Warum unser Wissen ohne eine Kontextkompetenz nur halb so nützlich ist
Die Erschließung von Wissen erfordert einen Kontext. (Bild: casezy / Bigstock)

Warum unser Wissen ohne eine Kontextkompetenz nur halb so nützlich ist

Unsere Wissensgesellschaft hat in den letzten Jahren im Rahmen der Digitalisierung so viele Informationen zugänglich gemacht wie nie zuvor. Aber gerade dieses Wissen in seiner Komplexität und dieser Kampf um Aufmerksamkeit führen dazu, dass wir uns in der Masse an Informationen zu verlieren drohen. Ich habe kürzlich ein interessantes und extrem inspirierendes Buch zum Thema gelesen, das mir ein paar neue Sichtweisen eröffnet hat: In „Zusammenhänge“ erklärt der österreichische Autor und Vordenker Wolf Lotter, wie wir wieder „den Durchblick bekommen“ und Zusammenhänge in einen Sinnzusammenhang mit Mehrwert bringen können.

Lotter, der vor einigen Jahren das Wirtschaftsmagazin „Brand Eins“ mitbegründet hat, spricht dabei von der „Kontextkompetenz“ und meint damit, dass wir unser altes Silodenken ablegen müssen und Wissen und Inhalte nicht nur aus sich selbst heraus verstehen können. Will man zu einem wirklichen Erkenntnisgewinn kommen, muss man sein Wissen erst „produktiv machen“ und in einen Kontext bringen. Denn wenn wir dabei über Netzwerke sprechen, egal ob diese technischer, ökonomischer oder gesellschaftlicher Natur sind, dann geht es darum, Wissen in einen bestimmten thematischen Zusammenhang einzuordnen und über den Tellerrand zu schauen.

Das sehe ich genauso: Wenn wir Innovation haben wollen, dann müssen wir das Wissen kanalisieren und kombinieren, um es nutzbar zu machen. Ein Fakt kann in einem bestimmten Umfeld schon wieder ganz anders zu bewerten sein – und nur, weil etwas über Jahre hinweg „immer so war“ kann es im Kontext einer neuen Zeit ganz anders zu bewerten sein. Ich habe das ja am Beispiel von Entwicklungsabteilungen in meinem Beitrag zu den „IT-Mythen“ schon ausführlicher erklärt.

Technologie muss erst mit Sinn gefüllt werden

Auch wenn Lotter hier vieles generell und übergreifend auf gesellschaftliche Prozesse bezieht, möchte ich es (hier kommt der Wirtschaftsinformatiker in mir durch) gerne ganz gezielt auf technische Innovation und Digitalisierung lenken: Ich glaube beispielsweise, dass wir in der Internetgesellschaft, in der man vieles binnen Sekunden nachschauen kann, in unseren Schulen weniger reine Fakten als vielmehr das Erschließen und Einordnen von Wissen vermitteln müssen.

Das Smartphone ist dabei nicht nur unser persönlichstes Endgerät, sondern es ist auch beim Wissensmanagement ein echter Treiber für Veränderungen – weil es mit uns interagiert und situativ Informationen ausspuckt, wenn wir das Werkzeug beherrschen.

Ich finde übrigens, dass es ein Irrglaube ist, den Digital Natives per se digitale Kompetenz zu unterstellen. Klar sind sie mit mobilen Geräten aufgewachsen und bedienen sie souverän – sie sind aber oftmals nicht aktiver Gestalter im Sinne dieser Kontextkompetenz. Davon dass man etwas ergooglen kann, durchdringt und versteht man die Informationen ja noch nicht und kann sie nicht gestalten oder in einen anderen Zusammenhang transferieren.

Bildung und Wissen brauchen eine Dynamik

Wenn wir beispielsweise in der IT jungen Leuten heute eine bestimmte Fertigkeit oder Programmiersprache vermitteln, können wir ziemlich sicher sein, dass diese in einigen Jahren nicht mehr das sein wird, worauf der- oder diejenige im Beruf trifft.

Wir können aber auch dafür sorgen, dass diese Mechanismen und Methoden des Programmierens und generell des Denkens vermittelt werden – dann lässt sich auch anderes Wissen, auf das man dann trifft, gut erschließen.

Wenn wir das schaffen, wird Bildung nicht statisch sein, sondern eine Dynamik entwickeln. So gesehen ist eigentlich schon der Begriff des „Bildungsabschlusses“ nicht mehr zeitgemäß und geradezu schädlich – denn wir lernen permanent und bringen unser Wissen Wissen und die Innovationen unserer Umwelt stets in einen aktuellen Zusammenhang. 

Es wird sogar, nicht zuletzt dank der Digitalisierung, immer wahrscheinlicher, dass wir die eingangs erwähnte Komplexität, diese Quelle der Vielfalt, gar nicht reduzieren müssen bzw. können (!), sondern sie für uns „einfach“ (nein, etwas aufwendig ist das schon) erschließen können. Wolf Lotter übt dabei so etwas wie Gesellschaftskritik und ich neige ja auch eher dazu, Dinge zu hinterfragen.

Technologie wird immer dann gefährlich oder entfaltet zumindest nicht ihren vollen Nutzen, wenn wir sie nicht durchdringen, sie nicht in einen nützlichen Kontext bringen.

Das bedeutet auch, dass die Fähigkeit, etwas Innovatives zu schaffen, immer auch mit dem Kontext der Organisation oder des Unternehmens zu tun hat. 

Detlev Kobus

Rebuild your business in crisis.

4 Jahre

Toller und in Die Zeit passender Beitrag. Den Kontext herzustellen und dann mit Kommunikation und Vorbild sein Menschen Orientierung zu geben ist aus meiner Sicht die Königsdisziplin von Führung.

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