzt werden, und die Neuschulden durch den teilweise erzwungenen Ankauf ihrer Anleihen durch Notenbanken und Finanzinstitute einfach finanzierbar und absetzbar sind, verschärft sich bei gleichzeitig niedriger Inflation deren Schuldendilemma. Dies führt bereits seit geraumer Zeit zu kritischen Entwicklungen.

So ist der Preis für Investitionsrisiken drastisch gesunken. Bei bestens geratenen Staaten und Unternehmen, ist das Risiko bereits negativ verzinst. Im allgemeinen profitieren vordergründig auch Unternehmen davon, indem sie derzeit einen sehr einfachen Kapitalzugang erhalten, und sie Covenants, die Kreditbedingungen, auf einem sehr weichen Level verhandeln können. Hierbei setzen die Unternehmen Kreditbedingungen durch, die den Banken wenig Risikoschutz geben und bei denen die Kreditzinsen mitunter das Kreditrisiko kaum abdecken.

Problematisch sind die hohen Staatsschulden auch aus Sicht der Banken. Denn diese sind zur Einhaltung der Liquiditätsgrundsätze ironischerweise gezwungen, Mittel in angeblich sichere, liquide aber negativ verzinslichen Staatsanleihen anzulegen. Hier haben sich Staaten mit Basel III oder Solvenz II eine zweifelhafte Absatzgarantie ihrer teils faul anmutenden Staatskredite geschaffen.

Das hat drei fatale Folgen für die Banken & Investoren

  1. Drohende Kursverluste für Anleihen: Sollten Zinsen wieder steigen, werden die Anleihen starke Kursverluste erleiden, welche den ohnehin kapitalschwachen Banken das Ergebnis verhageln werden. Bei einer 10 jährigen Nullkupon-Anleihe fällt der Kurs um ca. 9,5% wenn sich der Zinssatz von 0% auf 1% erhöht. Da erscheint die Volatilität der Aktien, selbst Kursstürze noch recht attraktiv gegen.
  2. Vom risikolosen Zinssatz zum zinslosen Risiko: Mit dem Negativzins scheiden Staatsanleihen als attraktive Geldanlage für Investoren aus. Was früher einmal als risikoloser Referenzzins für die optimale Assetallokation genutzt werden konnte, ist jetzt zu einem zinslosen Risiko geworden und widerspricht jeglichen Risikoertragskonzepten. Deswegen sucht die ganze Welt, von Banken, Versicherern und Pensionskassen, über Publikum- und Spezialfonds, Family Offices bis hin zu Staatsfonds händeringend nach alternativen, zinsbringenden Investment und haben durch ihre massive Nachfrage bei beschränkten Angebot die Kreditzinsen bzw. den Risikoertrag drastisch gesenkt. Inflation findet letztlich in den Sachwerten von Unternehmensbeteiligungen, Immobilien oder Commodities statt, deren Preise nur eine Richtung, die nach oben, kennen.
  3. Investoren lehnen zunehmend Staatsanleihen als Sicherheitswert ab: Selbst am Repomarkt werden die Ängste größer. Repo steht für ein Repurchase Agreement, bei dem die Banken kurzfristige Liquidität für einen Verkauf bei gleichzeitig definierten Rückkauf von liquiden Sicherheitswerten, wie zum Beispiel Staatsanleihen, erhalten. Hier musste die amerikanische Notenbank, die FED, im September 2019 mit knapp $700 Mrd. intervenieren, da die Repozinsen aufgrund der Sorge um die Werthaltigkeit der amerikanischen Treasuries von 2% auf 10% anzogen.

Der Nullzins schafft Zombiefirmen

Auf Seite der Unternehmen erhalten auch solche Unternehmen üppige Liquidität und Zugang zu frischem Kapital, die in einem normalen Zinsumfeld, keine Refinanzierung oder neue Mittel erhalten würden. Aufgrund der Nullzinspolitik bleiben diese Unternehmen künstlich am leben, und vegetieren wie Zombies weiter.

Dieses Problem verschärft sich dadurch, dass - wie bereits erwähnt - die Banken aufgrund ihrer knappen Eigenkapitalsituation nicht bereit sind, diese Zombiekredite abzuschreiben. Die hohe Anzahl von Walking Dead Unternehmen versteckt sich indirekt auch in den niedrigen bzw. stagnierenden Insolvenzzahlen.

