Wege zum ablenkungsfreien Arbeiten
Unsere Arbeitswelt hat sich in den vergangen Jahren drastisch verändert. Neue technische Innovationen haben ermöglicht, dass wir heute nicht mehr zwingend im Büro anwesend sein müssen, um unsere Arbeit zu erledigen. Doch gleichsam wird konzentriertes Arbeiten in der neuen, digitalen Welt immer schwieriger, das konstatiert der US-Amerikanische Informatiker Cal Newport in seinem modernen Klassiker "Deep Work" aus dem Jahre 2016. Denn Ablenkungen, die uns vom konzentrierten Arbeiten abhalten, lungern an jeder Ecke:
- Alerts von Messaging- und Nachrichten-Apps veranlassen uns zum ständigen Blick aufs Smartphone
- Wir überprüfen regelmäßig den aktuellen Status unserer Social Media Profile
- Ständig gehen Anrufe und E-Mails von Arbeitskollegen und Kunden ein, zu denen wir uns verhalten müssen
- Arbeitskollegen konfrontierungen uns mit ihren persönlichen Anliegen (privater als auch beruflicher Natur)
Diese Ablenkungen führen laut Newport dazu, dass wir
- Immer häufiger aus dem Prozess des konzentrierten Arbeiten herausgerissen werden und
- Uns immer seltener mit der Erledigung anspruchsvoller, konzeptioneller Aufgaben befassen
Stattdessen arbeiten wird zunehmend in seichten Fahrwassern, welche von Newport auch als "Shallow Work" bezeichnet werden. Hierunter versteht Newport, dass unser Arbeitsalltag immer häufiger von kognitiv anspruchslosen Aufgaben geprägt ist. Damit sind all jene operativen Aufgaben gemeint, für deren Erledigung wir keinen besonderen Fokus brauchen (also auch unter der Prämisse regelmäßiger Ablenkungen erledigt werden können), die allerdings auch nicht von anspruchsvoller Natur sind. Dazu gehören bspw. die Beantwortung von E-Mails oder die stumpfe Abarbeitung von Listen. Und das ist ein Problem. Denn gerade anspruchsvolle, strategische, konzeptionelle Tätigkeiten, die unsere vollständige Konzentration erfordern, sind wertschöpfend. Und gerade für die Erledigung solcher Aufgaben werden Wissensarbeiter bezahlt, nicht für das alltägliche Mikromanagement. Wir sollten daher anstreben, unseren Arbeitsanteil an "Shallow Work" drastisch zu reduzieren und diese durch anspruchsvolle Tätigkeiten zu ersetzen.
Die Bedeutung von konzentrierten Arbeiten
Um dies zu realisieren hat Newport das Konzept des "Deep Work" entwickelt. Unter Deep Work wird ein Arbeitsmodus verstanden, welcher es ermöglicht, anspruchsvolle Aufgaben konzentriert, ablenkungsfrei und effizient zu erledigen. Nach Newport sollten insbesondere Wissensarbeiter anstreben, einen möglichst hohen Anteil ihrer Arbeitszeit mit Deep Work verbringen. Idealerweise basieren die Aufgaben, welche in Deep Work Phasen erledigt werden, auf strategischen Zielen, welche wir erreichen wollen. Wenn wir beispielsweise ein bestimmtes Vertriebsziel anstreben könnte wir Deep Work Phasen dazu nutzen, ungestört unsere wichtigsten Kunden anzurufen und um darauf folgend konzeptionelle Angebote zu schreiben. Oder wenn im Rahmen eines Projektes neue Arbeitsprozesse eingeführt werden sollen, können wir diese in einer Deep Work Phase konzipieren und in einer Prozess-Sprache modellieren. Natürlich lässt sich Deep Work auch auf private Aufgaben anwenden. Das Arbeiten an einer Bachelor- und Master-Thesis lässt sich hervorragend in einer Deep Work Phase bewerkstelligen und selbst dieser Artikel ist größtenteils in einer solchen entstanden. Doch wie sollten Deep Work Phasen geplant und umgesetzt werden damit diese auch tatsächlich zu einer höheren Effektivität oder Effizienz führen? Diese 10 Punkte können dabei helfen:
- Deep Work Phasen sollten nicht zu kurz und nicht zu lang sein. Ideale Ergebnisse lassen sich in Arbeitsblöcken im Umfang von 2-4 Stunden realisieren
- Deep Work Phasen sollten stets im Kalender eingeplant sein. Stellt sicher, dass kurzfristig keine anderen Aufgaben dazwischen kommen
- Relevante Stakeholder wie Arbeitskollegen sollten über eine Deep Work Phase im Bilde sein. Hierbei geht es darum, eine klare Erwartungshaltung zu kommunizieren, dass sie innerhalb diese Zeitspanne mit keiner Rückmeldung/Antwort/Input Eurerseits rechnen können
- Verbarrikadiert Euch. Bringt entsprechende "Warnschilder" an Eurer Bürotür an oder geht ins Home Office. Oder gleich an einen ganz anderen Ort. Gerade ein "exotischer" Ort kann den Arbeitsfokus noch einmal aufwerten. Hauptsache ist, dass Ihr hier ablenkungsfrei arbeiten könnt
- Definiert ein klares Ziel oder ein Deliverable, was Ihr in einer Deep Work Phasen abliefern wollt. Dieses sollten im Einklang mit Euren Ziele stehen
- Erledigt Aufgaben nacheinander. Multi-Tasking funktioniert nicht - und das unabhängig vom Geschlecht
- Besorgt im Vorfeld alles, was ihr für die Deep Work Phase benötigt. Laptop, Fachzeitschriften, was zum Schreiben, ausreichend Wasser, ggf. etwas zu essen
- Deaktiviert die E-Mail-Synchronisation und schaltet die Alerts von Businesstool wie Teams ab
- Schaltet Eurer Smartphone aus oder geht in den Flugzeugmodus
- Notfalls auch mit dem ganzen Laptop offline gehen, wenn die Versuchung, nicht zweckdienliche Internetseiten zu besuchen, zu groß ist. Falls ein Internetzugang zwingend benötigt wird gibt es aber auch Apps, mit denen sich bestimmte Internetseiten temporär sperren lassen
Wenn Ihr diese 10 Empfehlungen beherzigt sollte einer produktiven Deep Work Phase nichts im Wege stehen.
