Wenn das WIR am Ego vorbeizieht
Ein Auftrag zur Teambildung: „Es dürfte mehr Teamgedanke vorhanden sein.“ erzählt mir mein Auftraggeber im Vorgespräch. Er macht einen reflektierten Eindruck, ist bereit Unterstützung von außen einzukaufen. Er erklärt mir die Struktur, die bereits Sollbruchstellen aufweist. Später geht es um persönliche Befindlichkeiten im Team. Gefühlt hat alles eine Vorgeschichte. Ich höre zu, lerne Mitglieder des Teams kennen und fahre mit einer Vielzahl von Fragezeichen im Kopf nach Hause. Spontan habe ich keine Idee, wie ich am besten an diesen Auftrag herangehe. Ich brauche Zeit für die Analyse, durchdenke alles, was ich bereits an Erfahrungen und Wissen präsent habe, und verweile (wieder einmal) bei Patrick Lencionis „Die fünf Dysfunktionen eines Teams“.
Vertrauen ist die Basis für eine gelingende Zusammenarbeit
Patrick Lencioni schreibt in seiner Leadership Fable über fünf Dysfunktionen, denen Teams regelmäßig „verfallen“. Die erste Dysfunktion „Fehlendes Vertrauen“ ist der Kern meiner Arbeit, denn Vertrauen ist die Basis für eine gelingende Zusammenarbeit. Wenn es zwischen Teamkollegen kein Vertrauen gibt, dann ist es am Ende des Tages ein Ding der Unmöglichkeit, hervorragende Teamleistungen zu generieren. Maximal bleibt es beim Mittelmaß. Und hierbei wird der Aspekt der Gesundheit – physisch wie psychisch – nicht einmal berücksichtigt. Kalkuliere ich diesen Aspekt in Form von Fehltagen ein, dann wird es schwierig, überhaupt ein Mittelmaß zu erreichen. Der Weg ins Vertrauen führt über Mut. Kompetente Coaches schaffen es, einem Team diesen Weg zu weisen und immer wieder zu der Frage des Vertrauens zurückzukehren.
Erst wenn eine solide Basis des Vertrauens geschaffen wurde, macht es Sinn, sich der zweiten Dysfunktion zu widmen: Der Scheu vor Konflikten.
Künstliche Harmonie – Nein Danke!
Ach, wie schön haben wir es doch im Team, wenn keiner dem anderen etwas Böses will und lieber gar nichts sagt, anstatt die Themen, die einer Klärung bedürfen, auf den Tisch zu bringen.
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Es gibt jedoch Dinge, die müssen geklärt werden. Und zwar dann, bevor ein schwelender Konflikt destruktiv wird oder „das Fass überläuft, „jemandem der Kragen platzt“, schlichtweg wenn „Schluss mit lustig“ ist. Wir haben unzählige Metaphern entwickelt. Ich habe diese früher gesammelt. Deshalb wollen sie jetzt hier erwähnt werden: „Ende Gelände“, „Aus die Maus“, „Ab vom Hof“, „Runter vom Geharkten“, „Schicht im Schacht“. Man kann daraus schließen, dass das Fass regelmäßig und branchenübergreifend überläuft. Umso bedeutender ist es, der von Lencioni beklagten „künstlichen Harmonie“ den Garaus zu machen. Rational ist das gar nicht so schwierig. Die Gewaltfreie Kommunikation und diverse Modifikationen von Marshall Rosenbergs Konzept klären darüber auf, wie unbehagliche Themen konstruktiv und wertschätzend angesprochen werden können. Wertschätzend meint, der Beitrag oder das (unbequeme) Thema hat einen Wert. Und trotzdem fällt es uns schwer, das Unbehagen auszuhalten und den Mut zu finden, um unsere Sicht auf die Situation kundzutun. Vielleicht gelingt es, den Mut zu finden, indem wir die Werthaltigkeit erkennen.
WIR bedeutet auch Verzicht
Lencioni betitelt die dritte Dysfunktion als „Fehlendes Engagement“, das der Scheu vor Konflikten folgt. Wer mag sich in der schönen Welt des Scheins wirklich engagieren? Gerade, wenn man ein anderes Vorgehen für das geeignetere hält?
An dieser Stelle wird offenbar: Es gibt kein WIR. Ein WIR kann im Team nur entstehen, wenn Ideen, Vorschläge, Vorgehensweisen gehört werden. Und wenn diese gegensätzlich sind, dann beginnt das Ringen um die beste Lösung. Diese beste Lösung macht es erforderlich, dass einige der vorgebrachten Ideen, Vorschläge und Vorgehensweisen verworfen werden – zum Wohle des Teamerfolgs. Einzelne Teammitglieder verzichten bewusst auf ihren persönlichen Lösungsweg. Das kann weh tun, ist aber genau der Moment, in dem das WIR am Ego vorbeizieht.
Für die Teambildung haben wir den ersten entscheidenden Schritt getan und sind zunächst ins Vertrauen gegangen. Der Austausch über persönliche Standpunkte und die Selbstreflexion zu tatsächlichen Sachverhalten hat in die Arbeitsgruppe eine neue Energie gebracht. Dieses Team steht noch am Anfang, ist aber einen entscheidenden Schritt gegangen, um eine eigene Strahlkraft über in Stein gemeißelte Strukturen hinweg zu entwickeln.