Wenn Purpose was Persönliches wird
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Wenn Purpose was Persönliches wird

Was Sie erwartet:
1. Purpose vs. Stakeholder Value 
2. Purpose als (unterschätztes) HR-/Personalthema
3. Erster Triple Bottom Line Freelancer Jahresbericht auf 5 Bierdeckeln

Ich muss mit einer Frage beginnen, die mir bisher noch niemand wirklich beantworten konnte: Worin liegt der Unterschied zwischen dem 2019er Buzzword "Purpose" und dem seit 60 Jahren bekannten Ansatz (Stanford Research Institute) und der spätestens seit 25 Jahren etablierten Theorie (Edward Freeman) des Stakeholder Value? Die Grundidee ist doch die gleiche: Bedenke beim unternehmerischen Handeln deinen Impact auf alle mit dir in Beziehung stehenden Individuen, Gruppierungen und Institutionen und richte es entsprechend aus. Denke also nicht nur an dich und deine Anteilseigner (Shareholder) und wie du (schnell) den größten Gewinn für euch generieren kannst, sondern setze darüber – oder zumindest daneben – auch deine Verantwortung für Mitarbeiter, Lieferanten, Kommunen, den Staat, die Gesellschaft etc. Verfolge damit einen Zweck (Purpose), der größer ist als Profit, also sowas wie ein Beitrag zum langfristigen Gemeinwohl.

Mein Antwortversuch: Es sind die Rahmenbedingungen, die den Unterschied ausmachen und nicht der Kern der Idee. Die Macht des Geldes in den Händen Weniger war in den letzten Jahrzehnten scheinbar stärker als die mannigfaltigen Interessen Vieler. Dieses Verhältnis scheint sich gerade umzukehren oder zumindest auszugleichen, da Antworten auf bestimmte Fragen unserer Zeit immer drängender werden. Immer mehr Menschen erkennen das Elementare am Klima- und Umweltschutz, bei dem es nicht nur um ein paar weniger Schneeflocken im Winter geht, sondern um gesellschaftliche Stabilität, Frieden, Nahrungssicherheit etc. Immer mehr Menschen sehen den Zusammenhang aus Globalisierung und sozialen Problemen, bei dem es langfristig obsolet sein dürfte, bisher auf der vermeintlichen Gewinnerseite gestanden zu haben. Immer mehr Menschen verstehen die Hochrechnungen hinsichtlich der Endlichkeit unserer natürlichen Ressourcen, die wir durch unseren Hunger zum Beispiel nach günstiger Energie und wachsendem Konsum selbst immer näher kommen lassen. Mit etwas Glück – und hoffentlich noch rechtzeitig – scheinen wir in einer neuen Zeit angekommen zu sein.

"Was diese neue Ära nun prägt, ist die Chance, die ehemaligen Antagonisten Profit und Philanthropie zu vereinen – mithilfe von Purpose. Denn wahrhaftiger Purpose bildet die Synthese aus Profit und Philanthropie. Er schmälert die ökonomische Ambition nicht, sondern verschiebt sie." *

Katrin Seegers, Managing Partner der Agentur Rethink

Zurück zum Buzzword Purpose: Dem PR-Magazin hat Katrin Seegers. Managing Partner bei Rethink verraten, dass acht von zehn Projekte, die ihre Agentur betreue, mit Purpose und der Kommunikation rund um diesen Begriff zu tun haben würden. Sie glaube, dass sich die Wirtschaft von einem rein monetären Wachstum hin zu einer zunehmend wertegetriebenen Gemeinwohlökonomie verändere. Karl-Heinz Büschemann, Chefreporter bei der Süddeutschen Zeitung scheint da etwas skeptischer. In seinem Essay "Die neue Sinnsuche" sieht er zwar auch die Tendenz zu mehr gesellschaftlicher Verantwortungsübernahme durch Unternehmen. Gleichzeitig bleibt er aber skeptisch, ob sich in den Chefetagen kurzfristig wirklich viel ändern wird: "Haben sie (die Manager, Anm. d. Verf.) verstanden, dass sie mit ihrem Streben nach Profiten und Millionengehältern überzogen haben? Dafür spricht einiges. Allerdings spricht nur wenig dafür, dass sich die Praxis in den Chefetagen schon bald ändern wird. Der Verdacht, dass Berater und PR-Profis mal wieder in die Trickkiste greifen, und dass die neue Nachdenklichkeit wohl eher taktischer Natur ist, bleibt." Mein Herz (in Form von Hoffnung) ist bei Katrin Seegers, mein Verstand (in Form von erfahrungsgetragenem Realismus) bei Karl-Heinz Büschemann.

