Wenn man auf Management-Phrasen nur noch mit Zynismus reagieren kann

Wenn man auf Management-Phrasen nur noch mit Zynismus reagieren kann

Noch immer riecht die Luft in Unternehmen nach Anonymität und Organisation, nach Funktionalität und Vergemeinschaftung, nach Kreativitätswüste und liniertem Denken:

Da ist es völlig egal, ob man in blickgeschützten Boxen oder lichtdurchfluteten Aquarien verweilt, in milchverglasten Vorzimmern oder verschließbaren Zellen, ob Seite an Seite im Metropolenloft oder eingelassen in die Weite einer aufgelockerten Bürolandschaft mit Kaffee-Vollautomat und Schallschutz-Stellwänden – in vielen Organisationen kommt das Gefühl hoch:

„Der Mensch ist frei geboren, und liegt doch nine-to-five in Ketten“ - so würde es wohl Jean-Jacques Rousseau formulieren.

Je kühner Architektur-Avantgardisten und Management-Gurus die Perfektionierung des arbeitsteiligen Miteinanders auch vorantreiben – heraus kommt immer nur eine weitere Mode der humanen Käfig- und Kleingruppenhaltung.

Fließband-Effizienz und Hörigkeit in Indifferenz-Zonen

Letztlich versteckt sich hinter den modernen Lichtsuppen-Fassaden die alte Ideologie des industriekapitalistischen Taylorismus, der auch die Büroabläufe auf Fließband-Effizienz trimmt. Was an Freiheiten im Bürokomplex zugelassen wird, sind reine Simulationsübungen, um die Mitarbeiter bei Laune zu halten. 

„Die Pauschalunterwerfung des Arbeitnehmers ist so groß wie eh und je“, bemerkt der Soziologe Dirk Baecker. Das dürfe man allerdings nicht mit einer Totalunterwerfung verwechseln. Innerhalb der so genannten Indifferenz-Zone sind Mitarbeiter bereit, Anweisungen zu befolgen, die der Arbeitsvertrag und die Stellenbeschreibung vorab nur zum Teil definieren können. „Die Details und Entwicklungen des täglichen Arbeitslebens sind umfangreicher und unbestimmter, als sie formal festgehalten werden können“, sagt Baecker.

Diese Indifferenz-Zone, die Chester I. Barnard in der Blütezeit der Industrialisierung vor rund 80 Jahren definiert hat, sei heute wesentlich größer. Die Anforderungen, sich außerhalb der eigenen Kompetenzen zu bewegen, seien deutlich gestiegen. Was Karl Marx so schön das „Engagement mit Haut und Haaren“ genannt hat, ist nach Aussagen von Baecker mittlerweile Realität. Das ist ein dauerndes Spiel zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer um die Frage, was der eine noch erwarten darf und der andere noch leisten kann. „Für dieses Spiel gibt es keine ethischen, moralischen oder kulturellen Grenzen mehr“, führt Baecker aus. 

Die BWL weiß wenig 

Wo die Schmerzgrenze für Mitarbeiter liegt, kann niemand so genau sagen. Die BWL mit ihrem Kennzahlen-Fetischismus tut nur so, diese Kompetenz in der Steuerung zu haben.

Es geht nach Meinung von Baecker nur darum, die Mitarbeiter soweit zu schonen, um sie schonungslos ausbeuten zu können.

Was ist das Ergebnis dieser Gemengelage? Der Soziologe Niklas Luhmann hat Fragen dieser Art beantwortet, indem er darauf hinwies, dass in Organisationen typischerweise zwei Sprachen parallel gesprochen werden, eine offiziöse Sprache mehr oder minder leerer Floskeln und eine zynische Sprache der mehr oder minder folgenlosen Offenlegung dieser Floskeln.

Das sind die üblichen Schönwetter-Formulierungen des Managements, die aus nicht ablehnungsfähigen positiven Vokabeln wie Ziel, Strategie, Innovation, Diversität, Motivation, Kundenorientierung, Mitarbeiterbindung, Kollaboration oder offene Kommunikation bestehen. Sie können im Bullshit-Bingo der Unternehmensführung beliebig kombiniert werden.

„Das kann so mit der Realität einer Organisation nicht übereinstimmen. Keine Organisation der Welt ist nur positiv. Deshalb entsteht ein riesiger grauer oder gar schwarzer Bereich an nicht formulierten Negativeindrücken. Und die braucht ein Ventil und das ist der Zynismus“, so Baecker. Zynismus sei eine Form der extrem intelligenten Beobachtung. Der zynische Kommentar ist in der Regel der letzte Kommentar zu einem Sachverhalt. Vorher schaltet man auf den Modus „Dienst nach Vorschrift“. „Der Zynismus ist die Form der Rede und die innere Kündigung ist die Form des Handelns“, konstatiert Baecker. 

Die Rolle der Vorgesetzten

Und das hat viel mit den Vorgesetzten zu tun. „Die Arbeitszufriedenheit in Deutschland hängt sehr stark von Führungsqualitäten ab“, sagte Gallup-Studienleiter Marco Nink im vergangenen Jahr auf der re:publica in Berlin. 

Wie werden die emotionalen Bedürfnisse der Beschäftigten am Arbeitsplatz berücksichtigt? Da sieht es düster aus. „Ist da jemand, der sich für mich als Mensch interessiert? Bin ich nicht nur ein Rädchen im Getriebe oder werde ich wirklich als Individuum behandelt? Die jährliche Engagement-Studie von Gallup fördert in den vergangenen 16 Jahren ein sehr drastisches Bild zutage. Den wenigsten Führungskräften gelingt es, diese Bedürfnisse zu adressieren“, erläutert Nink.

Die große Masse der Beschäftigten macht deshalb Dienst nach Vorschrift. „Das ist keine Frage der Einstellung auf Seiten der Mitarbeiter, sondern eine Frage der Mitarbeiterführung“, betont Nink. Was läuft also falsch in unserem Land, wo wir doch seit Ewigkeiten über New Work, Motivation, flache Hierarchien, Mitbestimmung, 360-Grad-Beurteilungen, rote und blaue Felder in Organisationen, kybernetische Steuerungsmethoden und Motivationsmethoden sinnieren?

97 Prozent der Führungskräfte finden sich toll

„Es beginnt beim Fremdbild und Selbstbild der Führungskräfte. Wir haben in der letzten Untersuchung gefragt, wie sich Führungskräfte einschätzen. Nahezu alle, also 97 Prozent haben uns gesagt, sie halten sich für eine gute Führungskraft. Wenn man das Fremdbild dagegen setzt, passt das überhaupt nicht zur Realität. Sieben von zehn Beschäftigten geben zu Protokoll, in ihrer beruflichen Karriere auf schlechte Führungskräfte gestoßen zu sein. Ein Fünftel denkt zur Zeit darüber nach, wegen des direkten Vorgesetzten das Unternehmen zu verlassen“, sagt der Gallup-Forscher.

Humankapital als Kostenfaktor

Es reicht wohl nicht aus, in hübschen Schaubildern und abstrakten Abhandlungen über die Veränderungen der Organisation zu fabulieren. Man muss grundlegender denken. Was macht gute Führung aus? Fast alle Vorgesetzten sind nach Erfahrungen von Nink fachlich hervorragend ausgebildet. Im Tagesgeschäft reicht das nicht aus. In MBA-Programmen, in der BWL oder in Business-Schools geht es in erster Linie um Kennzahlen, das Verwalten und um „Humankapital“ als Kostenfaktor. Der menschliche Umgang mit Mitarbeitern steht nicht auf der Agenda. „Wir müssen die Ausbildung verändern und die Beförderungslogik in Unternehmen durchbrechen. In Deutschland macht jemand Karriere, wenn er lange dabei ist oder etwas besonders gut in seinen fachlichen Aufgaben kann. Das sind keine belastbaren Indikatoren. In vielen Fällen befördern Unternehmen ihre qualifizierten Mitarbeiter zu einer ganz schlechten Führungskraft“, kritisiert Nink in Berlin.