Neben den Zinsen fördert auch der seit 2009 neue Überschuldungstatbestand in Deutschland die Zunahme von Zombies. Danach kann die Insolvenzanmeldung im Falle der Überschuldung aufgeschoben werden, sofern das Unternehmen für das laufende Geschäftsjahr einen positiven Cashflow erwartet. Die Betonung liegt auf “erwartet”.

Definition von Zombie-Unternehmen

Die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) definiert ein Unternehmen dann als Zombie, wenn es seit zehn Jahre besteht und in drei aufeinanderfolgenden Jahren nicht in Lage ist, seine Zinslast aus dem operativen Ergebnis zu bestreiten, also der Zinsdeckungsgrad (Interest Coverage Ratio) in drei aufeinanderfolgenden Jahren kleiner als eins ist. Die Deutsche Bundesbank verwendet weitgehend die selbe Definition für den Begriff. In einer Studie aus dem Jahr 2017 weist die Bundesbank darauf hin, dass in 2015 fast 5 von 100 Unternehmen Zombies waren. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) zeigt, dass sich die Zombiequote von 2% in 1980 auf 12% in 2016 weltweit dramatisch erhöht hat.

Walking Dead binden Kapital und Talent

Neben der Fehlleitung von Kapital ist ein wesentliches Problem der Zombieunternehmen, dass diese Überkapazitäten im Markt schaffen und darüber hinaus talentierte Fachkräfte und wertvolle Ressourcen binden, welche gesunde und wachsende Unternehmen, aber auch Start-ups und Gründer dringend benötigen. Da sie zusätzlich ihre Ware in engen, wettbewerbsintensiven Märkten über den Preis anbieten, drücken sie die ohnehin knappen Margen der gesunden Unternehmen. Hinsichtlich der gebunden Mitarbeiter und nachgefragten Roh- und Vorprodukte wirken Zombies dagegen preistreibend.

Sinnvoller wäre es, wenn diese Firmen entweder vom Markt verschwinden oder diese mit der vorhandenen billigen Liquidität proaktiv restrukturiert würden. Wenn es Zombies schon gibt, dann sollten sie wenigstens etwas sinnstiftendes machen, das ihnen eine profitable und nachhaltige Zukunft ermöglicht.

Zombies belasten die Konjunktur

Die Geldschwemme wirkt nicht nur auf einzelne Unternehmen, sondern im Ende auf die gesamte Volkswirtschaft. Wegen der negativen Preis-, Nachfrage und Angebotseffekte hemmen Zombies das Wirtschaftswachstum und bremsen die Inflation. Tiefe Inflationsraten aber erhöhen die reale Schuldenlast und verschärfen das Schuldendrama für die Zombies aber auch die sich weiter verschuldenden Staaten.

Solange die Zinsen niedrig bleiben und die Korrektur nicht stark abflaut, mögen sich Zombiefirmen sowie die heiß gestrickte Staatsfinanzen über Wasser halten können. Sollten die Notenbanken allerdings eines Tages entscheiden, die Zinsen wieder zu erhöhen, könnte es zu einem drastischen Anstieg der Insolvenzen samt einer enormen Restrukturierungswelle kommen. Für die meisten Staaten würde ebenfalls eine Finanzierungskrise beginnen. Und damit auch eine Bankenkrise, da diese dann die ausgefallen Kredite samt der als Liquiditätsreserve gehaltenen Staatsanleihen drastisch abschreiben müssen.

Die gute Nachricht derzeit ist, dass keiner von einer schnellen Abkehr der Nullzinspolitik ausgeht. Sogar der Versuch der USA, in eine neue Normalität zurückzukehren ist schließlich nicht nur aufgrund von Trump gescheitert.

Allerdings trübt sich derzeit die wirtschaftliche Lage deutlich ein. Angesichts der bestehenden Risiken durch den Brexit oder den Handelskrieg zwischen den USA und China werden derzeit deutliche Signale einer weltweiten konjunkturellen Abkühlung sichtbar. Dies betrifft also auch Europa und vor allem die Exportnation Deutschland. Mögliche Auftragseinbrüche würden besonders Zombies hart treffen. Volkswirtschaftlich betrachtet wäre das aber gut. Immerhin käme es dann zu der natürlichen Bereinigung, die sich unter normalen Marktbedingungen schon längst vollzogen hätte. Selbstverständlich würde ein solcher Prozess mit Arbeitsplatzverlusten einhergehen. Doch Fachkräfte fehlen ja sowieso, so dass dies sowohl für Arbeitnehmer als auch die Konkurrenz eher ein Gewinn wäre.

