Warum deine Laufschuhe carbonfrei sein sollten
Carbonplatten werden von der Laufschuhindustrie als Must-Have-Feature vermarktet. Aus anatomischen und biomechanischen Gesichtspunkten sind sie allerdings mehr als fragwürdig.
"Der menschliche Fuß ist ein Kunstwerk aus 26 Knochen, 107 Bändern und 19 Muskeln", wusste Leonardo da Vinci schon im Jahr 1500. Und tatsächlich hat Mutter Natur mit dem menschlichen Fuß ein anatomisches Wunder geschaffen, das sich innerhalb von Millisekunden von einem biegsamen, anpassungsfähigen Stoßdämpfer zu einem steifen, antreibenden Hebel verwandeln kann.
Biomechanisch funktioniert das so: Der Fuß ist als eine Art verwrungene, federartige Platte konstruiert, an der vorne die Zehen befestigt sind, um die Platte am Boden zu verankern. Wenn der Fuß den Boden berührt, dreht sich die Platte auf und verlängert sich, um den Aufprall zu absorbieren, wodurch die Plantarfaszie die Zehen in den Boden zieht (umgekehrter Ankerwindenmechanismus), den Fuß verankert und eine stabile Basis bietet. Wenn das Gewicht des Läufers über den Fuß zu wandern beginnt, hebt sich die Ferse vom Boden ab, wobei die Zehengelenke als Drehpunkte verwendet werden (der Ankerwindenmechanismus). Jetzt sind die Zehen dran, an der Plantarfaszie zu ziehen, wodurch das Fußgewölbe angehoben und der Fuß verwrungen und verkürzt wird, um eine straffere, festere Feder zu werden, die sich auf die wichtige Abstoßphase beim Laufen vorbereitet.
“Nature perfected” statt “Nature corrected”
Um den perfekten Laufschuh zu kreieren, müsste die Sportschuhindustrie also im Prinzip die Natur imitieren und maximal perfektionieren. Tatsächlich allerdings bremst sie mit vermeintlichen Innovationen wie Carbonplatten die Natur eher aus. Denn in Laufschuhen mit Carbonplatten und Zehensprengung wird der Großzeh während der gesamten Bodenkontaktphase wie in einer Art Gips in einem fixen Winkel gehalten. Gelenke und Muskulatur sind ruhig gestellt, während sie im natürlichen Zustand aktiv arbeiten würden.
Doch was passiert, wenn Muskeln immobilisiert werden, kennt jeder, der sich schon einmal einen Arm oder ein Bein gebrochen hat: Die eingegipsten Muskeln bauen sich innerhalb kürzester Zeit ab und die Kraft im betroffenen Arm oder Bein schwindet. Ein ähnliches Phänomen tritt in Laufschuhen mit Carbonplatten auf.
Stellen wir uns dazu einen Marathonläufer vor. Vom Start bis zum Ziel legt er durchschnittlich 40.000 Schritte zurück. Die Muskeln der Zehen kontrahieren und entspannen in dieser Zeit also 40.000 Mal, die Zehengelenke arbeiten während der Antriebsphase innerhalb ihres natürlichen Bereichs. Steife Carbonplatten haben in der Regel eine übertriebene Zehensprengung, die den Bewegungsumfang der Zehengelenke und die Muskelaktivität der Zehenmuskeln erheblich einschränkt. Insbesondere die vier Muskeln, die direkt an der Großzehe ansetzen, sind betroffen.
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Schwache Zehen steigern das Verletzungsrisiko
Die Folge dieses "Zehensprengungeffekts": Die Muskeln werden schwach und dekonditioniert. Der Vorfuß wird instabil. Und die natürliche Fähigkeit des Fußes, sich in einen festen, antreibenden Hebel für den Abstoß zu verwandeln, wird verringert. So wird das Risiko von Vorfuß-, aber auch Fersenschmerzen (Plantarfasziitis) erheblich gesteigert.
Halten wir es doch lieber wie Leonardo da Vinci und betrachten den menschlichen Körper als eine feingetunte Maschine, die keine Unterstützung braucht. Wenn wir in diese Maschine eingreifen, bringen wir den ganzen Mechanismus durcheinander und verbauen uns buchstäblich das, was jeder Läufer sich eigentlich wünscht: Schmerzfrei laufen. Ein Leben lang.
Folgende kurze Animation zeigt den Effekt von Carbonplatten im Laufschuh auf die Biomechnik des Fußes: