Wenn der Mensch zum Netzwerk-Objekt verkommt!
Keynote Jürgen Eisserer

Wenn der Mensch zum Netzwerk-Objekt verkommt!

Lesezeit: 5 Min.

Es ist ein wenig angsteinflößend, was sich in sozialen Netzwerken wie LinkedIn aber auch Offline manchmal abspielt. Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los nur ein Stück Treibgut zu sein, das von Schiffbrüchigen sehnsüchtig erwartet wird. Dieses Gefühl macht sich aber generell bei mittlerweile vielen "Treffen" breit. Wir entwickeln uns zu einer Gesellschaft, die nur noch unter dem Aspekt miteinander spricht: "Was kannst du mir anbieten, um mich weiterzubringen?" Zwar gilt die Devise "nichts verkaufen" auf Plattformen wie LinkedIn oder Business-Meetings. Aber ist die andere Seite dieser Entwicklung deshalb zu bevorzugen? Woher kommt diese Entwicklung? Und was können wir tun, um den Trendspruch: "Der Mensch muss in den Mittelpunkt" wirklich treu zu bleiben?

Ich hab mir dazu einige Gedanken gemacht (in diesem Artikel) und dazu die sechs Gründe erarbeitet, warum sich Menschen überhaupt treffen (in einem nächsten Artikel nächste Woche Montag). Das ist übrigens auch ein erster Vorgeschmack auf mein zweites Buch, das eben im Entstehen ist.

Der Mensch als Handelsobjekt

Unsere Gesellschaft besteht aus einem System aus Individuen und Einzelteilen die in ziemlich komplexer Beziehung zueinanderstehen. Damit nicht alles drunter und drüber geht und wir herumlaufen wie verschreckte Hühner, brauchte der Mensch Orientierung innerhalb dieses Gewirrs an unterschiedlichen Charakteren und Eigenheiten. Deshalb hat der Mensch vor etwa 10.000 Jahren vor dem Sesshaft werden ein hierarchisches System gefunden, in dem sich der Mensch in seinen verschieden autoritären Rollen einordnen lässt. Wir konnten uns dadurch gut organisieren, Aufgaben zuteilen oder uns von „oben“ etwas diktieren lassen.

Also einer sagte wo es langgeht und alle wissen, was zu tun ist. Die meisten der „Teilnehmer“ dieses Systems in dem wir uns schon seit tausenden Jahren befinden, wären zwar gerne oben, befinden sich aber eher am Ende der Kette. Je weiter hinten, desto weniger Respekt kam ihnen zu Gute und desto mehr wurde der Mensch als Objekt behandelt. Wir könnten uns nun fragen, wer oder was ist hier auf LinkedIn "oben" und "unten"? Respekt basierte also Zeit der Geschichte in erster Linie darauf, von „unten“ nach „oben“ mehr Respekt zu zeigen. Umgekehrt war nie wirklich davon die Rede.

Es gilt alte Autoritäten zu hinterfragen

An Schulen, Universitäten und in vielen Unternehmen sind aber Gegentendenzen erkennbar. Das Interesse an wertschätzender und respektvoller Kommunikation zwischen allen Stufen, um Kooperation und Zusammenhalt zu fördern, wächst. Auch ein Blick in die aktuelle Literatur gibt ein hoffnungsvolles Bild. Von mehr Taktgefühl, dem Streben nach mehr Respekt und der Wertschätzung des Gegenübers ist vielfach die Rede. Man erkennt mittlerweile den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Art der Gespräche und der Entwicklung intrinsischer Motivation. Natürlich kann jemand der sich nur noch als Objekt behandelt fühlt, seine Potentiale weniger ausleben oder sich wirklich glücklich und frei fühlen. Führungskräfte sind nicht mehr „Vor“-gesetzte, sondern Teamplayer, Coach und Begleiter. Sie entwickeln ein Gespür dafür flexible Teamleiter zu sein und auf die Individualität der Menschen einzugehen. Weg vom Autoritätsgedanken, hin zur kritischen Selbstreflexion, weg vom Platzhirschen mit unangefochtener Befehlsgewalt, hin zu einem Mangelbewusstsein, das durch Kollegen und Team aufgefüllt wird. All das unterstützt die Gedanken des sich glücklich Sprechens. Einer Umgebung, die Silos sprengt und charismatische Patriarchaten durch authentische Teamplayer ersetzt.

Unser Ur-Antrieb erlischt, wenn wir nicht handeln

Die im Buch angesprochene Neugier und der Entdeckerdrang leiden aber massiv unter dem Objekt-Denken, das noch vielerorts vorherrscht und von der heroisierten Männer- und Managerdenke vorgelebt wird. Weil jemand über uns sagt, was du zu tun hast. Hoch kommst du in diesem System nur, wenn du etwas Außergewöhnliches leistest, etwas Neues erschaffst oder die Welt mit einer Idee ein Stück weit mitgestaltest. Das System der Sicherheit aus vergangenen Zeiten führte aber erst dazu, dass dieses Gestalten ermöglicht wurde. Der Mensch wollte immer schon ausbrechen aus Systemen. Daraus entstand das Entdeckerzeitalter mit Abermillionen neuen Ideen, Wegen und Innovationen und beschert uns eine Vielfältigkeit, in der alles möglich ist, und deshalb niemand mehr akzeptieren kann sich „von oben“ etwas sagen zu lassen. Warum auch? Wir haben unser Sicherheit spendendes System der Hierarchie durch die Weiterentwicklungen der letzten Jahrhunderte Schritt für Schritt ad absurdum geführt. Wir haben uns selbst vom Objekt eines hierarchischen Systems zu einem freischaffenden Individuum entwickelt, das seine Potentiale erkennen, seine Freiheit einfordern will und sich der Kraft bewusstwird, etwas zu erschaffen. Soweit nun der Mensch und dessen Technologischer und Gesellschaftlicher Fortschritt zu sein scheint. So weit hinten ist das soziale System noch. Denn die Hierarchie ist nach wie vor in fast allen Unternehmen und Gesellschaftsschichten spürbar. Und versteht mich nicht falsch. Bei einem Brandeinsatz oder militärischen Hilfsaktion brauchen wir dieses System nach wie vor, dass einer sagt wo es langgeht und die weiteren sofort wissen was zu tun ist. Freiheit und kreativer Geist ist bei einem Lawineneinsatz eher von Nachteil.

