Warum wir andere brauchen, um weiterzukommen
Was wir anderen zurückmelden, spiegelt laut Wissenschaft öfter unsere Unzulänglichkeiten oder Eigenschaften wider als die unseres Gegenübers. Heißt: Das Feedback, das wir geben, sagt mehr über uns als über den anderen aus.
Das Problem: Wir wissen nicht, wer wir sind
Wir sind gut darin, unfaires Verhalten unserer Mitmenschen zu erkennen. Dass wir manchmal selbst das Falsche tun, kommt uns nicht in den Sinn. Haben wir doch die feste Absicht gut zu sein: gute Mitarbeitende, gute Partner, gute Eltern, gute Vorgesetzte usw.
Wir sind schnell im Urteilen über andere, und wir sind schlecht in der Selbsteinschätzung, oder zumindest schlechter als wir denken. Die Psychologin Emily Pronin von der Universität Princeton spricht von “introspection illusion" und meint damit, dass unsere Selbstwahrnehmung verzerrt ist, dass wir das aber nicht bemerken.
So passt unser Handeln oft nicht zu dem, wie wir uns sehen. Wir können zum Beispiel der festen Überzeugung sein, mitfühlend und großzügig zu sein, und dennoch an einem kalten Wintertag regungslos an einem obdachlosen Menschen vorbeigehen.
Den Motiven auf der Spur
Ist es überhaupt möglich, sich selbst zu kennen? Forscher versuchen das wie folgt zu beantworten: Sie vergleichen die Selbsteinschätzungen von Testpersonen mit deren Verhalten (in Laborsituationen oder im Alltag), oder sie bitten Verwandte und Freunde darum, die Personen zu beurteilen.
Eine andere Methode, um unbewusste Neigungen zu messen, ist der Implizite Assoziationstest (IAT), der in den 1990er Jahren von Sozialpsychologen entwickelt wurde. Wenn Menschen sofort reagieren müssen, dann bleibt keine Zeit zum Nachdenken, das ist die Idee der Methode. Testpersonen bekommen Fragen bzw. Aufgaben, die schnelles Handeln erfordern. Dadurch treten unbewusste Teile der Persönlichkeit in den Vordergrund.
Die sehen was, was du nicht siehst
Unsere Freunde und Partner sehen uns realistischer als wir uns selbst. Zum einen, weil sie uns beobachten können (unsere Mimik, Gestik und Körpersprache können wir nicht sehen) und von Verhalten auf Eigenschaften schließen können. (Menschen, die von Natur aus gesellig sind, reden zum Beispiel gerne und suchen die Gesellschaft; Unsicherheit äußert sich oft in Verhaltensweisen wie einem abgewandten Blick).
Zum anderen, weil sie einen Kompass dafür haben, was gute und was schlechte Eigenschaften sind (Intelligenz und Kreativität sind z.B. offensichtlich wünschenswert; Unehrlichkeit und Egozentrik sind es nicht).
Wir überschätzen uns, mit gutem Grund
Eine weitere Hürde auf dem Weg zur realistischen Selbsteinschätzung: Wir überschätzen uns, teilweise maßlos.
Fachsprachlich ist vom Dunning Kruger Effekt (benannt nach David Dunning von der University of Michigan und Justin Kruger von der New York University) die Rede. Er besagt, dass, je inkompetenter eine Person ist, umso weniger ist sie sich ihrer eigenen Inkompetenz bewusst.
Zu diesem Schluss sind Dunning und Kruger gekommen, als sie Testpersonen eine Reihe von kognitiven Aufgaben gaben und sie um eine Einschätzung ihrer Leistung baten. Weniger als 25 Prozent bewerteten ihre Leistung mehr oder weniger realistisch; nur eine Handvoll unterschätzten sich. Diejenigen, die bei den Tests am schlechtesten abschnitten (immerhin ein Viertel), überschätzten ihre kognitiven Fähigkeiten in hohem Maße.
Warum liegen gewünschte und tatsächliche Leistung so weit auseinander? Wäre es nicht in unserem Interesse, uns realistisch einzuschätzen? Bedingt. Eine rosarote Brille steigert laut Wissenschaft unser Wohlbefinden und unsere Leistungsfähigkeit. So neigen auch Menschen mit Depressionen häufig dazu, in ihrer Selbsteinschätzung brutal realistisch zu sein. Heißt: Ein geschöntes Selbstbild scheint uns zu helfen, die Höhen und Tiefen des täglichen Lebens zu überstehen.
Wichtiger als gut: Kohärenz
Wir wollen, dass andere uns so sehen, wie wir uns selbst. Das führt so weit, dass Personen, die sich selbst gering schätzen, nur wohl fühlen, wenn andere sie ebenfalls gering schätzen. Klingt ungesund, ist es wahrscheinlich auch. Jedenfalls haben Forscher das in Untersuchungen von Paardynamiken herausgefunden.
Wenn wir uns nicht selbst beobachten können bzw. das durch eine rosarote Brille tun, wie sollen wir uns dann weiterentwickeln? Schwierig. Aus diesem Grund ist es so wichtig, dass wir Feedback geben und Feedback erhalten.
Die Lösung: Feedback annehmen
Feedback kann weh tun, und unangenehm sein. Dabei ist es so wertvoll. Nur wenn andere uns spiegeln, wie wir wirken, können wir an uns arbeiten. Vor allem die, die uns gut kennen, ermöglichen uns, Selbst- und Fremdbild abzugleichen.
Wir sollten Feedback als Chance zu Lernen, nicht als bloße Kritik begreifen.
Wenn andere uns sagen, wenn wir etwas besonders effektiv oder schön oder geschickt oder eben nicht gemacht haben, dann können wir uns beim nächsten Mal genau darauf besinnen und unser Handeln entsprechend ausrichten.
In anderen Worten:
“If one person tells you something, it’s someone’s opinion. If three people tell you something, you should listen.” (Adam Robinson / Shane Parrish)
Spoiler:
Wir haben es nicht gelernt Feedback zu geben. “Gut gemacht” oder “Toll” ist kein Feedback, denn es ist nicht handlungsorientiert. Was gutes Feedback ausmacht, darum geht es im nächsten Artikel.