Umstellung auf neue innovative Geschäftsmodelle

Für die einzelne Zombiefirma wäre der Übergang in die Welt der wirklich Toten tatsächlich sehr schmerzlich. Deshalb ist Eile geboten. Wer seine Firma aus dem Scheintot ins Leben zurückholen will, sollte daher schnellstens sein Geschäftsmodell aktiv restrukturieren bzw. komplett erneuern. Innovation ist das Schlüsselwort. Andere Möglichkeiten sind dagegen kaum in Sicht

Von den Banken wird der Impuls nicht kommen, zumal sie bei Restrukturierung erschreckt zusammenzucken und weggucken. Auch haben strategische Investoren kein Interesse, eine halb tote Firma zu übernehmen. Zumindest nicht als Ganzes. Sie fokussieren im besten Falle auf die vorhandene Technologie, die ein anderes Unternehmen für sein eigenes Geschäftsmodell benötigt. Wie ein Metzgermeister nehmen sie dann die besten Filetstücke heraus und der Rest wird verwurstet. Die Hoffnung, dass Investoren, die Rendite suchen, Interesse an einem Filetieren der besten und verwertbarsten Stücke haben könnten, ist derzeit aber nicht im M&A-Markt zu erkennen.

Letztlich bleibt den Zombiefirmen nur eine Möglichkeit: Sie müssen ihr Geschäftsmodell aktiv ändern oder besser sogar innovieren, um wieder nachhaltige Erträge in einer lukrativen Nische zu erzielen. Das gilt für Unternehmen jeder Branche, denn Walking Deads gibt es überall.

Fazit

Die Nullzinspolitik der Zentralbanken besitzt deutlich negative Folgen für den Finanzsektor, Unternehmen, Staaten und die Volkswirtschaft. Staatsanleihen haben ihre Benchmarkfunktion als risikoloser Zinssatz verloren, sie sind vielmehr zu toxischen Bomben in Portfolien geworden. Der Finanzsektor leidet unter der Nullzinspolitik sowie der erzwungenen Abnahme der Staatsanleihen. Unternehmen spüren die negativen Wirkungen der Geldschwemme in einer Fehlallokation von Talenten und Ressourcen beziehungsweise in den negativen Preiseffekten. Die Anzahl der Zombiefirmen hat drastisch zugenommen.

Es gibt keine einfache Lösung auf die beschriebenen Probleme, insbesondere der Abhängigkeiten zwischen Staatsschulden, Geldpolitik und Portfoliorisiken der Finanzbranche. Sicher ist aber, dass Staaten innovativer sein sollten und mehr an die Zukunft und die kommenden Generation denken müssen. Sie sollten deswegen weniger nur ihre heutige Wählerklientel bedienen. Es gibt auch Folgegenerationen, die gleiche oder sogar bessere Entwicklungschancen verdienen, als nur die Probleme der vorherigen Generationen auszubaden.

Banken müssen ihre Geschäftsmodelle von Grund auf erneuern. Teilweise sind sie schon dabei. Das Beispiel des Repomarktes zeigt wie gefährlich die Abhängigkeit von Staatsanleihen zur Refinanzierung sein kann. 

Die Zentralbank kann die strukturellen Fiskalprobleme der Staaten nicht lösen. Die Nullzinspolitik und die massiven Anleihekäufe verhindert diese sogar. 

Unternehmen leiden besonders. Zombiefirmen sollten die Zeit für eine aktive Innovation ihrer Geschäftsmodelle nutzen oder aus dem Markt ausscheiden.

Letztendlich sollten Staaten, Finanzbranche und Unternehmen bereits heute mit einer großen Vision und einem hohen Engagement eine bessere Zukunft für alle aktiv gestalten. 

Create Future Today 

Autor

Strategy-Lab™ ⦿ Dr. Michael Thiemann

Dr. Michael Thiemann ist angetrieben von der Idee, die Welt durch innovative Ideen und nachhaltige Lösungen für Menschen und mit Unternehmen zu verbessern. Seit über 30 Jahren profitieren Firmen von seiner Fähigkeit, Grenzen aufzubrechen, Trends zu erkennen und klare Visionen zu entwickeln, um neue Geschäftsmodelle und nachhaltige Strategien zu schaffen und umzusetzen. Diese Erfahrungen hat er in seinem Buch “Create Future Today” für Gründer und Unternehmen zusammengefasst. Seine Aktivitäten als Autor, Berater Coach, Interim Manager und Key Note Speaker bündelt er unter seiner Marke Strategy-Lab™️.


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