Wer bezahlt diesen Wohlstand? Das Vertrauensoligopol.
Wenn die Händler auf dem Wochenmarkt wesentlich mehr Äpfel anbieten, weil die Ernte besonders üppig war, dann fällt der Apfelpreis.
Wenn die Zentralbanken wesentlich mehr Euros, Dollar oder Yen drucken, dann müsste theoretisch das Geld weniger Wert werden. In der praktischen Welt fühlt sich das aber irgendwie nicht so an. Die relative Kaufkraft von Bürgern dieser Währungsräume scheint nicht abzunehmen, die Staatsanleihen dieser Länder sind weiterhin stark nachgefragt, das Vermögen von Menschen mit Aktienbesitz, insbesondere das der Jeff Bezos, Elon Musks und Mark Zuckerbergs dieser Welt steigt an. Die entwickelte Welt druckt sich reicher. Man fragt sich: Wie funktioniert das? Wer bezahlt das?
Die Produktivitätszugewinne in den USA, eine globale Technologie-Supermacht, können nicht der Grund für die enorme Wohlstandssteigerung für Aktienbesitzer sein. Der S&P 500 verdoppelte sich etwa in den letzten fünf Jahren, während der Produktivitätszugewinn laut Bureau of Labor Statistics im niedrigen einstelligen Prozentbereich liegt. Ähnliche Relationen von Wohlstandssteigerung zu Produktivitätsgewinn liegen in anderen entwickelten Ländern vor.
Wenn die Wertsteigerung nicht aus sich heraus stattfindet, müsste ein Transfer stattfinden. Wenn die entwickelten Zentralbanken mehr Geld drucken, der Wert der Währungen aber gleichbleibt, dann müsste jemand anderes „ärmer“ gedruckt werden. Hierbei gibt es möglicherweise zwei verschiedene Transferouten mit unterschiedlichen politischen und moralischen Implikationen.
These 1: Wenn Staaten ihre Verschuldung erhöhen, ermöglicht durch die Anleihekäufe von Zentralbanken wie EZB oder FED, dann belastet man damit zukünftige Generationen. Das ist ein zeitlicher, generationenübergreifender Vermögenstransfer. Dieser Transfer passiert innerhalb einer Demokratie. Theoretisch können Wahlberechtigte mittelbar Einfluss auf das Verschuldungsverhalten ihres Landes nehmen. Der Medianwähler in der entwickelten Welt, also der, nachdem sich Politiker ausrichten, um Wahlen zu gewinnen, scheint Staatsverschuldung zu unterstützen. Die langfristigen Konsequenzen sind abstrakt und schwer zu begreifen. Konkret und verdaulich sind gut laufende Aktienmärkte, günstige Hypotheken und erste Formen von bedingungslosem Grundeinkommen wie die Stimulus-Checks in den USA. Diese Transferroute ist bereits reichlich kommentiert und in der Mitte des politischen Diskurses angelangt.
These 2 : Über diese Transferroute wird noch nicht annähernd so viel diskutiert, möglicherweise bewusst, und die systemische Logik dahinter ist komplex. Untereinander sind die Währungen der großen, vertrauensbildenden Zentralbanken wie FED, EZB, Bank of England oder Bank of Japan relativ stabil. Alle dieser Banken haben sich seit der globalen Finanzkrise 2008/2009 (im Falle Japans sogar schon seit den 90ern) in unterschiedlicher Intensität der monetären Expansion verschrieben. Ein Blick auf die Zentralbankbilanzen von Türkei, Russland und Brasilien zeigt, dass dort eine ähnliche Strategie verfolgt wurde. Der große Unterschied liegt aber darin, dass der Wert der Lira, Rubel und Real sich wie der Preis von Äpfeln verhält: Es gibt mehr davon, der Preis fällt. Die USA, Europa, England und Japan drucken sich also faktisch reicher, während Türkei, Brasilien und Russland dies nicht können. Das ist eine signifikante Verschiebung von Kaufkraft, das ist Vermögenstransfer. Das große Ass im Ärmel von FED und Co. ist das Vertrauen in die politische Stabilität und möglicherweise auch militärische und technologische Macht. Große Kapitalanleger halten lieber Dollar- oder Euroreserven und amerikanische oder deutsche Staatsanleihen als Instrumente aus der zweiten Liga der Zentralbanken. FED, EZB, BoE und BoJ haben ein Vertrauensoligopol, welches elegant ausgespielt wird und damit den Wohlstand in den eigenen Einflussbereichen steigert.
