Wasser bis zum Hals
Ganz oben, wie hier an den Engstligenfällen in fast 2000 m Höhe entstehen die Fluten, die uns fast ertränken, aber auch das Wasser, von dem wir leben.

Wasser bis zum Hals

Nachdenklich muss man das Thema kommentieren, und was jetzt folgt ist ein Kommentar, eine Meinung. Denn bei dem Thema „Wasser“ ist zurzeit vieles „im Fluss“:

Das Wasser kommt nicht mehr gleichmässig. An vielen Orten kommt es nur noch mässig. An anderen Orten und zu manchen Zeiten kommt es übermässig. Und der Eindruck unserer Tage ist schon überwältigend und drängend: Das so lebenswichtige Wasser wird immer unkontrollierbarer.

Ein neues „altes Problem“?

Als Albert von Stade in der Mitte des 13. Jahrhunderts seine «Annales Stadensis» veröffentlichte, berichtete er – neben der Beschreibung seiner phänomenalen Rom-Reise - von einer rund zwei Jahrzehnte vor seiner Reise nach Rom stattgefundenen, fast endzeitlich anmutenden Flut an der Elbe, der offensichtlich Zehntausende zum Opfer gefallen sein müssen. An anderen Orten war sogar die Stadt Paris massiv betroffen. Es gab einfach keine Dämme.

Die Bedingungen des damals eintretenden klimatischen Wandels scheinen entfernt ähnliche gewesen zu sein, wie wir sie heute vorfinden: Das damalige Ende der mittelalterlichen Warmzeit kündigte sich zum ersten Mal in der Mitte des 13. Jahrhunderts mit Klima-Anomalien an. Davor hat man sehr stabile, meist recht trockene und warme Wetterbedingungen in Europa, die zu einem gegenüber dem frühen Mittelalter erheblichen Bevölkerungswachstum geführt hatten. Und nun entgleiste alles, und man hatte praktisch keine Gegenmittel. Mitte des 14. Jahrhunderts kamen dann die ganz grossen Fluten an den Küsten dazu, die ganze Landstriche versinken liessen. Erst die «kleine Eiszeit» brachte dann bis Mitte des 19. Jahrhunderts eine gewisse Ruhe – und rasant wachsende Gletscher.

Was hilft uns das nun heute, wenn wir zurücksehen?

Moderation statt Überschwang

Vielleicht ist doch eine grössere Anregung in der historischen Rückschau verborgen: In diesen Jahrzehnten Mitte des 13. Jahrhunderts spielte mehr und mehr der Wasserbau (eine Spezialität der Niederländer) eine Rolle in der Bewirtschaftung von Städten und ganzen Landstrichen. Daraus entwickelten sich langsam aber stetig Wasserbau-Projekte, und auch diejenigen, die uns heute eher modern anmuten, kamen manchmal mit kaum zu bewältigenden Problemen daher.

Ein gutes Beispiel im Berner Oberland ist der «Kanderdurchstich» bei Einigen, der 1713 begonnen wurde, weil die wilde Kander im Bereich des «Gwatt» die Stadt immer wieder völlig unkontrolliert vom restlichen Berner Oberland abgetrennt hatte.

Man hatte aber die Folgen des Durchstichs damals völlig unterschätzt hatte und erst 2009, also erst vor wenigen Jahren, bekam man die wilde Flut hydrologisch durch einen Entlastungsstollen bei Thun in den Griff. Dabei wirkten am Ende alle mit: Stadt, Kanton, private Investoren. Die Stadt Thun hatte davor fast 300 Jahre lang an immer wiederkehrenden Überschwemmungen gelitten.

Der Kanderdurchstich bei Einigen am Thuner See.

Es fällt jedoch auf, dass selbst die Beschreibung eines solchen Projekts über Jahrhunderte hinweg in aller Regel über seine technischen Eigenschaften erfolgte, selten, sehr selten über seine finanzielle und gesellschaftsrechtliche Organisation.

«Wer bezahlt?», «Wer profitiert?», sind – mit einer überregionalen Brille gesehen – oft untergeordnete Fragen. In Wirklichkeit sind die Dinge, wie es scheint, bis auf Ausnahmen möglichst kleingliedrig zu regeln. Grosse Lösung, mittelgrosse Lösung, kleine Lösung – Was ist optimal?

«Rhesi» ist diesmal keine Kuh

Auf internationaler Ebene hat jüngst das Projekt «Rhesi» im Rheintal an der Grenze zwischen Österreich und der Schweiz von sich reden gemacht. Am 17. Mai 2024 wurde der Staatsvertrag zwischen der Schweiz und Österreich, welcher unter anderem die Finanzierung des Projekts Rhesi regelt, unterzeichnet. Es ist nach 1892, 1924 und 1954 der vierte Vertrag zwischen der Schweiz und Österreich, welcher die Regulierung des Alpenrheins zwischen der Illmündung und dem Bodensee samt der Finanzierung des langfristigen Projektes regelt.

