Weltfrauentag – warum sich Frauen beeilen müssen, wenn sie in die Chefinnen-Etage möchten
Vor 12 Monaten berichtete ich an dieser Stelle vorsichtig optimistisch über den Anstieg des Frauenanteils in deutschen Führungsebenen. Auch jetzt haben wir unsere LinkedIn-Daten genutzt, um gemäß dem diesjährigen Motto des Internationalen Weltfrauentags „Balance for Better“ gemeinsam mit der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zu untersuchen, was sich seitdem verändert hat (hier geht’s zur Studie). Die Ergebnisse zeigen zwar den ein oder anderen Hoffnungsschimmer, aber in viel größerem Maße sehr ernüchternde und besorgniserregende Trends für Frauen und auch für alle, denen Gender Diversity wichtig ist.
Faire Chancenverteilung? Fehlanzeige!
In unserer diesjährigen Untersuchung haben wir uns den Werdegang von Frauen und Männern in fünf Ländern - Deutschland, Norwegen, Indien, Italien und den USA - angesehen. Was bei der Analyse ins Auge fällt: In allen untersuchten Ländern kommen Frauen schneller in Führungspositionen als Männer. In Deutschland brauchen weibliche Führungskräfte durchschnittlich 7,7 Jahre, wohingegen männliche durchschnittlich 9 Jahre benötigen.
Diese Zahlen sehen auf den ersten Blick positiv aus, aber zieht man den Frauenanteil in Führungspositionen mit in Betracht, relativiert sich das Bild sehr schnell. Mit 20 Prozent Frauen in Führungspositionen befindet sich Deutschland in unserer Auswertung auf dem vierten Platz. Nur Indien hat mit 17 Prozent einen niedrigeren Wert. In den USA ist der Anteil von Frauen in Führungspositionen mit 35 Prozent am höchsten, dann kommt Norwegen mit 32 Prozent und an dritter Stelle liegt mit 30 Prozent Anteil Italien.
In Deutschland kommt noch ein weiterer Faktor erschwerend hinzu. Frauen, die es nicht im ersten Jahrzehnt des Berufslebens an die Spitze schaffen, haben es zunehmend schwerer, diesen Schritt in späteren Jahren zu gehen. Auf jede Frau in Deutschland, die in den ersten zehn Jahren ihrer beruflichen Laufbahn eine Führungsposition erreicht, kommen 3,1 Männer, denen dies gelingt. Und diese Lücke wird dann immer größer. Im zweiten Jahrzehnt des Berufslebens sind es bezogen auf eine Frau 3,8 und im dritten Jahrzehnt 4,2 Männer.
Auch wenn in der Studie die Gründe für diese Zahlen nicht genannt werden, könnten mehrere Faktoren dies beeinflussen. Häufig bewerben sich Frauen nicht auf Führungspositionen, weil die Familienplanung im Vordergrund steht oder die Selbsteinschätzung der nötigen Qualifikationen oft kritischer ausfällt als bei männlichen Bewerbern.
Frauen trauen sich weniger zu als Männer
Eine Auswertung des Bewerbungsverhaltens von LinkedIn-Mitgliedern* hat gezeigt, dass Frauen sich nur dann auf einen Job bewerben, wenn sie überzeugt sind, 100 Prozent der Anforderungen zu erfüllen – Männern reichen hingegen schon 60 Prozent Übereinstimmung, um sich zu bewerben. Deshalb ist es sehr wichtig, sich zu trauen. In Deutschland bewerben sich Frauen durchschnittlich 14 Prozent seltener als Männer auf eine Stelle, die sie angesehen haben. Auch wenn sich in Summe weniger Frauen bewerben, haben die, die den Schritt gehen, bessere Chancen den Job zu bekommen. Frauen werden um 23 Prozent häufiger eingestellt, wenn sie sich auf eine Position bewerben, die einen Karrieresprung bedeutet.
Bessere Voraussetzungen schaffen
Flexible Arbeitsmodelle mit Home-Office und Gleitzeit erleichtern es zunehmend, Familie und Beruf besser zu koordinieren, aber führen nicht automatisch zu mehr Frauen in Führungspositionen oder zu einer gerechteren Verteilung der Zeit auf die Bereiche Beruf, Kinder und Familie bei Männern und Frauen. Wie eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeigt, sind Mütter mit flexiblen Arbeitsmodellen oft sogar noch einer größeren Doppelbelastung und überdies der Erwartung ausgesetzt, sich verstärkt um die Familie zu kümmern.
Dieses Ergebnis beweist, dass es nicht ausreicht, nur die Rahmenbedingungen – auch mehr Alternativen in der Kinderbetreuung ist hier ein Beispiel – zu verbessern. Die Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen und insbesondere zwischen Vätern und Müttern sind nach wie vorher sehr traditionell und Frauen haben nicht die gleichen Möglichkeiten wie Männer. Denn in der o.g. Studie hat sich gezeigt, dass Männer mit flexiblen Arbeitsmodellen sich immer noch deutlich weniger um Familienbelange kümmern als Frauen.
Daher ist es wichtig, den Weltfrauentag jedes Jahr zum Anlass zu nehmen, diese Missstände aufzuzeigen und zu analysieren, was sich im Vergleich zum Vorjahr verändert und (hoffentlich) verbessert hat. Den Rest des Jahres kommt es dann darauf an, die richtigen Schlüsse zu ziehen und immer weiter daran zu arbeiten, die bestehenden Herausforderungen und Probleme anzugehen. Und zu guter Letzt sollten wir Frauen die Erwartungen an uns selbst nicht von überbordendem Perfektionismus leiten lassen, uns öfter die Hand reichen.
Wie beurteilen Sie die Karrierechancen von Frauen? Hat sich in den letzten Jahren die Situation für Frauen in Führungspositionen aber auch generell in der Arbeitswelt verbessert, sehen wir Stagnation oder ist die Situation schlechter geworden? Hinterlassen Sie mir gerne einen Kommentar oder teilen Sie Ihre Meinung unter #linkedinforbalance oder #balanceforbetter.
* Das war das Ergebnis einer Auswertung von LinkedIn. Grundlage waren die Profile unserer Mitglieder. Da LinkedIn das Geschlecht der Nutzer nicht abfragt, erfolgte die Analyse auf Basis der Vornamen in den relevanten Sprachen. Mitglieder, deren Geschlecht daraus nicht eindeutig abgeleitet werden konnte, wurden nicht einbezogen. Mitglieder in Führungspositionen wurden anhand der Jobtitel identifiziert.