Warum das Ende des USP ein Segen ist
Wie die Hohepriesterin der Verkaufspsychologie wurde die unique selling proposition in den vergangenen Jahrzehnten verehrt und von manchen nahezu wie eine Monstranz vor sich her durch die Unternehmen getragen. Aber die Religion des USP als Garant des Unternehmenserfolges erlebt gerade ihre ganz eigene Reformation. Und das ist auch gut so. Denn im Windschatten der Digitalisierung folgt ein vollkommen neues Selbstverständnis des Kunden, der mehr sein will - und das auch kann - als nur willfähriger Käufer.
Damit wir uns bloß nicht missverstehen, das Alleinstellungsmerkmal als Grundlage einer erfolgreichen Werbekampagne halte ich auch weiterhin für einen vollkommen richtigen Ansatz in der Kommunikation. In der Kommunikation werden Produkte und Dienstleistungen verteidigungsfähig durch ihren USP. Aber was ursprünglich einmal als Mittel der Verkaufspsychologie gedacht war, hat über die Jahrzehnte allzu häufig psychologisch nachteilige Nebenwirkungen innerhalb der Unternehmen verursacht. Man kann es auch Selbstverliebtheit nennen.
"Guten Tag, ich bin Ihr idealer Kunde. Bitte sagen Sie mir, warum ich mich für Ihre Lösung entscheiden soll?" So oder so ähnlich klingt eine typische Frage, mittels derer Unternehmen den USP ihrer Produkte definieren. Und schon in der Perspektive dieser Fragestellung offenbart sich der grundlegende Fehler. Die unternehmerische Geisteshaltung jemandem bloß sein Produkt verkaufen zu wollen, ist zum unternehmerischen Selbstzweck mutiert. Bis tief in die hintersten Ecken der Organisation.
Individualisierung - nichts wird bleiben wie es ist
Trunken von der vermeintlichen Einzigartigkeit der eigenen Leistung steht der Unternehmenserfolg über dem Kunden. Bestätigt durch einen eindeutigen und spitzen USP. Bloß halt leider definiert von einem selbst. Das richtige Argument für das Produkt verfestigt sich als vermeintliche Kernaufgabe innerhalb der Organisation. Und gerade in gesättigten oder rückläufigen Märkten mischen sich unter Druck nicht zu selten Halb- oder gar Unwahrheiten unter die Argumente. Der Unternehmenserfolg, Sie wissen schon. Oder einfach die Bestätigung der eigenen Realität.
Wir befinden uns aber seit geraumer Zeit inmitten einer digitalen Revolution. Zumindest der Kunde hat die Disruption seiner eigenen Erwartungshaltung schon lange realisiert. Je mehr Internet für ihn in den Dingen steckt, desto stärker verändert sich die echte, weil von ihm wahrgenommene und honorierte Differenzierung eines Produktes oder einer Leistung. Es ist nicht primär Technologie, die ein Geschäftsmodell verändert (oder ermöglicht!), es sind die Kunden. Hier ein lesenswertes Interview der Harvard Business School dazu. Es ist die digitale Customer Experience ihrer Produkte und Services, die für nahezu alle Branchen der differenzierende Wettbewerbsfaktor für die Zukunft wird. Weswegen es an der Zeit ist, den USP über Bord zu werfen.
Agilität als Mindset statt als Buzzword
Alles Wissen in unserer Gesellschaft hat die Digitalisierung längst demokratisiert. Meinungsbildung, Feedback und die Produktion von Ideen sind nicht länger Privileg von Personen, deren Profession und alleinige Hoheit das in der Vergangenheit war, wie zum Beispiel Marketeers, Journalisten oder Spezialisten der Forschungs- und Entwicklungsabteilungen. Alle können daran teilhaben. Partizipation und Kollaboration sind die Schlüsselworte unserer Zeit und vernetzten Gesellschaft.
Die unternehmerische Antwort darauf kann nur Agilität sein. Diese Agilität beginnt mit der Akzeptanz der eigenen Fehlbarkeit und dem jederzeit möglichen Vorsprung eines anderen. Mehr noch, es ist sogar ein Mindset des Selbstverständnisses, also viel mehr als nur eine passiv erduldete Akzeptanz.
Agilität beginnt damit, dass wir aufhören uns für unfehlbar und unverwundbar zu halten.
USP hin oder her. Für Unternehmen bedeutet Agilität die Fähigkeit, gewinnbringend in einer Wettbewerbsumgebung zu operieren, die charakterisiert ist durch sich ständig und unvorhersehbar verändernde Kundenwünsche.
Es ist nicht weniger als ein Paradigmenwechsel erforderlich, in den Unternehmen und in den Köpfen jedes einzelnen Mitarbeitenden. Weder Vergangenheit noch Gegenwart sind deshalb schlecht, nur weil man aufgefordert ist sein eigenes Tun zu hinterfragen um die Zukunft zu gestalten. In vielen Fällen geht es sogar um nicht weniger als den Fortbestand des eigenen Unternehmens. Was kann daran schlecht sein, außer der persönlichen Laune ob der Notwendigkeit von Umparken im Kopf? Neues muss nicht ausschließlich erst einmal auf das bestimmt damit einhergehende Risiko abgeklopft werden. Unternehmen müssen es schaffen, ihre eigene Kultur in diesem Sinne weiterzuentwickeln. Und im Zentrum dieser neuen Kultur steht der Mensch - als Individuum und als Kunde.
If you don't move, you will not improve
Außerhalb der Kommunikation hat der USP viele Unternehmen blind gemacht und den eigenen Gedankenraum verengt. Sie wissen genau worin genau sie warum genau einzigartig sind. Oder es Stand heute vielleicht sogar nur noch früher einmal waren. Der Blick nach innen auf die eigene Stärke hat den Blick verstellt für sich verändernde Bedürfnisse seiner Kunden und für die Veränderungen des Marktes, die sich gerade durch die Digitalisierung entwickelt haben. Anstelle eines zu häufig nach innen gerichteten Blickes auf das Erreichte müssen sich in Zukunft die Blicke nach außen auf den zu Erreichenden richten. Die neue Auseinandersetzung mit der zukünftigen Differenzierung seiner eigenen Leistung beginnt bei niemand anderem als dem Kunden. Die Kundenkonzentrierung wird zum zentralen Leitbild für die Strategie, Kultur, Produktentwicklung, Organisation und Prozesse im Unternehmen.
Die Erneuerung kommt für nahezu jedes Geschäftsmodell - und damit für nahezu jede Organisation. Die Frage nach "früher oder später" stellt sich nicht mehr, Organisationen sollten besser mit "jetzt oder gleich" rechnen. Die Alleinstellungsmerkmale aus der Vergangenheit haben gezeigt, dass eine Organisation zu Einzigartigkeit in der Lage ist. Das ist ein ermutigender Aufsatzpunkt für die Auseinandersetzung mit einer neuen Differenzierung. Und Grund genug jetzt gleich damit zu beginnen.