Der kulturelle Wandel als einsamer Scheinriese
© Peider Bach

Der kulturelle Wandel als einsamer Scheinriese

Sowohl digitale Transformation als auch Einführung agiler Arbeits- und Führungsmethoden gehen ganz zwangsläufig einher mit einem Wandel der Organisationskultur. Ohne die Bereitschaft, die bisherigen kollektiven Werte, Glaubenssätze und Verhaltensmuster grundlegend zu verändern, sind beide strategischen Mammutaufgaben nicht zu bewerkstelligen. Die Erkenntnis eines notwendig gewordenen Updates der Gewohnheiten ihrer Organisation, ist in den meisten Chefetagen deutscher Unternehmen eingezogen.

Kaum ein Thema wird seit Monaten so intensiv auf Konferenzen, in Podcasts, Führungskreisen und Fachmedien besprochen, beschrieben und diskutiert wie das, was sich über Jahrzehnte als Schatten einer Organisation entwickelt hat: Die Entwicklung der Organisationskultur. Entstanden aus den Zutaten Geschäftsmodell, Organisationsstruktur und Prozessen, nicht selten beeinflusst und geprägt von einzelnen Personen oder Personengruppen. Die Organisationskultur beschreibt die Art und Weise, wie ein Unternehmen bisher 'funktioniert'.

Strategie, Struktur und Prozesse stehen somit in unmittelbarer Wechselwirkung zu Werten und Gewohnheiten. Nur: Wer letztere wirklich sinnvoll verändern will, muss zunächst an ersteren arbeiten!

Die Arbeit an der Unternehmenskultur ohne strategischen Unterbau führt zu einem Scheinriesen innerhalb der Organisation.

Und genau deshalb muss die gewonnene Erkenntnis in manchen der Chefetagen leider häufig relativiert werden. Denn die Gefahr ist offenbar oft zu groß, sich im kurzfristigen Schein der Modernisierung einen schlanken Fuß zu machen und den Kulturwandel Selbstzweck werden zu lassen.

Die Erfüllung der Kür fällt stets leichter als die Pflicht 

Viele Unternehmen in Deutschland leben von ihrer Substanz. Es wird viel gesprochen über Digitalisierungsstrategien, aber bedauerlich wenig gehandelt. Auch die Blaupause einer Unternehmenskultur aus dem Silicon Valley in der eigenen Organisation einzuführen ist keine Antwort. Eine gute Unternehmensführung zeichnet sich dadurch aus, dass es einen strategischen Plan gibt, der einer Vision folgt und entschlossen umgesetzt wird. Der Kulturwandel ist dann bewusst geplanter Teil der Umsetzung.

Nur durch diese Entschlossenheit wird die (neue) Strategie des Unternehmens nicht zum Frühstück ihrer (alten) Kultur!

Es gibt zweifellos viele positive Beispiele dafür, wie sowohl Strategie als auch Kultur von Organisationen höchst erfolgreich und aufeinander aufbauend weiterentwickelt wurden. Die Konsequenz, mit der sich zum Beispiel der ehemalige Versandhandelskonzern Otto aus Hamburg seit einigen Jahren fundamental wandelt, kann nur als beeindruckend bezeichnet werden. Das Unternehmen adressiert dazu in diesem Wandel auch ganz klar seine strategischen Ziele. Die Otto Group will zum weltweit bedeutenden Onlinehändler und Dienstleister werden.

Die Strategie der BSH Group als zweites Beispiel basiert nicht nur auf der Intensivierung all ihrer Handlungen auf die Bedürfnisse der Konsumenten, sondern beinhaltet sehr konkret ausformuliert, dabei ganz speziell den digitalen Wandel in der Hausgeräte-Branche aktiv zu gestalten. Sie befinden sich auf dem Weg vom Produzenten von weißer Ware zur Anbieter von Lösungen. Mit allen kulturellen Implikationen auf die Organisation und ihrer Arbeitsweise.

Auch wenn es vielfach zurecht Kritik an der langsamen Transformationsgeschwindigkeit in Deutschland gibt, es gibt die positiven Beispiele. Das sind die, wo nicht nur über eine Transformation gesprochen wird, sondern in denen dem CEO auch klar ist, warum genau das Unternehmen eigentlich wohin genau transformiert werden muss.

Wo Licht ist, ist also auch Schatten. Und da sich die Modernisierung der Organisationskultur einfacher mittels bunter Bildchen vermarkten, als sich eine wirkliche Strategie mühsam erarbeiten lässt, gerät genau dieser notwendige erste Schritt häufig zu kurz. Oder fällt als halbherzige Absichtserklärung gleich ganz aus. Eine Veränderung der Organisationskultur ohne Strategie führt aber betriebswirtschaftlich zu gar nichts. Die Leistungen der Unternehmen werden weder kundenorientierter, noch schneller, noch differenzierter gegenüber dem Wettbewerb.

Kein Geschäftsmodell wird allein aufgrund einer modernisierten Kultur digitaler und dadurch oder auf anderem Wege zukunftsfähiger.

Die Einführung von "Communities of Practice“, in denen sich Mitglieder bereichsübergreifend über bestimmte Fragestellungen, die alle betreffen, austauschen und voneinander zu lernen ist eine geeignete Brücke zur Überwindung von Silo-Denken. Sie sind ein Weg zur Förderung von Kollaboration, wechselseitigem Verständnis und gemeinsamer Kreativität. „Fuck-up Nights“ verhelfen der Organisation unverkrampft mit Scheitern umzugehen und dadurch Mut und ihre Innovationsfähigkeit zu steigern. Zahlreiche Ansätze aus der „New Work“ Philosophie stellen den Menschen als Individuum in den Mittelpunkt der Organisation und unterstützen zeitliche, räumliche und organisatorische Flexibilität in der Arbeitswelt.

Eine Kultur soll erhellen, nicht blenden

Aber all diese Maßnahmen, vielleicht gepaart mit der Einführung einer start-up-igen Du-Kultur, dem Eintauschen von Krawatten gegen Sneaker und der Renovierung der Kantine bleiben erst einmal was sie sind: Maßnahmen. Eine Veränderung der Kultur ohne Strategie führt eine Organisation aber exakt nach nirgendwo. Zugegeben, alle haben vermeintlich mehr Spaß, gute Laune und mehr Freiheiten, aber deswegen trotzdem weder Richtung noch Kompass für die Bewältigung ihrer eigentlichen zukünftigen Herausforderungen. Das Leben von der Substanz setzt sich fort.

Ich muss in dem Zusammenhang immer an das mittlerweile berühmte Zitat von Thorsten Dirks denken, dem ehemaligen CEO von Telefonica Deutschland, der einmal sagte: „Wenn Sie einen Scheißprozess digitalisieren, dann haben Sie einen scheiß digitalen Prozess.“ Ähnliches gilt für die Strategie und die Kultur. Das geht genau gut bis zur nächsten wirtschaftlichen Eintrübung. Die steht laut OECD womöglich bevor. Und dann ist auch schnell Ende mit allen falschen Versprechen des Scheinriesen. Unter Druck und ohne seinen Partner Strategie schrumpft er sehr schnell auf seine wahre Größe.

Wenn wir also zukünftig über kulturellen Wandel sprechen, wollen wir dann vielleicht häufiger zu Beginn der Diskussion die Frage stellen, welcher Strategie die veränderte Kultur denn folgen soll?

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