Warum es vollkommen okay ist, kein »Why?« zu haben

Warum es vollkommen okay ist, kein »Why?« zu haben

Wer sich mit Persönlichkeitsentwicklung beschäftigt, wird früher oder später dazu animiert, eine berufliche Tätigkeit zu finden, die einem mit voller Leidenschaft erfüllt. Finde deine Leidenschaft im Leben, mache sie zu deinem Beruf und richte dein Leben danach aus. Ordne alles dem unter. Und Du wirst glücklich und erfolgreich sein. So wird es vielerorts gepredigt.

Und diese These findet Bestätigung in den Lebensläufen vieler berühmter Personen, die wir kennen. Hätte es Christiano Ronaldo ohne Leidenschaft an die Spitze des Weltfußballs gebracht? Wäre er ähnlich erfolgreich gewesen, wenn er neben dem Sport auch noch angestrebt hätte, ein ausgewiesener Kenner der Hegel's "Phänomenologie des Geistes" zu werden? Wohl eher nicht. Doch so inspirierend und beeindruckend wir solche Lebensläufe und Lebensleistungen finden; sie setzen uns auch ein Stück weit unter der Druck. Nicht unbedingt im Hinblick darauf, etwas vergleichbares erreichen zu müssen. Aber durchaus im Hinblick darauf, eine berufliche Leidenschaft zu finden, in der wir vollkommen aufgehen. Die kein reiner Broterwerb ist, sondern auch einen spirituellen Mehrwert stiftet. Der wir gerne alles andere unterordnen.

Bei Lichte hat dies mit dem beruflichen Alltag der meisten Menschen allerdings wenig zu tun - selbst in den Reihen der sogenannten Bessergebildeten. Man mag zwar zufrieden mit seinem Job sein aber ob dieser auch der großen Leidenschaft im Leben entspricht? Bei den meisten Menschen ist das wohl eher nicht der Fall. Anlass für viele, das zu hinterfragen und/oder ändern zu wollen. Und so ist es nicht überraschend, dass sich entsprechende Ratgeber-Literatur wie geschnitten Brot verkauft. Manche fahren sogar bis ins Cafe am anderen Ende der Welt, um dort ihren Zweck der Existenz zu bestimmen (den man, ganz am Rande, aber auch in der Kneipe ums Eck finden kann). Das hat auch etwas mit Sinn-Suche zu tun, die eigentümlich für uns Menschen ist. Denn die Menschen sind nicht weniger religiös als früher, sie gehen heute nur nicht mehr in die Kirche sondern zu Großevents sogenannter Motivation- oder Verkaufcoaches (und zu einigen anderen Ersatzreligionen natürlich auch). Die Suche nach Sinn im Beruf ist ein Aspekt, der zu selten kritisch reflektiert wird.

Der Weg ins Unglücklich-Sein

 Zunächst einmal ist nichts schlechtes daran, sich intensiv damit zu beschäftigen, ob man eine zentrale Leidenschaft im Leben hat und wie man diese beruflich realisieren kann. Es gibt viele, denen dies gelungen ist und man kann sie dazu nur beglückwünschen. Nur was ist wenn ….

  •  … wir schlicht keine (berufliche) Leidenschaft finden, der wir ALLES in unserem Leben unterordnen können oder wollen?
  • … wir mehrere Interessengebiete oder Lebensbereiche haben, die uns gleichermaßen wichtig sind?
  • … wir uns eher auf unser Privatleben, auf viel Zeit mit Familie und Freunden und unsere Hobbys fokussieren wollen und im Job deswegen eher pragmatisch unterwegs sein möchten?

 Dann hilft uns die ewige Suche nach Leidenschaft im Beruf wenig weiter. Sie führt dann nur dazu, dass wir jede unserer beruflichen Tätigkeiten auf Basis unrealistischer Maßstäbe messen. Wir ständig zweifeln, ob unsere aktuelle Tätigkeit auch unserer tatsächlichen Berufung entspricht. Obwohl wir eigentlich zufrieden mit unserem Job sind. Das ist der Weg ins Unglücklich-Sein. Für diese Ausgangssituationen haben viele Ansätze der Persönlichkeitsentwicklung wenig zu bieten. Und deswegen war ich sehr begeistert, als ich erstmals "Die Traumjoblüge" (Englischer Titel: "So Good They Can't Ignore You: Why Skills Trump Passion In The Quest For Work You Love") von Cal Newport las.