Aus These 2 lassen sich einige Schlussfolgerungen ziehen:
- Es gibt einen hohen Anreiz für FED & Co. die Gelddrucker weiterhin zu nutzen.
- Aus (1) folgt, dass die hohen Börsenbewertungen (10x Umsatz für SaaS Unternehmen, KGVs nördlich von 50x) weiterhin rechtfertigbar sind. Growth Investing müsste weiterhin funktionieren.
- Es besteht ein Anreiz für europäische Staaten Teil des Vertrauensoligopols zu bleiben, was die europäische Integration fördert.
- Das Spannungsgefüge zwischen USA, England und Europa auf der einen Seite und Ländern wie Russland, Türkei und Brasilien bleibt erhalten. Für die politische Klasse besteht ein Anreiz, den Wohlstandsverlust auf der monetären Seite mit anderen Druckmitteln zu kompensieren. Druckmittel können in den Sphären Militär, Politik und Umwelt liegen. Russland expandiert, die Türkei kontrolliert Geflüchtetenströme, Brasilien zündet die Lunge des Planeten an.
- Der Wohlstandsverlust auf Ebene der breiten Bevölkerung im Sinne fallender Kaufkraft hat abstrakte, schwer zugängliche Gründe, was die Empfänglichkeit für einfache Erklärungen durch Populismus erhöht.
- Länder, die über noch geringere relative Macht auf Zentralbankebene verfügen als Russland & Co. und auch keine alternativen Druckmittel ausspielen können, haben einen Anreiz, neue Wege außerhalb des Fiat-Geld Systems zu bestreiten. Die Adoption von Kryptowährungen als gesetzliche Zahlungsmittel, wie kürzlich in El Salvador geschehen, könnte häufiger werden.
Business Unit Head bei Sanofi
3 JahreGut geschrieben!
Investor Relations & Communications | Strategic Marketing | Corporate Development | Passion for Economics and Strategy
3 JahreSehr spannender Post und hochinteressantes Thema. Einige Anmerkungen/Punkte zur Diskussion: Im Unterschied zur Finanzkrise war und ist Corona eben auch ein kombinierter Angebots- und Nachfrageschock, wahrscheinlich sogar primär ein Angebotsschock. Die fiskalischen und geldpolitischen Rettungspakete haben die corona-bedingten Nachfrageeinbrüche (über)kompensiert. Gleichzeitig ist die Angebotsseite (noch) Restriktionen ausgesetzt. Damit ist das Potential für steigende Güterpreise gelegt. Bereits seit der Finanzkrise (eher ein Nachfrageschock) und nun weiter beschleunigt schichten die Haushalte ihr Vermögen zugunsten von Staatspapieren, Aktien und Immobilien um. Die Asset-Preise (Aktien, Real Estate, Oldtimer – you name it) oder besser: die Bewertungen explodieren, die Konsumentenpreise bleiben bis jetzt nahezu unverändert. Wenn und weil nun aber der angebotsseitige Schock dank Impfungen und Herdenimmunität (bald) nachlässt, können sich die immensen fiskalischen und monetären Rettungsprogramme m.E. durchaus wieder in steigenden Konsumentenpreisen niederschlagen. Dann könnte aber das von dir richtigerweise beschriebene Vertrauens-Oligopol der großen Reserve Currencies rasch erodieren. (zugunsten z.B. von Crypto-Währungen?!). There is no free lunch…
Doktorandin bei Universität zu Köln
3 JahreSpannendes Thema!