Aus diesem System des hierarchischen Denkens fanden wir über viele tausend Jahre Sicherheit. Wir wussten an wen wir uns wenden können. Diese Sicherheit sucht ein Großteil des Volkes noch immer. Ein Grund, warum Populisten wie Donald Trump auch in absehbarer Zeit noch immer gewählt werden. Aber die meisten Leute sind innerlich trotzdem stark verunsichert. Wir suchen nach der Orientierung, nach dem Warum, nach dem Sinn. Klar, über tausende Jahre wähnten wir uns im System der Hierarchie wieder, nun leben wir in einer Übergangsphase des Suchens und Findens. Wir müssen also lernen unsere Beziehungen wieder so zu gestalten, so dass wir unser Gegenüber nicht mehr als Objekt eines Systems betrachten, das auf Autoritäten und Macht ausgelegt ist, sondern mit Respekt dem Individuum begegnen, um damit Gespräche auf Augenhöhe zu führen.

Fragen? Anregungen dazu? Ich freu mich auf eure auch kritische Meinungen dazu. Gerne auch direkt an office@eisserer.com

Gute Reise, euer Jürgen


André Daus

Mut zu bedeutenden Veränderungen: Ich helfe Organisationen, aus eigener Kraft erfolgreich zu sein, unerschrockene Fragen zu stellen und Komplexität zu meistern.

2 Jahre

Die Hierarchien sind nicht das Problem. Es heisst ja auch nicht umsonst „die Spitze“ einer Organisation/Unternehmen/Clan. Wenn es mehrere Anführer gibt, wird es stumpf. Daher wird von oben nach unten (wenn man es denn so bezeichnen möchte) immer mehr Denken durch Machen ersetzt. Irgendjemand muss nunmal die Entscheidungen umsetzen und das ist in der Regel am „Ende der Kette“. Ich bin davon überzeugt, dass das auch von der Spitze gewusst wird, wenngleich nicht immer gelebt wird. Aus meiner Sicht hat das auch nicht mit Respekt zu tun. Respekt ist davon unabhängig und sollte in jedem Fall die Grundlage sein. Jemand, der keinen Respekt erfährt wird sich nicht um die Belange des Gegenübers scheren. Warum auch? Wenn sich jemand als Objekt fühlt, dann ist das erstmal eine persönliche Wahrnehmung und auch diese kann man respektvoll kommunizieren. Genauso wie umgekehrt auch die Meinungen vom „Ende der Kette“ respektvoll gehört werden sollten, um daraus bessere Entscheidungen abzuleiten. Die Hierarchie wird sich damit nicht ablösen, aber wir können heute die Ideen, das Wissen und die Erfahrungen von allen Ebenen nutzen, um an der Spitze Entscheidungen zu treffen, die alle weiterbringen, ohne mit „Objekten“ zu kommunizieren.

Sabine Krömer

Offline 16.12.24 - 04.01.25. für alle, denen die Worte fehlen. #gerneperdu

2 Jahre

Ich habe immer das Bild einer Treppe vor Augen, sehe aber immer mehr, wenn ich dies bedenke: Von unten herauf ist der Aufstieg. Von oben herab ist der Abstieg.

Marketa Burger

Jobglück mit 50+ 🔜 Gesehen, gewertschätzt, eingestellt ohne Affentanz 🦧 | Erfolgreiche Bewerbungen, Selbstmarketing & LinkedIn als Booster | 📖 Autorin & 4 x LinkedIn Top 50

2 Jahre

Definitiv: immer wieder mal aussortieren und sich nur mit Menschen umgeben, die mir guttun.

Siegfried Betke

Elektrisch ist schneller als mit dem Moped

2 Jahre

Super Vergleich mit dem Strandgut. Aufheben, bewerten, wegwerfen oder wenn brauchbar mitnehmen. Der Mensch ist ein soziales Wesen, dass in kleineren Dimensionen als SoMe und Business, dieses lebt. Ähnlich der Urlaubsbekanntschaft, tolle Tage erlebt und meistens verliert es sich danach.

Julian Riedl

Sales Trainer bei Palfinger AG

2 Jahre

Der Mix aus Sicherheit und Veränderung macht es aus. Aber Es sind die festgefahrenen Muster und die damit einhergehende fehlende effektive Selbststeuerung die uns in dieser Misserie feststecken lassen. Letztlich liegt es an uns selbst das Steuer in die Hand zu nehmen und es gibt zu Glück viele die das schon begriffen haben. Toller Artikel Jürgen Eisserer

Zum Anzeigen oder Hinzufügen von Kommentaren einloggen

Ebenfalls angesehen

Themen ansehen