Pragmatismus schlägt ewige Suche nach Leidenschaft

Für Cal Newport, dem US-Amerikanischen Professor für Informatik und Buchautoren, stellt sich dieser Sachverhalt nämlich ganz anders da. Er bekennt offen, selber keine allzu große Leidenschaft für seinen Beruf zu hegen. Klar, er geht diesem gerne nach und ist offenkundig auch recht erfolgreich damit. Aber unterm Strich pflegt er einen eher pragmatischen Ansatz, den er in "Die Traumjoblüge" als Gegenmodell zum Streben nach Leidenschaft im Beruf beschreibt. Für ihn ist es vollkommen unproblematisch, einem Job nachzugehen, für den man keine übertriebene Leidenschaft hat. Und auch kein Hindernis für Erfolg im Beruf. Wie sieht sein Gegenmodell aus?

Das Ziel seines Ansatzes ist, einen hochwertigen Job zu erlangen, welcher die Kriterien

  • Kreativität (hoher Anteil an kreativen, schöpferischen oder strategischen Aufgaben)
  • Einfluss (wichtige Entscheidungen oder Veränderungen mit-initiieren zu können)
  • Selbstbestimmung (hohe Freiheitsgrade im Hinblick auf die Arbeitsinhalte und -bedingungen)

erfüllt. Da solche Jobs nicht auf Bäumen wachsen muss zunächst jedoch eine kritische Masse an Karrierekapital angehäuft werden, um sich für eine solche Tätigkeiten zu qualifizieren. Unter Karrierekapital wird ein Set bestimmter Fähigkeiten verstanden, die vom Markt honoriert werden, bspw. weil sie stark nachgefragt und/oder selten sind. Newport empfiehlt, sich auf die Ausbildung von Fähigkeiten zu konzentrieren die

a.) den eigenen Talenten und Interessen entsprechen (ohne dass sie zwingend die EINE große Leidenschaft im Leben darstellen müssen) und

b.) vom Markt honoriert werden.

Im Gegensatz zur Leidenschaftstheorie wird also nicht in den Vordergrund gestellt, welche innerste Leidenschaft wir beruflich befriedigen wollen, sondern was wir dem Markt auf Basis unserer Talente und Fähigkeiten anbieten können.

Der Weg zu mehr Karrierekapital

Doch wie lassen sich jene Fähigkeiten herausbilden, die uns zu einem späteren Zeitpunkt zu den von Newport beschriebenen Traumjobs befähigen? Dazu gehören u.a.:

  • Jahrelanges, fokussiertes Arbeit an diesen Fertigkeiten
  • Stets die höchste Arbeitsqualität anstreben
  • Stetige Verschiebung der persönliche Grenzen
  • Intensive Beschäftigung mit der einschlägigen Fachliteratur
  • Professionelles Feedback von Experten in diesem Bereich einholen

 Newport zieht dabei starke Parallelen zu Techniken, wie sie im Leistungssport praktiziert werden. Wer diese über einen gewissen Zeitraum kontinuierlich anwendet, wird früher oder später genügend Karrierekapital angehäuft haben, um sich für einen hochwertigen Job zu qualifizieren. Und: Hat in dieser Zeit an Themen gearbeitet, die den eigenen Interessen und Talenten entsprechen und war dennoch nicht unglücklich, weil die berufliche Tätigkeit möglicherweise nicht etwaigen übertriebenen Leidenschafts-Anforderungen gerecht geworden sind. Für Newport stellt sich so etwas wie Leidenschaft auch häufig von alleine an, wenn wir mit einer bestimmten Tätigkeit erfolgreich sind und dafür anerkannt werden. Leidenschaft muss also nicht zwingend themenorientiert sein, sondern kann sich auch aufgrund positiver Rückmeldungen oder besonderer Erfolge/Leistungen einstellen.