Hier ist es – als Ausnahme? – ein zwischenstaatliches, sehr langfristiges Projekt, das alleine für eine stark wachsende Region ausreichend Sicherheit bieten kann.

Hier eine Visualisierung des zukünftigen Zustandes des Rheins als Grenze zwischen Österreich und der Schweiz.

Wasser kraft Finanzierung

Die mittelgrosse Lösung war im vergangenen Jahr aber schweizweit die effizienteste: Fast wäre es ein wenig untergegangen, das nur anscheinend kleine Wasserkraftwerk, welches das untere Kandertal mit dem ausgehenden Simmental im Berner Oberland verbindet. Die Rede ist vom „Augand-Kraftwerk“ zwischen Aeschi, Spiez und Wimmis, das im vergangenen Herbst, also Ende 2023, ans Netz ging.  

Der neue Wasserkraft-Bericht des Schweizer Bundesamts für Energie Wasserkraft Schweiz: Statistik 2023 (admin.ch) zeigt aber auf, dass dieses mittelgrosse Kraftwerk im vergangenen Jahr 2023 den grössten Zugewinn an elektrischer Leistung eines einzelnen Kraftwerks in der ganzen Schweiz verkörpert.

Erstaunlich? So richtig erstaunt hat es niemand, so scheint es. Zudem kommt ein enormer wasserregulatorischer Effekt. Fast nur von der regionalen Presse wahrgenommen (Der «Frutigländer» und die «Simmentalzeitung» haben darüber berichtet), wird vermutlich die strategische Bedeutung solcher mittelgrossen Installationen und Investitionen in der Schweiz verkannt.  

Die technische Installation findet wohl noch ein gewisses Interesse, einfach weil sie durch wegweisendes durch ingenieurtechnisches Raffinement, insbesondere in der Wasserführung und der Umweltverträglichkeit verbindet.  

Die dafür grundlegende Finanzierung nimmt man jedoch leichthin für etwas Selbstverständliches. Was sie aber wohl mit Investitionen von rund 60 Mio CHF aber nicht ist. Dass dafür eigens eine Gesellschaft gegründet wurde, ist sicher der richtige Schritt.

Die Summe der in der Schweiz insgesamt in Wasserkraft als Energieträger investierten Gelder ist immens. Hinzu kommen noch die zur Wasserversorgung notwendigen Mittel.

Wasser ist uns bereits heute etwas wert. 

Regional erfolgreiches Wasser-Management

Wie aber abschliessend auch das kleingliedrige das Management von Trinkwasser, Flusswasser und auch elektrischer Energie hervorragend gelingen kann, zeigen aber immer wieder die Erfolgsberichte regionaler Wasser- und Energieversorger. So in den vergangenen Wochen die Geschäftsberichte der Wasserversorgungen von Kandersteg und Aeschi-Spiez (beide Artikel des Verfassers im «Frutigländer»).

Dabei wird vollkommen klar, dass wie das Wasser nicht ruhen kann, so auch nicht unsere Aufmerksamkeit auf die damit verbundenen Investitionen. Oft stehen dabei die Erhaltungsinvestitionen weit im Vordergrund und verschlingen erhebliche Teile des gesamten Jahresbudgets. Dann wieder sind es Neuinvestitionen, die in zukünftigen Jahren Versorgungssicherheit mit Katastrophenschutz kombinieren.

Bevor uns das Wasser bis zum Hals steht

Die vergangenen Wochen haben uns allen unmissverständlich vor Augen geführt, dass wir nichts am Thema «Wasser» für selbstverständlich erachten sollten: Weder, dass es gleichmässig kommt, noch dass es überhaupt kommt, scherzhaft gesagt, nicht einmal, dass es immer «den Bach hinunter» fliesst.

Aber Wasserbewirtschaftung braucht – nach Grösse und Aufgabenstellung gradiert - funktionierende Organisationsformen, immer mit viel Verantwortung an der Basis, bei den Menschen, die davon profitieren oder die davon bedroht werden.

Und Wasser braucht Geld, nicht nur als Energieträger, sondern schon aus grundlegendem Respekt vor und vertiefter Einsicht in die Notwendigkeiten der Schöpfung, deren Teil wir unausweichlich sind.

Und zum Ende noch etwas Triviales: Wasser braucht Platz. Bei «Rhesi» hat man das bis auf staatliche Ebenen erkannt. Bei vielen anderen Grossprojekten eher nicht. Dabei braucht es oft gar nicht den ganz grossen Plan. Oft würde Vernunft und Moderation im Kleinen, im Regionalen, vor Ort, und dort eine ausreichende Finanzierung schon sehr viel helfen.

 

Kilian T. Elsasser

Museumsexperte, Ausstellungskurator, Gotthardspezialist,

6 Monate

Wasser braucht Platz und findet immer einen Weg.

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