Von christlicher Nächstenliebe zu politischem Opportunismus: Das "C" in der Kritik

Von christlicher Nächstenliebe zu politischem Opportunismus: Das "C" in der Kritik

Das C: Kein urchristliches Ideal, sondern katholische Soziallehre

Ein zentraler Fehler vieler Kritiker liegt in der Annahme, das "C" stünde für die radikalen Werte des Urchristentums, die in den Anfängen der christlichen Bewegung propagiert wurden. Diese frühen christlichen Gemeinschaften lebten in einer Struktur "der Gleichen", teilten Eigentum und stellten Solidarität  (im Sinne der Uneigenützlichkeit) und bedingungslose Nächstenliebe (Caritas) in den Mittelpunkt ihres Handelns. Doch das "C" in CDU und CSU bezieht sich nicht auf diese urchristlichen Werte, sondern vielmehr auf die katholische Soziallehre.

Die katholische Soziallehre, entwickelt im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, zielt darauf ab, eine Brücke zwischen christlicher Ethik und modernen gesellschaftlichen Herausforderungen zu schlagen. Sie betont Prinzipien wie Subsidiarität, Solidarität (im Sinne von Wohltätigkeit) und das Gemeinwohl (im Sinne von Aufrechterhaltung einer Ordnung). Dabei wird jedoch die bestehende soziale und wirtschaftliche Ordnung akzeptiert sowie das Privateigentum und Marktwirtschaft verteidigt. Der Begriff Caritas, der in der katholischen Tradition zentral ist, wird dabei weniger als radikale Umgestaltung der Gesellschaft verstanden, sondern als moralisches Konzept, das Hilfe zur Selbsthilfe und wohltätiges Engagement betont, ohne die grundlegenden Macht- und Besitzverhältnisse infrage zu stellen.

Karl Jaspers: Kritik am Parteienstaat und Werteverlust

Der Philosoph Karl Jaspers hat in der Mitte des 20. Jahrhunderts bereits grundlegende Kritik am Parteienstaat geäußert, die heute für die Diskussion um das "C" in CDU und CSU relevant ist. Jaspers warnte davor, dass Parteien ihre ursprünglichen Werte im Streben nach Macht und Anpassung an gesellschaftliche Mehrheiten verlieren könnten. Nach Jaspers birgt der Parteienstaat die Gefahr, dass politische Bewegungen nicht mehr von Überzeugungen getragen werden, sondern von Opportunismus und Machterhalt geprägt sind.

Dieses Spannungsfeld lässt sich deutlich bei CDU und CSU beobachten. Während das "C" in den Parteinamen als moralische Autorität dient und den Anspruch universeller Werte wie Nächstenliebe und Solidarität suggeriert, spiegelt die praktische Politik häufig marktorientierte, konservative und ausgrenzende Entscheidungen wider, die eher der Ideologie des Neoliberalismus als christlichen Idealen entsprechen. Für Jaspers wäre dies ein Paradebeispiel für den Verlust von Authentizität und moralischer Integrität im politischen System.

Das eigentliche Problem: Die katholische Ideologie hinter dem C

Die Kritik sollte sich nicht primär gegen das "C" als Symbol richten, sondern gegen die katholische Ideologie, die dahintersteht. Diese Ideologie interpretiert christliche Werte so, dass sie mit den bestehenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen vereinbar sind. Die katholische Soziallehre legitimiert eine hierarchische Gesellschaftsordnung, die zwar Wohltätigkeit (Caritas) fördert, aber keine radikale Umverteilung oder fundamentale Veränderungen anstrebt.

Dies erklärt, warum CDU und CSU zwar von christlicher Nächstenliebe sprechen, aber gleichzeitig eine Politik betreiben, die soziale Ungleichheiten nicht ausreichend bekämpft und teilweise sogar verstärkt. Die enge Verbindung dieser Parteien zur katholischen Kirche und deren Soziallehre prägt ihr Verständnis von "christlich" und unterscheidet es deutlich von den radikalen, egalitären Ideen des Urchristentums.

Fazit

Die Kritik an CDU und CSU, die sich auf das "C" in ihren Parteinamen bezieht, greift oft zu kurz. Das Problem liegt nicht in der bloßen Verwendung des Buchstabens, sondern in der katholischen Ideologie, die dahintersteht. Diese Ideologie interpretiert christliche Werte wie Caritas in einem konservativen Sinne, der mit den radikalen Gleichheitsvorstellungen der Urchristen wenig gemein hat.

Karl Jaspers’ Warnung vor dem Werteverlust politischer Parteien bleibt aktuell: Das "C" wird häufig als moralische Legitimation genutzt, ohne dass die tatsächliche Politik diesen Anspruch erfüllt. Die Diskussion sollte sich daher weniger auf die Symbolik des "C" konzentrieren, sondern auf die grundlegende ideologische Ausrichtung, die es prägt, und ihre Auswirkungen auf die praktische Politik.

Alexander Thoma

Engineering Manager at SUSE

4 Wochen

„Mit Gott“ von Herbert Grönemeyer - Text lesne und alles über die Union wissen!

Desiree Leinenbach

Real Estate Consultant, Unternehmerin und Gründerin im Bereich Energiewende für alle: Grüne (Finanz-)Anlagen, Facebook Aktivistin und Gründerin der Wähler*inneninitiative Grünwärts

1 Monat

Und ich dachte das "C" stehe für Corrupt.

Christian Wickboldt

Transformation by design, not by disaster

1 Monat

kleiner Fehler im Titelbild: Nimmt man das "C" weg, bleibt nicht "DU" übrig, sonder "ICH".

Vielen Dank für die klare Analyse und meine volle Zustimmung. Es ist gut, dass es auch in der Katholischen Soziallehre, die in der alten Bundesrepublik vor allem vom späteren Kardinal Höffner sowie dem Jesuiten Oswald von Nell-Breuning geprägt wurde, eine große Bandbreite an unterschiedlichen Überzeugungen gibt. Allerdings scheint mir die gesellschaftskritische Haltung der Propheten des "Alten Testamens", etwa eines Amos, insgesamt zu kurz zu kommen. Dabei sind gerade diese für eine Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik auch unserer Tage bleibend aktuell. Eine Orientierung an der die Menschen gesellschaftlich wie persönlich befreienden Botschaft Jesu entfällt in der heutigen Verkündigung weitgehend und viele Kirchengemeinden werden in ihren Kommunen häufig nur noch als im günstigsten Fall Wellness-Oasen wahrgenommen. Dabei läge allein im Themenfeld "Ausländer"- bzw. Migrantenfeindlichkeit viel Potential. Allerdings ist es wohl so, dass ca. 80% des katholischen Klerus, also deutlich mehr als im gemeindlichen Durchschnitt, der CxU nahestehen und nicht selten als deren Sprachrohr wahrgenommen werden.

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