Und ganz wichtig: Wenn man es einmal geschafft hat, einen jener rar gesäeten Traumjobs zu ergatten, sollte man diesen behalten. Wer gut in dem ist, was man tut, erhält jedoch Jobangebote oder Beförderungsmöglichkeiten. Und diese sollte man dann ausschlagen, auch wenn sie mehr Geld oder sonstige Benefits versprechen. Jedenfalls dann, wenn die neue Tätigkeit nicht mindestens dasselbe Niveau an Kreativität, Einfluss und Selbstbestimmung mit sich bringt.

Was habe ich für mich mitgenommen?

Natürlich habe auch ich mich mit dem Thema Leidenschaft im Beruf beschäftigt. Bis ich "Die Traumjoblüge" gelesen hatte kannte ich nur jene Ansätze der Leidenschafts-Theorie und habe mich damit immer etwas unwohl gefühlt. Denn: Ich habe viele unterschiedliche Interessen in meinem Leben und deswegen wäre es sehr schwierig geworden, mich auf EINE Leidenschaft zu konzentrieren und diese zudem beruflich realisieren zu müssen. Ich interessiere mich sehr für die Themenfelder Projekt- und Change Management / (Studentische) Unternehmensberatung / New Work, würde aber nicht behaupten, dass das mein zentraler Lebensinhalt wäre. Ich habe immer noch eine große Freunde an der Beschäftigung mit politikwissenschaftlichen und historiographischen Studien, habe aktuell aber nicht vor, eine Laufbahn als Vollzeit-Wissenschaftler zu absolvieren. Und nur weil ich ein Politik-Junkie bin, muss ich nicht selber zeitnah ein politisches Amt anstreben. Und dieser Lebensentwurf ist vollkommen okay. Es gibt nichts, was ich diesbezüglich ändern müsste, auch wenn das manche Ansätze der Persönlichkeitsentwicklung nahelegen. Und deswegen ist "Die Traumjoblüge" ein befreiendes Buch - weil es uns nicht in standardisierte Lebensentwürfe zwängt, sondern einen realistischen Weg aufzeigt, wie wir auch ohne übertriebene Leidenschaft im Beruf erfolgreich und zufrieden sein können.

Artikel-Kampagne: 10 Bücher, die mich beeinflusst haben

  1. Einführung: Techniken des nachhaltigen Lesens
  2. Buch-Empfehlung #1 - Es gibt keine Sachzwänge. Keine Situation ist alternativlos (Reinhard Sprenger - Die Entscheidung liegt bei dir)
  3. Buch-Empfehlung #2 - Warum es vollkommen okay ist, kein »Why?« zu haben (Cal Newport - Die Traumjoblüge) 
  4. Buch-Empfehlung #3 - Ziele setzen und erreichen (Brian Tracy - Ziele)
  5. Buch-Empfehlung #4 - Mach was Du kannst. Nicht was Dich interessiert (Aljoscha Neubauer - Mach was Du kannst)
  6. Buch-Empfehlung #5 - Wege zum ablenkungsfreien Arbeiten (Cal Newport - Konzentriert Arbeiten)

Ja, die GABEN des Menschen hat man paradoxerweise überhaupt nicht im Blick, was eben auch darauf sich begründet, daß Diejenigen welche die Geschicke 'Anderer' leiten, überhaupt nicht darüber verfügen. Und so findet sich darin auch das 'dem Entsprechende', wohingegen der Menschen Umsetzung ihrer Gaben, einen ganz anderen Weg einschlagen und darin einzig in Erscheinung treten, insofern es DEM Erfüllung verspricht. So ist es darin jedoch vor allem auch wesentlich, daß die Sinne gar keine Begründungen und Erklärungen liefern, sodaß sich eben auch genau darüber 'darin NICHT' die Wege bestimmen, sondern was die Sinne an Erstreben vermitteln, um sich zu entwickeln und zu entfalten. Und dabei gelangen die Wege auch eben einmal auf Irrwege, doch begründen gerade diese den Blick für 'das Erkennen', ohne daß die Wege nicht ihre Zielrichtung erlangen. Das einzige Händikap, welches sich hierin ergibt, ist wahrlich einzig, daß es 'den Anderen' nicht vermittelbar ist, da sich nicht zu den Bildnissen gelangen können, welche sich hierin ergeben.

Der englische Titel des Buches beschreibt den Inhalt noch besser „So Good, they can‘t ignore you“.

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