Verlasst die Sozialen Medien
Eine besondere Rolle bzgl. der Reduzierung von Ablenkungen nehmen für Newport die Sozialen Medien ein. Er ist unbestritten ein Social Media Kritiker - und so ist es nicht überraschend, dass sein neustes Buch zu einem "Digitalen Minimalismus" rät. Auch wenn ich dieses noch nicht gelesen habe, lassen sich viele seine Grundüberzeugungen bereits in "Deep Work" erkennen. Der ständige Konsum von Facebook, Instagram, LinkedIn etc. steht Newport zufolge nicht nur einer produktiveren Arbeitswelt sondern zugleich auch einem höheren Anteil an "Quality time" in der Freizeit im Wege. Daher sollte man die Sozialen Medien verlassen oder zumindest drastisch einschränken. Newport sieht die Nutzung von Social Media nämlich nur dann als sinnvoll an, wenn diese in einem hohen Maße zur Erreichung der persönlichen Ziele beitragen. Ist dies nicht der Fall ist empfiehlt er stattdessen, die eigene Freizeit lieber für andere Dinge zu investieren.
Was habe ich für mich mitgenommen?
Cal Newport ist der einzige Autor, welcher in meiner Reihe der Buch-Empfehlungen gleich zweimal präsent ist. Und er hat es sich verdient. Denn als ich "Deep Work" vor ziemlich genau zwei Jahren las, habe ich zum ersten Mal überhaupt realisiert, wie sehr auch mein eigener Arbeitsalltag durch Ablenkungen beschränkt wird. Ich habe dann angefangen, diese Schritt für Schritt zu minimieren. Das begannt mit dem Verzicht auf Multi-Tasking und endete mit dem zeitweiligen Einschalten des Smartphone-Flugzeugmodus. Dennoch gibt es hier sicher noch Luft nach oben.
Deep Work Phasen habe ich bisher mal mehr, mal weniger eingesetzt. Im privaten Bereich gelingt mir das definitiv eher als im beruflichen Kontext, was vor allem damit zusammenhängt, dass es meinem Selbstverständnis als Selbstständiger entspricht, meinen Ansprechpartnern/Kunden schnell Rückmeldung zu geben. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass abendliche Deep Work Phasen aber ein gutes Gegenmittel dazu sein können. Dann sind die Remote-IT-Systeme meines Kunden auch nicht so überlastet und so lässt sich auch auf der Ebene entspannter/konzentrierter arbeiten. Durch das erneute Überfliegen von Deep Work für diesen Artikel hab ich wieder den Ansporn entwickelt, nochmal verstärkt auf das Konzept zurückzugreifen.
Zum Thema Social Media habe ich wiederum eine ambivalente Haltung zu Neworks Ausführungen entwickelt. Ich halte seine Kritik für absolut zutreffend, jedoch die Konsquenzen, die er daraus zieht, für zu drastisch / realitätsfern. Für mich ist ein Rückzug aus den Sozialen Medien, wie von ihm propagiert, kein gangbarer Weg. Es würde nicht nur die Kommunikation innerhalb meines Freundes- und Bekanntenkreis erschweren sondern auch einige beruflichen Potenziale zerstören. Insofern halte ich mich hier für einen Mittelweg entschieden:
- Lieber eigenen Content kreieren (in Maßen) als passiv konsumieren
- Alert-Funktion von allen Social Medie Apps auf Smartphone deaktivieren
- Auf allen Social Media Seiten im Browser stets ausloggen und nur anlassbezogen wieder einloggen (wie bspw. für diesen Post)
Konnte ich damit alle Social Media Ineffizienzen beseitigt? Nein. Wurde "Deep Work" von mir mustergültig implementiert? Auch Nein. Aber aus meiner Sicht lassen sich die beste Konzepte selten 1:1 in die Realität umsetzen. Letztlich geht es darum, die Aspekte, die man für interessant und umsetzbar hält, zu adaptieren. Und wenn man das schafft hat man auch schon eine Weiterentwicklung erzielt.
Artikel-Kampagne: 10 Bücher, die mich beeinflusst haben
- Einführung: Techniken des nachhaltigen Lesens
- Buch-Empfehlung #1 - Es gibt keine Sachzwänge. Keine Situation ist alternativlos (Reinhard Sprenger - Die Entscheidung liegt bei dir)
- Buch-Empfehlung #2 - Warum es vollkommen okay ist, kein »Why?« zu haben (Cal Newport - Die Traumjoblüge)
- Buch-Empfehlung #3 - Ziele setzen und erreichen (Brian Tracy - Ziele)
- Buch-Empfehlung #4 - Mach was Du kannst. Nicht was Dich interessiert (Aljoscha Neubauer - Mach was Du kannst)
- Buch-Empfehlung #5 - Wege zum ablenkungsfreien Arbeiten (Cal Newport - Konzentriert Arbeiten)