Wie eigentlich geht Pressefreiheit ohne freie Presse?

Wie eigentlich geht Pressefreiheit ohne freie Presse?

Ich war gerührt, als ich am Tag der Pressefreiheit letzten Freitag wahrnehmen durfte, wie wichtig der deutschen Politik die Freiheit der Presse ist. Als ein Mensch, der sich vor über vier Jahrzehnten für einen Lebensweg im und für den Journalismus entschieden hat, las ich mit zunehmend feuchten Augen, welche Bedeutung die regierende Elite in Berlin im Jahr 2024 „der freien und unabhängigen Presse“ beimisst. Sie sei, um ein Beispiel zu nennen, ein „Grundpfeiler unseres demokratischen Gesellschaftsmodells“, wurde unter schwarz-rot-goldener Absenderschaft der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien per Pressemitteilung kundgetan, und Claudia Roth ließ sich zur Pressefreiheit zitieren: „Wenn sie fällt, dann fällt auch unsere Demokratie“.

Heute ist Montag, der 6. Mai; die pathetischen Sonntagsreden sind verklungen. In Erinnerung bleibt mir Heribert Prantl , der in der „ Süddeutsche Zeitung “ den Lobpreis des unabhängigen Journalismus am Tag der Pressefreiheit sehr zutreffend – wie ich finde – als „ein Ritual“ identifiziert hat: Dieser Tag sei „eine Art Gedenktag für ein Veteranen-Grundrecht, das einst wichtig war“.

Wir schreiben das Jahr 2024. Vor 75 Jahren wurde die Freiheit der Meinung und die Freiheit der Presse im Artikel 5 unseres Grundgesetzes verankert; sie seien, sagt das Bundesverfassungsgericht, „schlechthin konstituierend für die freiheitlich-demokratische Ordnung“. Unverändert ist heute das unabhängige Publizieren von Inhalten, die in journalistischer Verantwortung recherchiert und aufgeschrieben wurden, wesentlich für das Gelingen von Staat und Gesellschaft. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sogar sind die Unabhängigkeit und die Verlässlichkeit des Journalismus der Verlage heute wichtiger als selten zuvor in unserer Republik, denn wir sollten eher sorgenvoll auf den Zustand der Freiheit der Meinungen in unserem Land und damit auf den Zustand der Freiheit an sich schauen.

  • Wir leben in einer Zeit der tiefer werdenden Brüche durch unsere Gesellschaft, in der radikale Kräfte lauter und lauter anti-demokratisch werden. In der der Extremismus an den politischen Rändern aggressiver wird, Hass und Hetze im Internet zunehmen und auch auf unsere Straßen schwappen.
  • Immer weniger Menschen glauben – nach einer Allensbach-Umfrage – ihre Meinung in unserem Land frei äußern zu können. Und immer weniger Menschen haben – nach einer Studie der Körber-Stiftung – Vertrauen in unsere Demokratie und deren Institutionen.

Eine Ursache dieses Phänomens ist die teilweise brutale Einengung der freien Meinung in den sozialen Massenmedien. Besonders an den Rändern des politischen Spektrums wird im Netz aggressiv dafür gesorgt, dass der Korridor der freien Meinung eng und enger wird. Eine zweite Ursache ist die anschwellende Flut an manipulierten und manipulativen Inhalten, zunehmend günstig und immer perfider produziert mit Unterstützung künstlicher Intelligenz, mit denen die Menschen in den sozialen Netzwerken konfrontiert sind.

Unser Auftrag in der Welt der Verlage ist es, dieser Explosion an Lug und Trug, an Manipulation und Agitation, die Realität entgegenzuhalten: also das, was ist, die Wahrheit. Und unsere Verantwortung ist es, genau dafür auch geradezustehen: Wir sind verantwortlich im Sinne des Presserechts für das, was wir berichten.     

Aber das wirtschaftliche Fundament, auf dem wir dieser Verantwortung gerecht werden, ist in Bewegung geraten. Wir sind in unseren Märkten konfrontiert mit Herausforderungen, die die marktwirtschaftliche Finanzierung des hochwertigen Journalismus im 21. Jahrhundert massiv erschweren. Wir sind umringt von Monopolen und monopolistischen Strukturen, die weitgehend ungehindert von den politischen Verantwortlichen in Berlin und Brüssel in praktisch all unseren Märkten tief in die notwendige Wertschöpfung der Verlage eingreifen. Zukunft ist für den Journalismus der Verlage in Deutschland heute keine Selbstverständlichkeit mehr. Viele Zeitungs- und Zeitschriftentitel haben in den letzten beiden Jahren die Grenzen ihrer Wirtschaftlichkeit erreicht, Hunderte von Arbeitsplätzen in der Branche mussten wegfallen, viele journalistische Produkte sind schon vom Markt verschwunden.

Tatsächlich ist die Versorgung der demokratischen Gesellschaft mit den verlässlichen und unabhängigen Informationen der freien Presse in Deutschland akut bedroht. Wie geht Pressefreiheit ohne freie Presse? Diese in vielfacher Weise existentielle Frage ist in den Sonntagsreden der Politik noch nicht angekommen. Aber heute ist ja auch erst Montag.


Hubert Burda Media

MVFP Medienverband der freien Presse

Absolut richtig! Was bleibt uns von einer Freiheit, die sich Verlage nicht mehr leisten können, weil Politik nur redet, aber nicht zielgerichtet handelt?

Kimmig Werner

Produzent bei Kimmig Entertainment GmbH

8 Monate

Gut dass Du immer wieder daran erinnerst!!!! Danke!

Jan Voller

Struktur & Strömung

8 Monate

Ohne freie Presse ist alles nichts.

Hermann Wala

Brandingexperte & Bestsellerautor

8 Monate

👌🤛🏻

Hanna Kleber

Präsident kleber group

8 Monate

Wie recht Sie haben! Ihre Sorgen teile ich

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