Fehlanzeige bei digitaler Medienkompetenz

Besonders mangelhaft seien die digitalen Medienkompetenzen. Es gehe nicht mehr nur um Face-To-Face-Gespräche, sondern auch um virtuelle Teams, um Interaktion und um Matrix-Organisationen. „Man schaut auf Kennzahlen und missachtet dabei die weichen Faktoren, was wiederum zu Lasten der Kennzahlen geht“, moniert Nink. Ein Teufelskreis, der den Druck im Unternehmen weiter erhöht. Dabei haben Teams mit emotionaler Bindung 50 Prozent weniger Fehlzeiten, weniger Fluktuation, weniger Arbeitsunfälle und weniger Schwund in der Produktion. Sie kommen auch bei Kundenbewertungen besser weg. Wer sich um die qualitativen Kriterien der Arbeit nicht kümmert, versagt auch bei den quantitativen Kriterien. So einfach ist das.

Im vergangenen Jahr gab es dazu einen sehr kritischen New Work-Diskurs: „Grundtenor der Diskussion ist, dass das, was ‚oberflächlich nach Emanzipation aussieht, in Wirklichkeit nichts anderes als ein Straffen der Fesseln’ sein könnte, wie es die englische Philosophin Nina Power in Bezug auf das Neue Arbeiten schrieb“, so die frühere DigiTreff-Moderatorin Inga Ketels.

Die Komik des Top-Managements 

Die Plattitüden im Top-Management überdecken die Realität einer bürokratischen Mikroherrschaft. Übrig bleibt eine höchst unfreiwillige Komik von Vorgesetzten, die sich mit dümmlichen Phrasen über Wasser halten.

Zu bewundern in dem legendären Film „Office Space“ in der Rolle des Vorgesetzten Bill Lumbergh, der blöd grinsend mit aufgekrempelten Hemdsärmeln und einem Becher Kaffee durch die Büroetagen stolpert, um Untergebene an das letzte Memo und die Pflicht zu erinnern, den TPS-Bericht mit einem Deckblatt zu versehen. Bei alldem ist es wohl egal, wie Arbeitsplätze gestaltet werden und wie viele Obstteller für Mitarbeiter zur Verfügung stehen. Gerade im Kontext der kreativen und dienstleistungsgetriebenen Arbeitsinhalte ist es an der Zeit, sich von der lemminghaften Arbeitsorganisation zu verabschieden. Die Internet-Technologien ermöglichen nicht nur verteiltes und dezentrales Arbeiten, sondern Tätigkeiten, die sich nicht an der Präsenz eines Mitarbeiters, sondern am Arbeitsergebnis orientieren – ohne den Firlefanz von Motivationslehrgängen und Teambuilding-Maßnahmen am Hochseil des Siebengebirges.

Einen Anfang könnte man machen, wenn die Personalentwicklung in Unternehmen nicht mehr als Kostenfaktor, sondern als Investition verbucht wird, fordert Heiko Fischer von Resourceful Humans. Es reiche nicht aus, Organisationen nur auf Profit auszurichten: „Mir widerfuhr die traurige Ehre, dass ich nur drei Tage Personalchef von Groupon war und mit den Samwer-Brüdern zusammengearbeitet habe, bis ich mich mit einem dieser Typen so anlegte, dass ich in der Mittagspause gegangen bin“, erläutert Fischer.

Dr. Christoph Schmitt

Bei den Verhältnissen ansetzen - nicht beim Verhalten! (Metaplan) Ich bin Colearner | Coach & Supervisor | Bildungsdesigner | Bildungsethiker | Blogger

6 Jahre

Nun reagieren reihum selbsternannt moderne Pädagogiken damit, den arg bedrängten Menschen in Aus- und Weiterbildung didaktisch in Schutz zu nehmen und Fürsorgepflicht gegenüber ihm und ihr zu entwickeln. Händchen halten bis zur Prüfung. Mann kommt dem überstarken Nestwärmebedürfnis der Millenials überstark nach - und verhindert dadurch kerzengerade, dass der Nachwuchs die einzige Waffe entwickeln und gebrauchen lernt, die in diesem hier so ausgezeichnet skizzierten Weltenbild Schutz bietet: Die Selbstorganisation. Wir müssen stante pede aufhören, Menschen auf dieses Ungemach vorbereiten zu wollen, denn wenn es hart auf hart kommt, bist du eines - nur eines - garantiert nicht: vorbereitet.

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