Wann wird es das erste Roboterrecht geben?

Wann wird es das erste Roboterrecht geben?

Digitalisierung und Innovation laufen häufig nach dem Prinzip “einfach mal machen” ab. Doch damit am Ende tatsächlich etwas Bleibendes entstehen kann, müssen auch alle rechtlichen Anforderungen erfüllt sein. Und da das Medizinrecht eine sehr komplexe Angelegenheit ist, habe ich für die aktuelle Folge meines Podcasts “Patient Deutschland” mit Prof. Alexandra Jorzig gesprochen. Sie ist Hochschulprofessorin an der IB Hochschule Berlin und Medizinrechtlerin und somit die perfekte Gesprächspartnerin, die erklären kann, welche rechtlichen Stolpersteine es bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens gibt, ob wir in Deutschland Schlusslicht oder Wegbereiter für die Gesetzgebung im Medizinrecht sind und warum wir vielleicht schon bald ein Roboterrecht brauchen. 


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Alexandra Jorzig wollte eigentlich Ärztin werden, entschied sich schließlich aber doch für das Jura-Studium. Ihre erste Leidenschaft, für die Medizin, trat damit zwar etwas in den Hintergrund, verschwand aber nie ganz: Bereits über frühe Praktika und später durch Spezialisierungen entwickelte sie sich zu einer der führenden Medizinrechtlerinnen in Deutschland und ist seit über 20 Jahren als Rechts- und Fachanwältin diesem Bereich tätig. Hierbei berät und vertritt sie Ärzt*innen, Krankenhäuser und sonstige medizinische Leistungserbringer bundesweit in allen Fragen des Medizin- und Gesundheitsrechts. Alexandra Jorzig ist Autorin mehrerer wissenschaftlicher Publikationen und wurde 2019 und 2020 von der WirtschaftsWoche als “TOP Anwältin Medizinrecht” ausgezeichnet.

Schon vor einigen Jahren hat sie die disruptive Kraft der Digitalisierung gesehen und erkannt, mit welcher Geschwindigkeit sie auf die Gesellschaft zu rauscht. Deutschland stand zu diesem Zeitpunkt noch nicht gut da, findet Prof. Jorzig. “Recht ist immer etwas sehr langsames”, sagt sie. Doch seit 2019 hätten die Entscheider*innen wichtige Schritte in die richtige Richtung gemacht, unter anderem auch durch die gesetzgeberischen Aktivitäten des Bundesgesundheitsministers Spahn. Die neuen, inzwischen in Kraft getretenen gesetzlichen Grundlagen hätten jetzt ganz neue Gestaltungsspielräume geschaffen, die nun durch Auslegung und zukünftige Rechtsprechung zu einem soliden juristischen Gerüst werden können. Deutschland hätte mit großen Entwicklungssprüngen gut aufgeholt und wäre, zumindest aus juristischer Sicht, durchaus in der Lage, die Weltspitze einzunehmen, denn “wir sind auf einem sehr, sehr guten Weg.”


Corona und das Ende der “German Angst” 

Natürlich hat mich im Gespräch auch interessiert, wie sie als Juristin die Corona-Krise erlebt hat. Überraschenderweise erinnerte mich ihre Antwort sehr an das, was wir mit den Techniklotsen erlebt haben: Corona hat gedankliche Barrieren abgebaut und an vielen Stellen zu einer Bewusstseinsänderung geführt, sagt sie. Prof. Jorzig berichtet auch davon, dass sie ebenfalls gespürt hat, dass die typisch deutsche “German Angst” plötzlich verschwunden war, weil es keine anderen Optionen gab und ehemalige Bedenken über Bord geworfen wurden. Die verschiedenen Stakeholder hätten sich plötzlich dafür geöffnet, auch neue Wege zu gehen. Dennoch oder gerade auch deshalb gäbe es erhöhten Beratungsbedarf. “Es gibt tolle Ideen, die aber einfach nicht mit dem Medizinrecht zu vereinbaren sind.” Prof. Jorzig sieht sich hier als Beraterin, die besonders Startups dabei hilft, ihre Innovationen innerhalb der geltenden Rechtsnormen zu entwickeln. 

Die Vorbehalte und Bedenken von Mediziner*innen kann Prof. Jorzig allerdings nachvollziehen: Das Damoklesschwert aus Haftung bei Behandlungsfehlern, Fragen zum Datenschutz und der ärztlichen Schweigepflicht seien ein ständiger Begleiter. Ebenso sei beispielsweise das Fernbehandlungsverbot tief im Bewusstsein der Ärzt*innen verankert. Denkmuster, die über viele Jahre Bestand hatten, müssten jetzt erst innerhalb der neuen Möglichkeiten verändert werden. 


Brauchen wir ein Roboterrecht für den Einsatz von KI in der Medizin?  

Das Stichwort “Haftung" ist selbstverständlich eines der wichtigsten Themen bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Aktuell, so erklärt Prof. Jorzig, würden die gesetzlichen Grundlagen noch für die technischen Details ausreichen. Sie prognostiziert aber, dass das bald nicht mehr der Fall sein wird, da der Bereich “sehr dynamisch” sei. Besonders bei starker KI, die durch intelligente Algorithmen und Machine Learning autonom arbeitet, bräuchte es neue Rahmenbedingungen. Denn wer ist verantwortlich, wenn ein Algorithmus, der sich selbst trainiert hat, einen schwerwiegenden Behandlungsfehler begeht? Der oder die Programmierer*in, der Hersteller oder das behandelnde medizinische Personal? Vermutlich, so Prof. Jorzig, würde man sich in der Übergangszeit noch mit Analogien, zum Beispiel aus dem Verkehrsrecht, behelfen. Auf lange Frist werden wir “wahrscheinlich nicht umhin kommen, ein Roboterrecht zu entwickeln und es wäre wünschenswert, wenn das auf Europäischer Ebene stattfindet.”

Die aktuelle Folge meines Podcasts  “Patient Deutschland” und das ganze Gespräch mit Prof. Alexandra Jorzig finden Sie hier.

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