Welche Qualität(en) im Museum?

Welche Qualität(en) im Museum?

von Wolfgang Tobisch


Jeder Museumsdirektor und jede Museumsdirektorin verkünden mit Stolz, dass sein/ihr Haus auch letztes Jahr mehr BesucherInnen (eigentlich Besuche) zählte als im Jahr davor. Und die wirtschaftlichen GeschäftsführerInnen legen nach: „… auch die Eintrittserlöse sind wieder gestiegen.“ Aus unserer heutigen wirtschaftlichen Perspektive haben wir häufig diesen Qualitätsblick auf die Welt – auch in Kulturbetrieben.

Um diese vielen Besuche zu erreichen, braucht es Highlights wie beispielsweise Bilder vom Künstler Raffael, dessen letzte große Ausstellung in Wien bei der Eröffnung als drittteuerste Ausstellung in der Geschichte des Museums galt; oder jenes lunare Basaltgestein mit einem Gesamtgewicht von 84 Gramm, das sich seit 1971 auf der Erde befindet und die größte Mondgesteinsprobe ist; oder Geschichten um gestohlene und wieder gefundene Kunstwerke wie die sogenannte „Saliera“ oder der „Schwabinger Kunstfund“ oder das im Müllsack versteckte Bild von Gustav Klimt in Piacenza, das beim Heckenschneiden wiedergefunden wurde: alles sensationell, alles spektakulär.

Wir sollten gerade heute, in einer Zeit, in der wir wegen der sogenannten Corona-Krise gefordert sind, Zeit mit Nachdenken zu verwenden, uns darüber Gedanken machen, welche Qualität bei den vielen Aufträgen – und damit den vielen Qualitäten – eines Museums wirklich „spektakulär“ ist?

Das Museum hat einen Bildungsauftrag, den wir heute auch als Kommunikationsauftrag verstehen können. Dieser beinhaltet, dass alle Mitglieder unserer Gesellschaft in einen Dialog zu Objekten, Gegenständen, Kunstwerken, die unsere Identität prägen, eintreten sollen und im Original erleben dürfen – möglichst nahe, möglichst oft, möglichst (kultur-)vermittelt. Wie sonst sollen die BesucherInnen Fragen stellen können? Ein gesellschaftlicher Wert, den nur Museen bieten können.

Aber es gibt einen Widerspruch dazu.

Das Museum hat einen Auftrag zum Bewahren – und dieser beinhaltet, dass alle kulturhistorischen Objekte egal ob Kunst, Technik, Natur oder regionale Geschichte, egal ob diese unser Alltags- oder Berufsleben berühren, egal ob sie aus Metall, Leder, Papier oder sonst einem Material hergestellt wurden – einfach alles, was sich in den Ausstellungen und Depots (und was sich noch nicht in den Ausstellungen und Depots) befindet, geschützt, bewahrt und daher schon präventiv vor schädlichen Einflüssen wie Licht, klimatische Veränderungen, menschliche Ausdunstungen und Transport geschützt werden müssen, um möglich lange Teil unserer Identität zu bleiben.

Entscheidungen im Museum können von Widersprüchen geprägt sein: einerseits wollen wir der Gesellschaft ihre Identität nicht nur beschreiben, sondern auch zeigen, erlebbar machen und vielleicht sogar interaktiv zur Verfügung stellen. Das ist ja das Besondere an einem Museum! Nicht die digitale Aufbereitung von Bildern und Filmen in Datenbanken ist der Reiz, der uns begeistert und fasziniert. Die digitale Sammlung bietet uns vielfache Möglichkeiten, Informationen in bester Qualität zu bekommen. Erst in den Köpfen entsteht dann Wissen, das in Konfrontation mit realen Exponaten ein Impuls sein kann, der Perspektiven verändert, Ideen und vielleicht sogar Innovationen eröffnet. Das ist – unabhängig von der Anzahl der Besuche – eine einzigartige Qualität des Museums – der größte USP.

Wir wollen unsere Ausstellungen gestaltet wissen um Zugänge zu eröffnen. Die Ausstellungsarchitektur ermöglicht Erlebnisse – diese werden u.a. durch Licht inszeniert. Das geht am besten, wenn man den Ausstellungsraum abdunkelt. Der Bewahrungsauftrag ist in bester Qualität erfüllt, weil so die zerstörerische Lichtmenge für wertvolle, lichtsensible Kunstwerke genau gesteuert werden kann und der Verfall (vor allem bei Archivalien aus Papier) gebremst wird. „Aber sehen muss man schon etwas“ sagen die Vermittlerinnen und Vermittler, die mit den Besucherinnen durch die Ausstellung stolpern. „Ja und schließlich handelt es sich um einen hochqualitativen Arbeitsplatz“ schreit der Betriebsrat und verweist auf das Arbeitsgesetz! Unterschiedliche Qualitäten …

Welche sind wichtig?

Wie kann man diese Qualitäten managen – anders gesagt: Wie kann man diese Qualitäten konzipieren, entwickeln, entscheiden, verbinden, umsetzen, zugänglich machen, steuern, verändern, verbessern …?

Sollten wir die freie Nachdenkzeit nicht nutzen, um uns Gedanken zu machen, ob wir nach der Covid-19 Pandemie wieder nur die Zahl an Besuchen als einzige Qualitätskennzahl anerkennen? Heute denkt sogar die mächtige Sportwirtschaft über einen Systemwechsel (https://sport.orf.at/stories/3061319/) nach ...

Nutzen Sie die Zeit zu Hause für nach der Krise.

Zum Anzeigen oder Hinzufügen von Kommentaren einloggen

Weitere Artikel von Wolfgang Tobisch

Ebenfalls angesehen

Themen ansehen