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"Purpose ist etwas so Persönliches, ja fast Intimes. Wer bin ich? Was will ich? Wo will ich hin und vor allen Dingen wie möchte ich mein Leben gestalten?"

Sascha Pallenberg, Head of Digital Transformation bei der Daimler AG

Was in der ganzen Diskussion in meinen Augen noch zu wenig Beachtung gefunden hat, ist die Betrachtung des Purpose-Trends auf individueller Ebene. Oders anders gesagt: mal nicht aus Marketing-Perspektive. Schließlich basiert er auf veränderten Werten, Einstellungen und Ansprüchen einzelner Menschen – und zwar nicht nur von Kunden (Marketingsicht), sondern auch von Mitarbeitern oder potentiellen Mitarbeitern, (Lokal-)Politikern, Nachbarn, Geschäftspartnern etc.. Auch der bekannte Tech-Blogger und Head of Digital Transformation beim Autokonzern Daimler Sascha Pallenberg bricht in einem seiner Linkedin-Artikel den Begriff Purpose auf sehr persönliche und elementare Fragen runter. Für mich klingen sie nach genau den Fragen, die gut ausgebildete Arbeitskräfte neuerdings vermehrt zur Selbständigkeit motivieren oder den Wunsch nach einem Arbeitsplatzwechsel entfachen. Und schon wird Purpose auch relevant für den Unternehmensbereich Human Resources – insbesondere in Zeiten eines sich mehr und mehr verschärfenden Fachkräftemangels und Unternehmensnachfolge-Problems.

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Ich habe gut 15 Jahre in diversen PR-Agenturen gearbeitet – zuletzt in der Geschäftsleitung einer der Top-10-Agenturen Hamburgs. 2018 lautete meine ganz persönliche Antwort auf die Fragen "Was will ich? Wo will ich hin? Wie möchte ich mein Leben gestalten?": Ich mache mich selbständig. Es hätte aber genauso gut auch eine klassische Festanstellung oder eine Unternehmensgründung werden können, wenn sich eine Gelegenheit mit dem passenden Purpose ergeben hätte. 2019 war nun mein erstes vollständiges Jahr als freiberuflicher Consultant, Dozent, Speaker und Autor. Aus meiner Sicht, kann und darf ein Purpose nicht konstruiert werden – schon gar nicht vorrangig für Marketingzwecke. Aber ein Purpose sollte schon in die eigene Marketing- und Kommunikationsstrategie und daraus abzuleitende Maßnahmen einfließen. Dass das auch für Freelancer gilt und geht, möchte ich mit folgendem Beispiel zeigen: Als kleine Inspiration habe ich in Anlehnung an den Triple Bottom Line Ansatz (John Elkington) – wohl wissend um dessen Schwächen – eine Art Jahresbericht über meine Arbeit in 2019 erstellt, in dem zwischen den Zeilen auch meine Werte und irgendwie auch mein persönlicher Purpose anklingen. Und da heutzutage ohne konstruierte Superlative gar nichts mehr geht: Es ist der vielleicht erste Jahresbericht, der (passend zu obigem Foto) lediglich fünf Bierdeckel Platz benötigt.

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Ich freue mich auf Anregungen und konstruktive Kritik in den Kommentaren, per InMail/Privat Nachricht oder in einem persönlichen Gespräch. Aber auch "Hey, schau dir mal den Typen hier an... Ich glaube, den solltet/n ihr/wir mal kennenlernen"-Mails und ernstgemeinte geschäftliche Kontaktanfragen sind gern gesehen.

Autor: Björn Köcher | bjoern@bjoekoe.com | www.bjoekoe.com

* Aus einem Gastbeitrag von Katrin Seegers vom 21.1.2020 auf capital.de.

** Fotocredits: Clark TibbsJan Genge und Gary Butterfield. Via Unsplash.

Katrin Seegers

Strategie, Beratung, Grundsatzfragen

4 Jahre

Vielen Dank, lieber Björn, dass Dein Herz bei mir und meiner Zuversicht ist. Jetzt müssen wir nur noch mehr Herzen erobern…Ich teile Deine Einschätzung: Wir stehen noch nicht vor einem kurzfristigen Turnaround in den Chef-Etagen. Umso mehr ist es an uns, den Aufbruch -- und den sehe ich auf alle Fälle" -- positiv zu treiben. Danke für Deinen Beitrag!

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