wörter, die ich nicht verstehe
es gibt vermutlich im leben der meisten menschen diese augenblicke, in denen sie in der schule ein paar minuten lang nicht aufpassen, dadurch etwas nützliches zu lernen verpassen - und das dann für den rest ihrer jahre nicht mehr nachholen. ein einfaches beispiel: die unterscheidung zwischen das und dass. ich treffe haufenweise leute, die das auch als erwachsene nicht auf die kette bekommen.
nun geht es mir selbst nicht besser. ich muss damals unter minutenschlaf gelitten haben, als sie uns erklärten, was gesellschaftspolitisch bedeutet. und ich habe es bis ins fortgeschrittene erwachsenenalter nicht geschafft, das nachzuholen. wann immer ich es lese, zweifle ich: meinen die jetzt gesellschaftlich? oder politisch? und wo genau liegt der unterschied? meine 68er-vorfahren sagten immer, das gesellschaftliche sei politisch. und das private erst recht.
dann versuche ich, gesellschaftspolitisch zu verstehen über die parallele zu wirtschaftspolitsch, außenpolitisch, bildungspolitisch usw. - gelingt aber irgendwie auch nicht richtig.
erstaunlich oft kann man nämlich gesellschaftlich sagen. oder politisch. weil gesellschaftspolitisch aber mehr silben hat, könnte es teil einer angeberischen blabla-sprache sein, über die man in manchen milieus ja regelmäßig stolpert.
dagegen spricht aber, dass auch äußerst vertrauenswürdige leute das wort verwenden. etwa der gesetzgeber. in § 2 des lobbyregistergesetzes beispielsweise
(2) Interessenvertreter nach Absatz 1 müssen sich bei Interessenvertretung gegenüber den Organen, Gremien, Mitgliedern, Fraktionen oder Gruppen des Deutschen Bundestages nicht eintragen, wenn und soweit sie [...] 10.als Einrichtungen zur gesellschaftspolitischen und demokratischen Bildungsarbeit (politische Stiftungen) tätig werden, soweit der jeweilige Haushaltsgesetzgeber Globalzuschüsse zur Erfüllung ihrer satzungsmäßigen Aufgaben gewährt, [...]
und in § 3 des stiftungsfinanzierungsgesetzes
(4) Absatz 3 gilt für Globalzuschüsse zur gesellschaftspolitischen und demokratischen Bildungsarbeit mit der Maßgabe, dass alle förderberechtigten Stiftungen je 1 Prozent des Gesamtbetrages als Sockelförderung erhalten.
auch der bundesgerichtshof:
Der Ansicht der Revision, zu der Diskussion über diese gesellschaftspolitisch bedeutsame Thematik hätten die am 27. April 2005 gefertigten Fotos nichts Wesentliches beitragen können, weil sie Momentaufnahmen darstellten, die lediglich die Neugier über das Privatleben der Klägerin und ihre Gefühlsverarbeitung hätten befriedigen sollen, kann nicht gefolgt werden.
(bgh v.24. Juni 2008 – VI ZR 156/06 = zum 2008, 789, Rn. 22)
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Die Tatsache, daß ein Gewerbetreibender in Wettbewerb zu anderen steht, nimmt ihm nicht das Recht, zu gesellschaftspolitisch relevanten Themen, die auch außerhalb seines geschäftlichen Bereichs liegen können, öffentlich Stellung zu nehmen.
(bgh v. 6.7. 1995 – I ZR 239/93 = njw 1995, 2488, 2490)
juristische professoren:
Oder wird das, was gesellschaftspolitisch Konsens bleiben sollte, zu diesem erklärt?
(Kment, NVwZ 2024, 955, 959)
Zudem ermöglicht es die Verfahrensgestaltung dem Richter, selbstständig Verfahren auch in gesellschaftspolitisch heiklen Fragen einzuleiten.
(Hoven/Rostalski, NStZ 2024, 65, 70)
das kann doch nicht alles nur heiße luft sein, oder?
hat jemand einen tipp, ob und wann ich das wort einsetzen darf?