Wer nicht fragt bleibt dumm

Wer nicht fragt bleibt dumm

Bevor es leicht wird - Über Fehlannahmen beim Anfangen

Es gibt Dinge, die mich einfach nicht interessieren. Zum Beispiel Physik. Meine physikalischen Grundkenntnisse enden bei: alles fällt herunter. Bei solchen Themen ist es mir egal, dass ich wenig Ahnung davon habe. Dieses Feld überlasse ich gerne anderen. Es gibt aber auch Bereiche, in denen ich sehr gut sein möchte. Und das von Anfang an. Zum Beispiel beim Bouldern.

Nach dem ersten Mal in der Kletterhalle stand für mich fest: das ist mein Sport! Ich kaufte mir ein paar unbequeme rote Kletterschuhe und machte mich auf  in die Kletterhalle – zunächst morgens, als es nicht so voll war. Ich wollte direkt genauso gut klettern können wie all die Profis, die die schweren Routen angingen. Ich schämte mich sogar ein wenig dafür, dass ich mit den Anfängerrouten zu kämpfen hatte. Ich kam mir dumm vor, wenn ich aus einer leichten Route fiel, während die Person neben mir mit beeindruckender Eleganz den schwersten Schwierigkeitsgrad meisterte. Erst als ich die sehr schmerzhafte Anfangszeit überwunden hatte, traute ich mich auch abends in die Halle – wenn sie voll mit richtig guten Sportlern ist.

Die Nachfolge antreten war wie bouldern

Diese Anfangszeit, in einer muffig riechenden Kletterhalle irgendwo in Heilbronn, hat sich ähnlich angefühlt wie meine ersten Schritte in der Nachfolge: Ich wollte direkt eine richtig gute Unternehmerin sein – vom ersten Moment an. Vom ersten Tag an arbeitete ich mit absoluten Experten zusammen: Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Führungskräfte, andere Geschäftsführer. Sie alle haben meist jahrzehntelange Berufserfahrung und eine hohe Qualifikation im Gepäck. Wären diese Menschen Kletterer und ihr Beruf das Bouldern – sie würden die allerschwersten Routen problemlos meistern.  

Als ich mit 21 Jahren Geschäftsführerin wurde, wollte ich direkt so gut sein wie diese Profis. Wie in der Kletterhalle schämte ich mich dafür, es nicht zu sein. Aber anders als beim Klettern, konnte ich nicht einfach zu jeder beliebigen Uhrzeit kommen und gehen. Ich konnte den Menschen nicht aus dem Weg gehen. Business ist Teamsport. Also überspielte ich meine fehlenden Kenntnisse und Anfängerfehler einfach. Ich lud mir einen wahnwitzigen Workload auf, um den Erfahrungsvorsprung aufzuholen. Alles im Alleingang. „Profis stellen keine Fragen“, dachte ich.

Wer nicht fragt, bleibt dumm

Zurück in die Kletterhalle nach Heilbronn: Irgendwann kam dieser lehrreiche Tag. Ich hatte mir eine Route ausgesucht, in der man springen musste. Springen ist so gar nicht mein Ding. Dennoch nahm ich mir an diesem Tag die Route vor. Ich ging also in die Startposition, drückte mich ab und flog im hohen Bogen am nächsten Griff vorbei. 30 Mal sprang ich ab, flog und klatschte auf die Matte. Beim 31. Versuch erbarmte sich dann ein deutlich besserer Kletterer: Er nahm mich zur Seite und erklärte mir die Technik, die es für diese Route braucht. Er ermunterte mich, einfach Fragen zu stellen, wenn ich in einer Route nicht weiterkomme. Und genau das tat ich: Zwischen all den Abstürzen, schmerzenden Füßen und aufgerissenen Händen stellte ich Fragen. Fragen, über die ich die Technik hinter dem Klettern Stück für Stück lernte. 

Auch in meinen ersten Monaten als Nachfolgerin lernte ich: Fragen stellen ist wichtig, um voranzukommen. Niemand ist von Geburt an Profi. „Alles ist schwierig, bevor es leicht wird," soll ein Dichter einmal gesagt haben.  Auch meinem Umfeld war bewusst, dass ich mit meinen 21 Jahren keine 40 Jahre Berufserfahrung mitbringen konnte. Ihnen war bewusst, dass ich Anfängerin in meinem Berufsfeld war. Wenn ich jetzt an die Anfangszeit als Geschäftsführerin zurückdenke, muss ich lachen: Es muss albern gewirkt haben, wie ich damals versucht habe, meine Unwissenheit mit einer vermeintlichen Profi-Maske zu überspielen. 

Was aber noch wichtiger ist: Es hat mir nicht gutgetan. Ich habe mich selbst stark unter Druck gesetzt. Heute weiß ich: Wer nicht fragt, bleibt dumm. Es ist immer hilfreich, Fragen zu stellen und von Besseren zu lernen, um hinterher selbst immer besser zu werden. Denn dann ist aller Anfang nicht nur schwer – sondern auch wahnsinnig spannend, aufregend und lehrreich.

Was ist deine Erfahrung?

Wie bist du als junge Nachfolgerin oder junger Nachfolger mit deiner Erfahrungs- und Wissenslücke umgegangen? Was hast du in der Anfangszeit gelernt? Und was würdest du heute anders machen? Ich freue mich auf Impulse, Anekdote und Learnings.

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